Österreich

Wie konnte Mordverdächtiger 53 Jahre staatenlos leben?

Heute Redaktion
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(Symbolfoto) Der 53-jährige Mordverdächtige soll jahrzehntelang ohne Staatsbürgerschaft in Niederösterreich gelebt haben.
(Symbolfoto) Der 53-jährige Mordverdächtige soll jahrzehntelang ohne Staatsbürgerschaft in Niederösterreich gelebt haben.
Bild: picturedesk.com

Nach der Bluttat in Neudorf (Mistelbach) laufen die Ermittlungen auf Hochtouren. Warum lebte der 53-jährige Verdächtige ohne Staatsbürgerschaft in Österreich?

Die blutige Serie an Frauenmorden reißt nicht ab. In Neudorf im Weinviertel steht der 53-jährige Alexander C. unter dringendem Tatverdacht, am Sonntagabend seine 48-jährige Freundin Alexandra aus Eifersucht mit einem Küchenmesser getötet zu haben ("Heute.at" hat berichtet). Die Ermittlungen laufen derzeit auf Hochtouren.

In Österreich als Kind deutscher Eltern geboren

Laut ersten Berichten wurde der Verdächtige Alex C. als Kind einer österreichischen Mutter und eines dänischen Vaters in Österreich geboren, soll jedoch seit 53 Jahren über keine Staatsbürgerschaft verfügen, also staatenlos in Österreich leben. Geht das überhaupt?

Staatenlosigkeit praktisch unmöglich

"Das ist eigentlich nicht möglich", bestätigt ein Mitarbeiter der Zentralen Ausländerbehörde in Regensburg (Bayern) auf "Heute.at"-Anfrage. Denn, gleich wie in Österreich, gilt auch bei unseren Nachbarn traditionell das Recht der Abstammung (ius sanguinis – wörtlich: Recht des Blutes). Das bedeutet: Ein Kind wird mit der Geburt Deutsche oder Deutscher, wenn die Mutter oder der Vater oder beide deutsche Staatsbürger sind - ganz gleich, wo auch immer es geboren wird.

Wurde Geburtsanzeige verschlampt?

"Sobald die Geburtsanzeige eingebracht wird, wird auch die Staatsbürgerschaft eingetragen", heißt es von offizieller Stelle. Könnte es Ausnahmen geben? Könnte die Anzeige womöglich verschlampt worden sein? "Möglich, aber unwahrscheinlich". Für genaue Informationen müsste man sich - im Fall von Alex C. - an das Bundesverwaltungsamt in Köln wenden, denn "jeder Fall sei unterschiedlich".

Fotos: Wieder Bluttat an Frau in Niederösterreich

Prinzipiell gilt: Staatenlos ist, wer unter nationalen Gesetzen keine Staatsbürgerschaft eines Landes besitzt. Es ist allerdings möglich, auf seine Staatsangehörigkeit zu verzichten, jedoch nicht völlig, nur im Tausch. Sollte man beispielsweise über eine Doppelstaatsbürgerschaft verfügen, da die Eltern aus unterschiedlichen Ländern stammen, wäre der Verzicht auf eine der beiden Staatsbürgerschaften möglich. Jedoch nicht auf beide.

Wie werden Menschen staatenlos?

Wie die UNHCR auflistet, können Menschen durch eine Reihe von staatlichen, politischen, rechtlichen, technischen oder auch administrativen Maßnahmen oder Versäumnissen staatenlos werden, z.B.:

- Transfer von Gebieten oder der Hoheitsgewalt eines Staates. Dies kann bedeuten, dass den Bürgern die Staatsbürgerschaft ihres früheren Staates aberkannt wird und sie damit staatenlos werden

- willkürlicher Entzug der Staatsbürgerschaft von Einzelpersonen oder Gruppen durch die Regierung

- administrative Versäumnisse, Missverständnisse oder inkompatible Gesetze, z.B. wenn ein Kind in einem Staat geboren wird, der die Staatsbürgerschaft ausschließlich nach dem Abstammungsprinzip vergibt, das Land, aus dem die Eltern stammen, diese aber nur bei Geburt auf seinem Hoheitsgebiet gewährt

- administrative oder Verfahrensprobleme wie überhöhte Gebühren, unrealistische Fristen, fehlende Prüfungsmechanismen oder Einspruchsmöglichkeiten sowie ausbleibende Information von Personen über notwendige Registrierungen und andere Pflichten

- individueller Verzicht auf die Staatsbürgerschaft, ohne zuvor eine andere angenommen zu haben

- Aberkennung der Staatsbürgerschaft bei Heirat oder Scheidung eines Paares unterschiedlicher Herkunft

- fehlende Registrierung von Neugeborenen, so dass ihre Herkunft nicht nachvollziehbar ist

- Geburt eines Kindes staatenloser Eltern

12.000 Staatenlose in Österreich

Wie viele Menschen in Österreich staatenlos sind, lässt sich nicht eindeutig belegen. Insgesamt wurden 2016 knapp 12.000 Personen von der Statistik Austria als staatenlos oder mit ungeklärter oder unbekannter Staatsbürgerschaft geführt. Die Dunkelziffer derer soll jedoch viel größer sein.

Staatenlose haben oft massive Probleme im Alltag: Sie dürfen aufgrund fehlender Dokumente häufig nicht arbeiten, kein Bankkonto eröffnen, nicht reisen oder heiraten.

Warum der in Neudorf im Bezirk Mistelbach festgenommene und tatverdächtige Alexander C. offenbar jahrzehntelang "unter dem Radar" leben konnte, werden die polizeilichen Untersuchungen zeigen. Am Montag wird er in die Justizanstalt Korneuburg überstellt. Es gilt die Unschuldsvermutung.