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Deshalb ziehen YouTuber dauernd Grimassen

Es scheint ein ungeschriebenes Gesetz zu sein, dass Video-Vorschaubilder schräge Gesichtsausdrücke beinhalten müssen. Nur: Weshalb ist das so?

Heute Redaktion
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Seit das Netz die ersten YouTube-Stars krönte, werden User tagtäglich von "verrückten" Grimassen gejagt. Die Startseite des beliebtesten Videoportals wird mehr und mehr von Menschen geflutet, die beinahe schon verzweifelt versuchen, mit ihren Gesichtsmuskeln Emojis nachzustellen. Dazu gibt es immer noch eine Zeile Text im Bild – natürlich mit möglichst vielen Fragezeichen – und einen Caps-Lock-Titel wie "OMG, WAS IST DA NUR PASSIERT????".

Die Frage ist aber durchaus berechtigt: Was ist eigentlich genau passiert, dass YouTuber jetzt alle versuchen auszusehen wie überzeichnete Stockfotos?

Ursprung bei Reaction-Videos?

Die Vermutung liegt nahe, dass diese Sorte von Vorschaubildern durch Reaction-Videos populär wurde. Schließlich besteht der Reiz dieses ausgeklügelten Filmgenres mehrheitlich aus genau dem, was auch auf den Thumbnails zu sehen ist: Unnatürliche, maßlos übertriebene Reaktionen auf ein neues iPhone, auf deutschen Gangster-Rap oder auf die neueste Viral-Challenge.

(Reaction-Videos haben mittlerweile übrigens eine Meta-Ebene erreicht, der selbst "Inception" kaum das Wasser reichen kann. Ein Beispiel: "Teens react to Linkin Park reacts to teens react to Linkin Park". Und natürlich ist die klassisch-youtubsche Gesichtsakrobatik auf dem Vorschaubild gleich in dreifacher Ausgabe zu sehen.)

Bis zu 20 Prozent mehr Klicks

Weshalb breitete sich das "YouTube-Face" aber auch auf andere Channels aus, deren Macher grundsätzlich mehr Talente besitzen, als das Gesicht eines Kleinkindes auf LSD nachzuahmen? Eine mögliche Antwort liefert "Linus Tech Tips" – einer der weltweit beliebtesten Kanäle für Technik-Nerds. Vor rund einem Jahr begannen die Macher des Channels auf den scheinbar allgegenwärtigen Zug aufzuspringen und pflasterten ihre Playlists mit verzogenen Clickbait-Gesichtern voll.

Dessen Fans fanden das – wie es sich für richtige Internet-Geeks gehört – nicht wirklich witzig. In einem Video erklärt Linus aber, weshalb er mittlerweile auch versucht, für Teaserbilder Affen-Emojis nachzuahmen: Die Leute mögen es. Bei vergleichbaren Inhalten klicken nämlich bis zu 20 Prozent mehr Menschen auf seine Videos. Und das mehrheitlich dank dem "YouTube-Face".

Emotionen sind ansteckend

Das ist durchaus nachvollziehbar. Bereits Darwin stellte fest, dass die Mimik eine unheimlich wichtige Komponente der Kommunikation ist und größtenteils bestätigen dies modernere Studien. Und im Gegensatz zur Wortwahl im Titel eines Videos ist ein Gesichtsausdruck universal verständlich, wie Paul Ekman, einer der bedeutendsten Psychologen des vergangenen Jahrhunderts, feststellte. Selbst von Geburt an Blinde oder zurückgezogen lebende Ur-Völker äußerten in vielen Experimenten die gleichen Emotionen mit der gleichen Mimik wie wir – zumindest wenn wir über grundlegende Emotionen wie Angst, Trauer oder Zorn sprechen.

Und natürlich steckt das auch an. Wenn das Gegenüber lacht, lachen wir auch. Und wenn das Gegenüber ängstlich wird, neigen wir dazu, ebenfalls ängstlich zu werden. Und das führt dazu, dass wir auf Video-Thumbnails mit weit aufgerissenem Mund und großen Augen emotionaler werden als bei einer seriös aufgemachten Infografik oder einem Vorschaubild, das tatsächlich etwas mit dem Inhalt des Videos zu tun hat. (dan)

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