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"Ich vermute, ein guter Freund von mir ist schwul"

Weil er sein Verhalten als seltsam empfindet, möchte Sergio seinem Kumpel helfen. Doch braucht er diese Hilfe wirklich?

Heute Redaktion
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Bild: Fotolia

Frage von Sergio (28) an Doktor Sex: Ein guter Freund von mir ist mit sich und seinem Leben unzufrieden. Er hat dies auch schon erwähnt, ohne jedoch den Grund zu kennen oder zumindest ihn zu nennen. Schon lange habe ich das Gefühl, er sei homosexuell. Er gibt sich aber immer so, als würde er sich ständig mit verschiedenen Frauen treffen, was natürlich niemand überprüfen kann – und auch niemand überprüfen will. Teilweise prahlt er dann gar mit diesen Dates. Es sieht so aus, als müsste er mit seinen Aussagen etwas überkompensieren.

Für den ganzen Freundeskreis wäre es absolut in Ordnung, wenn er schwul wäre. Dennoch wirkt er so, als wäre es ihm unangenehm. Mehrmals schon habe ich versucht, im Gespräch auf ihn einzugehen. Er weicht jedoch immer aus. Es ist mir klar, dass ich nicht an ihn herantreten und sagen kann: "Hey, wie gehts? Ach, und übrigens: Es wäre völlig okay, wenn du schwul wärst." Dennoch möchte ich ihm helfen, da ich sehe, dass er irgendwie leidet. Ich weiß aber nicht, ob er meine Hilfe überhaupt will. Vielleicht mache ich damit alles nur noch schlimmer. Was denkst du: Was soll ich tun?

Antwort von Doktor Sex

Lieber Sergio

Die Idee und der offensichtlich dahinterliegende gute Wille in Ehren, aber bei der Lektüre deiner Frage entsteht bei mir irgendwie der Eindruck, dass du und deine Kollegen etwas übereifrig unterwegs sind. Könnte es sein, so frage ich mich, dass eure Bemühungen mehr euch selbst gelten? Weil ihr, indem ihr einem Menschen "Gutes" tut, der bezüglich seiner sexuellen Orientierung möglicherweise einer Minderheit angehört, als Helfer vor euch selber gut dasteht und – als angenehme Nebenerscheinung – zudem gleichzeitig eurer eigenen Not und Ohnmacht angesichts seines Verhaltens ein Ende bereitet?

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Vielleicht solltet ihr euch bewusst machen, dass homosexuelle Menschen nicht gebrechliche und hilfsbedürftige Menschen sind. Auch wenn euer Kollege schwul sein sollte, dürft ihr den Prozess und die Geschwindigkeit, mit der er diesen durchmacht, daher ruhig ihm überlassen. Es ist doch völlig egal, ob und aus welchem Grund er Frauen datet. Lasst ihn einfach in Frieden. Freunde zu sein beinhaltet schließlich auch, jemanden in seiner ganzen und möglicherweise auch ein wenig kauzigen Art gern zu haben.

Der Weg von der Bewusstwerdung bis zum offenen Umgang mit der eigenen Homosexualität kann lange dauern. In einem ersten Schritt geht es beim sogenannten Coming-out-Prozess darum, die homosexuellen Gefühle vor sich selber zuzulassen und zu akzeptieren. Erst dann ist es möglich, auch mit anderen Menschen darüber zu sprechen. Viele homosexuelle junge Männer und Frauen erleben das Heraustreten aus dem oftmals als Isolation empfundenen "Anderssein" als große Herausforderung. Oft geht diesem Schritt ein längerer Bewusstwerdungs- und Leidensprozess voraus. In einer Gesellschaft, in der Heterosexualität die Norm ist, kann es eine große Herausforderung sein, die eigene Homosexualität zu akzeptieren. Manche Menschen schaffen diesen Schritt denn auch nicht und ziehen die Verheimlichung vor.

Deine Frage an Doktor Sex: [email protected] (wer)

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