Politik

Nationalsrat beschließt Reform der Krankenkassen

Trotz aller Proteste hat die VP/FP-Regierung die Reform der Sozialversicherung am Freitag im Nationalrat durchgezogen.

Heute Redaktion
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Größter Brocken der Reform ist die Fusion der neun Gebietskrankenkassen zu einer österreichischen Gesundheitskasse, wobei neun Länderstellen erhalten bleiben. Diese Gesundheitskasse schließt einen österreichweiten Gesamtvertrag für die Ärztehonorare ab. Bis 2021 sollen die Leistungen harmonisiert werden. Eine Selbstständigen-Kasse entsteht aus der Gewerblichen und der Bäuerlichen Sozialversicherung, weiters fusionieren Beamten- und Eisenbahner-Kasse. Weiter bestehen dürfen Pensionsversicherungsanstalt und die Unfallversicherung AUVA.

Der Abänderungsantrag zur Führungsebene des neuen Dachverbandes kam in letzter Minute. Das ursprünglich von der Regierung geplante Rotationsprinzip das sieben verschiedene Vorsitzende in fünf Jahren gebracht hätte, wurde nach Gesprächen mit den Sozialpartnern verworfen. Nun kommt ein Führungsmodell mit zwei fixen Vorsitzenden, die aus dem Kreis der fünf neuen Sozialversicherungsträger gewählt werden.

Die Fetzen flogen

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Bei der Debatte der Kassenreform flogen die Fetzen. Zahlreiche tatsächliche Berichtigungen, persönliche Erwiderungen und Geschäftsordnungsmeldungen führten zu einer zerhackten und untergriffigen Diskussion, die auch den ein oder anderen Ordnungsruf durch den Vorsitz führenden Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka (VP) zur Folge hatte. Ein kleines Beispiel zum Charakter der Debatte: "Ehe der Hahn zwei Mal kräht, hast du die Arbeitnehmer drei Mal verraten", meinte Ex-Sozialminister Alois Stöger (SP) in Richtung von ÖAAB- und VP-Klubobmann August Wöginger.

Selbstbehalte und Ambulanzgebühren

SP-Klubobfrau - und Ex-Gesundheitsministerin - Pamela Rendi-Wagner bestritt, dass mit der Reform die Sozialversicherung schlanker werde, wie ÖVP und FPÖ behaupten. Vielmehr werde mit der Österreichischen Gesundheitskasse eine zusätzliche Verwaltungsebene eingezogen, die als einziges Ziel eine neue Machtstruktur habe. Sie befürchtete, dass nach der von der SPÖ vermuteten Umfärbung in den Gremien Selbstbehalte, Ambulanzgebühren und Leistungseinschränkungen folgen würden. So sei der heutige Beschluss auch "brandgefährlich". Die Gesundheitsfinanzierung werde aufs Spiel gesetzt.

Reform ein "Pflanz"

Auch Neos-Klubchefin Beate Meinl-Reisinger regte sich auf. Die Reform sein ein "Pflanz". Der heutige Beschluss bringe nur türkisen und blauen Funktionären Vorteile. Die Versicherten würden keine besseren Leistungen erhalten, auch nicht mehr Kassenärzte. Zudem bleibe die ÖVP-Klientel wie Beamte und Bauern ausgeklammert.

"Die größte Reform"

"Heute ist ein denkwürdiger Tag, wir schreiben Geschichte", jubelte hingegen Sozialministerin Beate Hartinger (FP) über "die größte Reform der Zweiten Republik", um gleich zu versichern, dass ihr Ziel immer gewesen sei, die Sozialversicherung für die Versicherten zu reformieren. Die einzigen Verlierer jetzt seien die Funktionäre. Dagmar Belakowitsch, ebenfalls von der FPÖ, meinte in Richtung Gewerkschaft und SPÖ-Klub: "Ich bin ja schon froh, dass Sie heute nicht mit dem Pflasterstein gekommen sind." Die Kassenfunktionäre sollten nicht auf die Straße gehen, sondern die Patienten behandeln. Warum demonstriert wird, ist für Belakowitsch klar: "Die roten Bonzen sind die Verlierer."

Zurückgewiesen wurden die SPÖ-Behauptungen, dass Einschnitte für die Patienten unmittelbar bevorstünden: "Wir schließen keine Einrichtungen und kürzen auch keine Leistungen", meinte Wöginger, der die Reform zusammen mit Hartinger-Klein verhandelt hatte.

Die derzeit 21 Träger werden auf fünf reduziert, der Hauptverband zu einem Dachverband und die Zahl der Funktionäre geschrumpft.

Die neun Gebietskrankenkassen (sowie weitere Betriebskrankenkassen) werden zur Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) zusammengefasst. Den dort Versicherten soll das gleiche Leistungen für gleiche Beiträge bringen. Es wird nur noch eine Stelle für die Beitragseinhebung mit Budget- und Personalhoheit geben, die ÖGK schließt einen österreichweiten Gesamtvertrag für die Ärztehonorare ab. Bis 2021 sollen die Leistungen harmonisiert werden.

Bauern und Unternehmer kommen in der neuen Sozialversicherungsanstalt der Selbstständigen (SVS) zusammen, dritter Sozialversicherungsträger wird die Versicherungsanstalt für den öffentlichen Dienst, Eisenbahn und Bergbau (BVAEB). Die Pensionsversicherungsanstalt (PV) bleibt bestehen, ebenso die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA), die punkto Unfälle aber nicht mehr für die Unternehmer zuständig sein wird.

Weiters wird die Zahl der Kassenfunktionäre reduziert: statt mehr als 2.000 sollen es künftig nur noch rund 480 sein. Die Zahl der Verwaltungsgremien schrumpft von 90 auf 50. Der Hauptverband der Sozialversicherungsträger wird "verschlankt" und zu einem Dachverband umgebaut, der nur mehr koordinierende Aufgaben für die Sozialversicherungen übernehmen soll. Den Vorsitz dort üben zwei Obleute als Doppelspitze aus. Sie werden aus dem Kreis der zehn Obleute und Stellvertreter der fünf neuen Sozialversicherungsträger gewählt.

Der weitere Fahrplan: Das Gesetz kann per 1. Jänner 2019 in Kraft treten. Mit 1. April 2019 werden pro Träger Übergangsgremien zur Vorbereitung des Fusionsprozesses eingesetzt und neue leitende Mitarbeiter gesucht. Mit gleichem Datum will die Regierung die verordnete "Ausgabenbremse" bei den Sozialversicherungen wieder aufheben. Ab 1. Jänner 2020 soll die neue Kassenstruktur dann gültig sein.

(GP)