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"Sind wir eigentlich alle pervers?"

Benedikt ist verunsichert. Vergleicht er sein Sexualleben mit dem, was heutzutage so erzählt und gezeigt wird, fühlt er sich prüde und verklemmt.

Heute Redaktion
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Bild: iStock

Frage von Benedikt (35) an Doktor Sex: Wenn ich alles, was heutzutage über Sex gesagt, geschrieben und gezeigt wird, mit meinem eigenen Sexleben vergleiche, komme ich mir vor wie eine Pfarrerstochter. Sind wir eigentlich alle pervers? Oder soll ich glauben, dass die heutige Gesellschaft so aufgeklärt und abgebrüht ist, wie sie tut? Ich frage mich, wie das möglich sein soll, wo sich doch andererseits kaum noch jemand traut, eine fremde Person auf der Straße nach dem Weg zu fragen. Hat sich in den letzten zehn Jahren im Umgang mit Sex wirklich so vieles grundlegend verändert oder wird in Zusammenhang mit dem Thema einfach noch mehr heiße Luft produziert als früher?

Antwort von Doktor Sex

Lieber Benedikt

Dass du dich selber schon fast als prüde erlebst angesichts der unzähligen Publikationen, die in Sachen Sex schamlos alles ans Licht zerren und so tun, als ob gewöhnlicher Sex nur noch etwas für Ewiggestrige wäre, kann ich gut verstehen. Mittlerweile vergeht ja kaum noch ein Tag, an dem nicht mindestens eine neue Studie zum Thema publiziert oder ein weiteres Fremdgeh-Portal aufgeschaltet wird. Die Online-Medien überbieten sich gegenseitig mit schlüpfrigen Geschichten, reisserischen Titeln und sensationellen Enthüllungen von der Sex- und Schmuddelfront – Busenblitzer und Arschgeschichten allenthalben.

Mit dem Buch "Fifty Shades of Grey", dessen Verfilmung seit kurzem in den Kinos läuft, erreicht der Hype rund um den locker-flockigen Umgang mit dem Thema Sex in allen denkbaren Spielformen gerade einen neuen Höhepunkt. Aufgrund der zahlreichen Leserinnen und Leser dieses Romans und weil der Film sicher eine Menge Kinobesucher anlocken wird, darf man auf die Auswirkungen gespannt sein. Um nicht altmodisch zu wirken, wird es für Herr und Frau Durchschnitt in Zukunft wohl wichtig werden, sich im Freundeskreis ein bisschen verrucht zu geben und den Anschein zu erwecken, dass BDSM-Praktiken zum sexuellen Alltagsrepertoire gehören.

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Dass in Tat und Wahrheit aber alles beim Alten geblieben ist und in den Betten dieses Landes Sex – wenn überhaupt – weiterhin "nur" in Form der zur Gewohnheit gewordenen "Samstagabend-Schnellficknummer" praktiziert wird und man höchstens in den kühnsten und heimlichsten, von Drogen benebelten Phantasien den Partner sanft zu einer halbwegs abenteuerlichen Sexualpraktik drängt oder von der Partnerin eine Augenbinde übergezogen und Handschellen montiert bekommt, ist Nebensache – und bleibt ein Geheimnis.

Aus meiner Sicht hat sich in den letzten Jahren genau etwas geändert: Umgekehrt proportional zur Zunahme der Veröffentlichungen zum Thema Sexualität hat die Entspannung im Umgang damit abgenommen. Oder anders ausgedrückt: Je scheinbar aufgeklärter und abgebrühter sich die Öffentlichkeit in Zusammenhang mit Sex, Porno und Co. gibt, umso problembehafteter und von Tabus beladener ist das Thema im privaten Umgang tatsächlich. Keine Spur von Leichtigkeit, sondern sehr viel Verunsicherung und – als Folge davon – eine zunehmende Engstirnigkeit.

(wer)