Politik

Kurz will Corona-Massentest und Infizierte absondern

Einen Tag nach der Verhängung der strengsten Lockdown-Maßnahmen jemals überrascht Bundeskanzler Sebastian Kurz mit einem neuen Corona-Plan.

Rene Findenig
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Bundeskanzler Sebastian Kurz verteidigte in der ORF-"Pressestunde" den harten Corona-Lockdown.
Bundeskanzler Sebastian Kurz verteidigte in der ORF-"Pressestunde" den harten Corona-Lockdown.
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"Das ist nicht einfach, es gibt viele, die an einem zerren, die versuchen einen zu überzeugen, es gibt manche die sind traurig und andere sind wütend". So beschreibt Bundeskanzler Sebastian Kurz seine Gefühle, nachdem er den bisher härtesten Lockdown über Österreich verhängen musste. "Es ist notwendig, harte Entscheidungen zu treffen. Im Frühling hat sich gezeigt, dass sie Wirkung haben", so Kurz. "Wir hatten fünf Monate, die waren relativ unbeschwert waren." Zuletzt stiegen die Zahlen aber so stark an, dass man habe durchgreifen müssen, so der Kanzler.

"Ich glaube die Bevölkerung war vor ein paar Wochen überhaupt noch nicht so weit, da mitzumachen"

"Ich lebe privat lieber auch in einer Zeit, wo ich Freunde und Familie treffen kann. Wenn das ein Trost ist, wir sind damit nicht allein", so Kurz, der darauf verwies, dass es in anderen Ländern genauso der Fall sei. Den Vorwurf, zu spät reagiert zu haben, lässt sich Kurz nicht gefallen: "Wir leben in einer Demokratie, da kann der Bundeskanzler nicht alleine entscheiden. Ich war immer für sehr restriktive und frühe Maßnahmen." Es habe dann wochenlang Gespräche mit den Bundesländern und Parteien gegeben. Man habe die harten Schritte setzen müssen, auch wenn die Opposition nun dagegen sei, so Kurz: "Ich bin überzeugt, dass der Lockdown Wirkung zeigen wird."

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    Ausgangssperre! Ab Dienstag gibt es einen Lockdown der härtesten Art.
    Ausgangssperre! Ab Dienstag gibt es einen Lockdown der härtesten Art.
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    "Ich glaube die Bevölkerung war vor ein paar Wochen überhaupt noch nicht so weit, da mitzumachen", äußerte der Kanzler auch seine Sorge darüber, viele Bürger mit Warnungen nicht mehr erreichen zu können. Er habe schon im September und Oktober bei den Teilmaßnahmen Nachrichten von Paaren bekommen, in denen es hieß, "ich zerstöre den wichtigsten Tag ihres Lebens". "Das was jetzt vor uns steht, sind harte zweieinhalb Wochen, aber am Ende der zweieinhalb Wochen – wenn wir alle zusammenhalten und mitmachen – kommen wir sehr weit herunter und können das Weihnachtsfest retten", so Kurz.

    "Vielleicht war ich da auch etwas zu skeptisch"

    Der Kanzler überraschte dabei mit einem neuen Coronaplan für Österreich: Man sei im engen Kontakt mit der Slowakei, wo man die Bevölkerung durchgetestet habe. "Das war ein Kraftakt", so Kurz, Zehntausende Soldaten hätten geholfen. Die Infizierten seien dann mit "Quarantäne auf Zeit aus dem Verkehr" gezogen worden. Solche Massentests wolle Kurz nun auch in Österreich umsetzen und bereits in der kommenden Woche bekannt geben. Mittlerweile sei es auch möglich, eine hohe Zahl an Tests zu bekommen, ein erster Testschritt sei nach dem Lockdown und ein zweiter, größerer Schritt vor Weihnachten gedacht, so der Kanzler. Zielgruppe sind zunächst unter anderem Lehrer, dann sollen möglichst alle Bürger getestet werden. Das Ziel: Auch Asymptomatische entdecken.

    Man wolle mit dem jetzt harten Lockdown schnell "bei den Zahlen herunterkommen", um dann auch wieder Öffnungsschritte zu setzen, so Kurz. Von der zweiten Welle sei man überhaupt nicht überrascht worden, so der Kanzler. Er habe immer von einem "Licht am Ende des Tunnels" nach einer langen und harten Corona-Phase gesprochen, "vielleicht war ich da auch etwas zu skeptisch", so Kurz, denn es könne nun schneller gehen. "Es war kein Fehler, dass wir einen relativ normalen Sommer gehabt haben, es war kein Fehler, dass wir fünf Monate relativ normal leben konnten", verteidigt Kurz, dass nicht früher reagiert wurde. Nicht nachvollziehen könne er die Reaktionen der Kritiker, die bei jedem Maßnahmenschritt dagegen sein würden, egal um was es ginge.

    "Gewisse Teile des Virus sind nicht prognostizierbar"

    Der Kanzler selbst war davon ausgegangen, dass eine Explosion der Zahlen schon sehr viel früher geschehen könnte. Zahlen seien aber dann erst explodiert, als man schon im Teil-Lockdown war. "Gewisse Teile des Virus sind nicht prognostizierbar", sagte Kurz. Und: "Ich leide auch darunter". Er habe in einem Geschäft etwas abholen müssen und habe in einer Warteschlange mit Leuten mit Maske gestanden. An einem Tisch seien allerdings sechs Menschen ohne Maske gesessen. Als sie ihn gesehen hatten, seien sie "auseinandergerückt, aufgesprungen" und hätten sich die Maske aufgesetzt. Dann hätten sie sich bei Kurz beklagt, dass sich die Menschen nicht an die Maßnahmen halten würden. Er habe dann aufgeklärt, dass genau solche Situationen für die Verbreitung von Corona verantwortlich seien.

    Für den Kanzler sei diese Sorglosigkeit teils auch verständlich: Europa habe nicht dieselbe Erfahrung und eine andere Kultur als China, wo man mit Masken aufwachse und mit Krankheitsverbreitungen vertraut sei. Die Herausforderung sei: Wie sperren wir so auf, dass es sicher ist, und ermöglichen gleichzeitig maximale Freiheit, so Kurz. Er bittet darum, "den Hausverstand einzuschalten". Dass nach acht, neun Monaten eine Müdigkeit bei der Bevölkerung da sei, sei ihm klar, es sei eine Belastung für die Bevölkerung. 

    "Wir haben in Österreich Tausende Kinder und Jugendliche, die angesteckt sind und es nicht wissen, weil sie keine Symptome haben"

    Es gibt unterschiedliche Konzepte, aber es haben sich viele Behauptungen als falsch herausgestellt, so Kurz zur Kritik an Schulschließungen, und nennt dabei, dass sich angeblich Kinder und Jugendliche nicht anstecken könnten: "Wir haben in Österreich Tausende Kinder und Jugendliche, die angesteckt sind und es nicht wissen, weil sie keine Symptome haben." Führende Wissenschaftler erklärten auch, dass Schulen einen wesentlich Teil zur Verbreitung des Virus beitragen würden. "Es ist ein schmerzhafter Schritt, es ist natürlich eine Herausforderung für die Eltern und Schüler", so Kurz über das Distance Learning. Wer es brauchen würde, für den stehe die Schule weiter offen. Der Schritt sei aber richtig, "weil wir wissen, dass der erste Lockdown gewirkt hat". Er wolle auch nicht, "dass wir in einem Lockdown light jetzt monatelang verharren müssen". 

    Wer die Möglichkeit hat, seine Kinder zuhause zu betreuen, der soll das bitte tun. Wer sie nicht hat, dem stehen die Schulen selbstverständlich offen.  Es ist "ein schwerer Eingriff, es werden harte zweieinhalb Wochen für uns alle", so Kurz. Die Regierung habe sich dazu entschieden, die Schulen und den Handel wieder als erstes nach dem Lockdown aufzusperren, und das solle am 7. Dezember geschehen. "Wir sind gut durch den ersten Lockdown gekommen, weil alle mitgemacht haben", so Kurz, man sei auf unter 50 Neuinfektionen gekommen, das sei weltweit "sensationell" gewesen. Im Winter in der kalten Jahreszeit wisse Kurz nicht, ob das noch einmal schaffbar sei.

    Auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel habe dies als Traumvorstellung bezeichnet, zweifle aber ebenfalls an der Erreichbarkeit. Die Aufgabe der Bundesländer sei, das Contact Tracing wieder perfekt vorzubereiten. Derzeit könne man ihnen keinen Vorwurf machen, denn bei Tausenden Neuinfektionen funktioniere weltweit kein Contact Tracing mehr. Er mahnte noch einmal: Je besser die Österreicher zusammenhalten und bei den Maßnahmen mitmachen würden, umso kürzer würde der harte Lockdown dauern.