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Christian Kern: Erste Rede als SPÖ-Chef im Wortlaut

Heute Redaktion
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Christian Kern hielt gleich nach seiner Wahl zum neuen SPÖ-Chef eine erste Pressekonferenz als designierter Bundeskanzler ab. Die gesamte Rede im Wortlaut lesen Sie hier.

Christian Kern hielt gleich nach seiner Wahl zum neuen SPÖ-Chef - nur eine Stimme richtete sich gegen ihn - eine erste Pressekonferenz als designierter Bundeskanzler ab. Die gesamte Rede im Wortlaut lesen Sie hier.

Sehr geehrter Herr Bürgermeister, sehr geehrte Damen und Herren,

die letzten 72 Stunden waren – wie sie sich denken können – eine besonders intensive Zeit für mich. Ich habe einen Schnellkurs über politische Rituale und Mechanismen gelernt. Es ist so, dass ich gerade dabei bin zu versuchen, meine Lockerheit wieder zu gewinnen. sie haben also ein bisschen Nachsicht mit mir und geben mir vielleicht ein paar Sekunden und Minuten auch noch zum Verschnaufen. Die werden wir alle mal brauchen.

Für mich ist es eine Rückkehr. Ich bin vor zwanzig Jahren aus diesem Haus weg. Ich habe mich heute sehr gefreut darüber, über diese herzliche Aufnahme in unserem Freundeskreis. Und ich bin davon überzeugt, dass es eine wundervolle Bestätigung war, sich für diese Aufgabe zur Verfügung zu stellen.

Vielleicht werden Sie sich fragen – und ich bin in den letzten Tagen ja nicht das eine oder andere Mal darauf angesprochen worden, sondern viele, viele Male: Warum macht er das eigentlich? Eigentlich hat er ja eine recht gemütliche Position, ordentliches Einkommen, spannendes Aufgabenfeld gehabt. Und ich habe mir natürlich diese Frage – und meiner Familie ganz besonders – intensiv gestellt und mir überlegt, ob das ein Platz ist, den ich einnehmen möchte und in diesem Land einen Beitrag zu leisten. Und meine Antwort ist eigentlich in voller Überzeugung, mit einem klaren „Ja“ ausgefallen. Und ich kann ihnen auch sagen warum:

Ich bin ja so was wie ein frischgebackener Politiker, wenn man so will. Ein politischer Mensch, ja, das schon. Aber mit den politischen Ritualen und mit der Sprache jedenfalls nicht bis ins Letzte vertraut. Aber genau dieses Rituale, diese Sprache, dieses Erscheinungsbild, diese Inhalte oder diese Inhaltlosigkeit, die wir in den letzten Monaten und Jahren erlebt haben, waren für mich genau der Antrieb. Ich glaube, es ist eine Analyse, die viele in diesem Land teilen. Dass, wenn wir so weiter machen – und ich habe dabei auch ganz besonders die Bundesregierung im Auge.

Wenn wir dieses Schauspiel weiter liefern, ein Schauspiel der Machtversessenheit und der Zukunftsvergessenheit, dann haben wir nur noch wenige Monate bis zum endgültigen Aufprall. Wenige Monate, bis das Vertrauen und die Zustimmung in der Bevölkerung restlos verbraucht sind. Ich kann Ihnen sagen, mir ist es so gegangen, wie Ihnen. Nach jeder Pleite, nach jeder Panne, nach jeder Niederlage zu hören: Wir müssen in den Gremien beraten und die Leute da draußen… ‚Und ich weiß nicht, was für Formeln es alle gibt. Mir ist es genauso gegangen wie Ihnen als Staatsbürger.

Ich konnte das schlicht und einfach nicht mehr hören. Und jetzt geht es darum, diese Chance zu nutzen, um Österreich wieder stark zu machen. Um unser Land zu einem europäischen Vorbild zu machen.

Die Ausgangsvoraussetzungen sind denkbar schwierig. Und die Herausforderung könnte, glaube ich, gar nicht kleiner sein. Weil, wenn Sie sich anschauen, was sich in den letzten Jahren entwickelt hat, die Herausforderungen, dann sind die bedeutend: Wir sind damit konfrontiert, dass wir auf der Seite der Beschäftigung mit Arbeitslosenraten konfrontiert sind, die für uns nicht akzeptabel sind. Unternehmen haben das Vertrauen in den Standort verloren und reduzieren ihre Investitionen um damit zuverlässig die Krise für die nächsten Jahre weiter zu perpetuieren.

Wir haben erlebt, dass die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen mit Reallohnverlusten konfrontiert sind. Mittlerweile im sechsten Jahr. Und wir wissen, dass das Wirtschaftswachstum, dass wir in Österreich haben, im europäischen Vergleich Bescheiden und unzureichend ist. Wir sehen auch, dass immer mehr Lehrlinge ihre Lehrabschlüsse nicht machen. Wir erleben auch, dass immer mehr Abgänger unserer Schulen nicht mehr in der Lage sind sinnstiftend zu lesen.

Das ist ein Kosmos und eine Bestandsaufnahme, die natürlich denkbar schwierig ist. Und wenn man so will, einen negativen Ausblick bietet. Aber ich bin auch davon überzeugt – und sonst hätte ich die Bereitschaft ja nicht gehabt, sondern wäre es ja auch ein Himmelfahrtskommando gewesen -, dass unser Land jede Voraussetzung und jede Möglichkeit hat, wieder eines der Vorzeigeländer in Europa zu werden. Ein Platz, wo die Menschen gerne leben. Ein Platz, wo Aufstieg in unserer Gesellschaft nicht nur ein leeres Wort ist und nicht nur wenigen vorbehalten ist.

Wir haben uns vorgenommen, drei Punkte in den nächsten Monaten zu diskutieren.

Und da möchte ich zunächst einmal die politische Stilfrage zitieren. Das ist eine Fragestellung, die sich an die Bundesregierung und auch an meinen eigenen politischen Freundeskreis – die SPÖ – richtet. Es macht keinen Sinn, dem anderen keinen Millimeter keinen Erfolg zu gönnen. Bei jeder Idee – wenn man so will -, die der andere versucht konstruktiv zu entwickeln, von vornherein „Njet“ zu sagen und nicht für eine sinnvolle Diskussion zur Verfügung zu stehen. Wir werden unsere Hand ausstrecken. Insbesondere gegenüber dem Koalitionspartner aber auch gegenüber allen anderen Parteien, um hier Projekt und vor allem Maßnahmen, die umgesetzt werden. Und nicht nur Worte für dieses Land, für unser Land zu entwickeln. Ich halte das für ganz entscheidend. Die SPÖ hat in diesem Kontext eine besondere Rolle. Weil die Rolle der Sozialdemokraten in der Geschichte unseres Landes war, dass wir immer auf der richtigen Seite gestanden sind. Dass daraus eine Verpflichtung erwächst und dass wir eine politische Kraft darstellen, die dieses Land braucht. Insbesondere auch wie die Themenstellungen, mit denen wir konfrontiert sind, nach sozialdemokratischen Antworten schreien.

Neben dieser Stilfrage gibt es für mich einen zweiten Punkt. Wir haben in der Vergangenheit intensiv politische Fragestellungen – wie etwa die Asylfrage – diskutiert. Und natürlich ist das eine Frage, die unter den Nägeln brennt, die massive soziale Auswirkungen hat. Und die ja im engsten Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Entwicklung zu sehen ist.

Aber mein Projekt und unser Plan ist es, die Hoffnung zu nähren und nicht die Sorgen und die Ängste, die die Menschen haben. Unser Ziel muss es sein, den Glauben an die Zukunft in diesem Land wiederherzustellen. Und unser Ziel muss es sein, dass die Menschen in diesem Land, die heute leben, fest davon überzeugt sind, dass es ihren Kindern eines Tages bessergehen wird als ihnen.

Ich halte zwei Politikkonzeptionen für wichtig, die wir in dem Kontext verfolgen müssen. Der erste Plan ist: Wir brauchen eine kurzfristige Trendwende. Wir wissen, dass die Stimmung im Lande schlecht ist. Das ist nicht nur ein psychologisches Motiv, sondern hat auch fundamentale Gründe, wie ich ausgeführt habe. Und diese schlechte Stimmung gilt es zu drehen. Weil am Ende des Tages, die größte Wachstumsbremse in der Wirtschaft ist die schlechte Laune. Damit wir diese Laune ändern, wird es aber nicht reichen, nur die Schaufenster zu behübschen, die Dekoration zu verändern. Sondern, das heißt, dass wir reale Politikvorschläge machen müssen, die sich rund um unsere Themen Beschäftigung, Einkommen von dem man lohnen kann, Entwicklung der Bildungsstandards, die uns in die Zukunft führen bringen.

Wir werden der Versuchung kurzfristig gegen zu steuern. Wir wissen aber auch, dass die Maßnahmen und Instrumente, die wir haben, eingeschränkte Wirksamkeit haben, wenn sie etwa an die Veröffentlichung des WIFO vom Wochenende denken… Wie schwierig das werden wir, ist jedem, der die Zahlen analysiert hat klar.

Aber es geht mir nicht nur darum, einen Plan für 2020 zu entwickeln. Sondern, mir geht es auch darum, einen Plan, wie sich unsere Gesellschaft 2025 entwickeln soll. Es geht darum, Österreich zukunftsfit zu machen. Und ich glaube, auch da wieder muss das Leitmotiv sein: Weg von dieser Ängstlichkeit und der Sorge und hin zu einer Konzeption, die die Hoffnungen und die Chancen in den Mittelpunkt stellt.

Ja, unser politischer Kosmos hat sich durch die Globalisierung und den technologischen Wandel verändert. Ja, wir werden vor immense Herausforderungen gestellt und müssen mit der Gefahr rechnen, dass ganze Gesellschaftsschichten deklassiert sind. Wir wissen, dass Abstiegsängste mittlerweile nicht mehr nur schlecht ausgebildeten Zuwanderern vorbehalten sind. Sondern, wir wissen, dass diese Sorgen mittlerweile die Mittelschicht erreicht haben.

Damit haben wir uns auseinanderzusetzen. Und um diese Kurzatmigkeit von kurzfristigen Manövern zu entgehen werden wir uns erlauben, dem Vizekanzler der ÖVP vorzuschlagen, einen Plan zu entwickeln, für ein Österreich, das 2025 wieder auf die Überholspur kommt. Hier gilt es grundlegende Fragestellungen in Angriff zu nehmen. Und vor allem zu diskutieren: In welcher Art von Gesellschaft wollen wir leben und in welcher Art von Wirtschaft wollen wir leben.

Und es gibt in der Wirtschaft so einen Trend, den sie vielleicht in den letzten Jahren verfolgt haben. Der uns Ausreden verunmöglicht. Und, was ich meine, ist: Wenn sie sich heute etwa die Wachstumsraten anschauen in Europa, dann sehen sie Länder, die weniger gut performen, Länder die zurückfallen. Und dann gibt es welche, die exzellent performen. In Schweden diskutiert man derzeit, wie man die Überhitzung der Wirtschaft verhindern kann. Wir diskutieren darüber, wie kommen wir von einem Nachzügler Status wieder nach vorne. Am Ende des Tages gibt es viele Vorbilder, an denen wir uns orientieren können. Und wir haben konsequent diesen Weg zu beschreiten.

Es ist für mich auch so, dass ich überzeugt bin, dass wir dieses Stilfrage, diese beiden Politikfelder in Angriff nehmen müssen. Dass wir aber auch als Sozialdemokratische Partei eine Notwendigkeit haben, uns wieder auf die Höhe der Zeit zu bringen.

Und was das für mich bedeutet, ist klar: Wir müssen uns öffnen, wir müssen die Fenster aufmachen und wir müssen frische Luft reinlassen.

Die Sozialdemokratie in Österreich war immer dann erfolgreich, wenn sie sich als Kraft, die für den sozialen Ausgleich austritt und für Aufstiegschancen von normalen, einfachen Leuten eintritt einsetzt. Wenn sie sich als Kraft der Modernisierung verstanden hat. Und, wenn sie sich als Kraft der Demokratisierung verstanden hat. Keine Sorge, ich will inhaltliche Konzept von Corbin, Sanders & Co nicht abkupfern und nicht realisieren. Aber, wir können aus diesen Bewegungen lernen, was man die Menschen einlädt, ein Stück des Weges mitzugehen, wenn man ihre Meinungen ernst nimmt. Wenn man Plattformen und Foren ermöglicht, die diese Türöffnung bewirken.

Ich habe in den vergangenen zwei Tagen die Gelegenheit gehabt, mit dem Herrn Vizekanzler zu diskutieren. Und ich kann Ihnen sage: Ich habe einen sehr, sehr, positiven Eindruck. Reinhold Mitterlehner hat ja in der Öffentlichkeit drei Punkte genannt, die er für wichtige Politikfelder hält. Zweifellos sind sie das. Und wir müssen hier zu gemeinsamen Lösungen kommen. Aber er hat auch noch einen vierten Punkt erwähnt, der in der Öffentlichkeit nicht so präsent ist. Und da hat selbst Reinhold Mitterlehner dafür plädiert, jetzt eine Trendwende einzuleiten, was die Art und Weise der Zusammenarbeit betrifft.

Mag sein, dass das naiv ist.

Mag sein, dass Sie das für optimistisch halten.

Aber ich bin davon überzeugt: Wenn wir jetzt nicht kapiert haben, dass das unsere letzte Chance ist, dann werden die beiden Großparteien und diese Regierung von der Bildfläche verschwinden. Und wahrscheinlich völlig zurecht.

Danke.

 

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