Franz-Stefan Gady

"Gebietsverluste": Experte hat düstere Ukraine-Prognose

Die USA haben ihr Ukraine-Hilfspaket auf Schiene gebracht. An einigen Frontabschnitten kommt das zu spät, weiß Militäranalyst Franz-Stefan Gady.

Roman Palman
"Gebietsverluste": Experte hat düstere Ukraine-Prognose
Ein ukrainischer Soldat bei einer Funkdurchsage vor dem Abfeuern einer Haubitze vom Typ 2S22 Bohdana. Archivbild, Juni 2023.
Evgeniy Maloletka / AP / picturedesk.com

Nach monatelanger Blockade durch die von Donald Trump an den extremen Rand gesteuerten Republikaner hat das US-amerikanische Repräsentantenhaus endlich das dringend benötigte Hilfspaket für die Ukraine verabschiedet. Die Zustimmung des US-Senates steht zwar noch aus, das wird aber von den meisten als reine Formsache gesehen. Dennoch kann ein solcher Instanzenlauf auch nach hinten losgehen, wie die EU-Staaten erst im März beim Renaturierungsgesetz gezeigt haben.

Die Ukraine hat die freigegebenen Milliarden jedenfalls bitter nötig. Die Hilfslieferungen könnten auch bald an der Front eintreffen. "Es ist wichtig, zu verstehen, dass diese Hilfslieferungen in zwei Bereichen unmittelbar helfen werden. Artilleriemunition und Flugabwehrmunition", sagt Militäranalyst Franz-Stefan Gady am Montag im "Ö1 Morgenjournal". Erstere könnte bereits innerhalb weniger Tage, Wochen in die Geschütze geladen werden. Bei Zweiterer werde es "in limitierter Quantität etwas länger dauern".

Diese schnelle Auslieferung sei möglich, weil ein Teil der Munition bereits auf polnischem Staatsgebiet vorgelagert worden sei. Weitere Aspekte des Hilfspakets – zusätzliche Waffenplattformen, Gerät – würden dann erst "über die kommenden Monate" zu tragen kommen, weiß der 41-Jährige, der sich erst im Februar und März an der ukrainischen Front selbst ein Bild der Lage verschafft hatte.

Der Militärexperte Franz-Stefan Gady bei einem früheren Auftritt in der ZIB2.
Der Militärexperte Franz-Stefan Gady bei einem früheren Auftritt in der ZIB2.
Screenshot ORF

Zuletzt hatte die Ukraine immer dringlicher um Flugabwehrmunition gebeten ("Helft uns, unseren Himmel zu schützen"), nachdem Wladimir Putin die Angriffe mit Drohnen und Raketen auch auf zivile Infrastruktur wie Kraftwerke zuletzt wieder intensivieren ließ. Jetzt dürfen die Landesverteidiger auf Nachschub bei Langstrecken-Flugabwehrraketen und -Munition hoffen.

"Verschnaufpause für Europa"

"Da gibt es wirklich Kategorien von Waffensystemen und dementsprechenden Raketen, die nur von den Amerikanern geliefert werden können", sagt Gady. "Überwiegend" sei hier aber auch Europa gefragt, für weiteren Nachschub zu sorgen: "Man muss hier klar sagen, dass dieses Hilfspaket Europa quasi eine Verschnaufpause von einigen Monaten gibt. Aber in derartiger Größe und in diesem Ausmaß wird es wahrscheinlich in naher Zukunft nicht mehr der Fall sein, dass die Amerikaner die Ukrainer unterstützen können."

Das Paket sichere den Ukrainern zumindest einmal für die nächsten 12 Monate im Bereich der Artilleriemunition ("was wirklich die wichtigste Kategorie ist in diesem Krieg") die Möglichkeit zu, eine defensive Strategie gegenüber den russischen Aggressoren durchzuführen. Diese Kalkulation würde aber auch inkludieren, dass die europäischen Staaten ihre Munitionsproduktion hochfahren und künftig auch einen größeren Anteil der Lieferungen übernehmen.

"Müssen mit Gebietsverlusten rechnen"

Doch kommt das Paket überhaupt noch rechtzeitig? Zuletzt hatten sich die Befürchtungen gemehrt, die Ukraine könne dem russischen Ansturm an der Front womöglich nicht mehr lange genügend entgegenzusetzen, um diesem standzuhalten. Gady: "Die Situation an der Front ist nach wie vor extrem kritisch". Zwar habe er bei seinem Besuch nie gesehen, dass die Frontlinie unmittelbar vor einem Kollaps stehe, doch für einige Abschnitte könnten die Munition zu spät kommen.

So sieht es in einer US-Munitionsfabrik aus

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    Blick in das Scranton Army Ammunition Plant (SCAAP) und auf den Produktionsprozess (16. April 2024).
    Blick in das Scranton Army Ammunition Plant (SCAAP) und auf den Produktionsprozess (16. April 2024).
    CHARLY TRIBALLEAU / AFP / picturedesk.com

    "Wir müssen mit Gebietsverlusten rechnen", so die düstere Prognose des österreichischen Militärexperten. "Ich möchte auch unterstreichen: Das wichtigste Defizit für die ukrainischen Streitkräfte ist nicht die Munition im Moment. Das ist das Personal." Es brauche "einige Monate", um die nötigen Truppen zu mobilisieren. In Summe brauche die Ukraine nach Gadys eigenen Berechnungen rund 300.000 zusätzliche Soldaten. Das Hilfspaket verschaffe auch hier Zeit, die Lücken zu füllen.

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    Doch bleibt es bei Munitionslieferungen, oder könnte der Westen auch bald Soldaten in die Ukraine schicken, wie der französische Präsident Emmanuel Macron zuletzt angedeutet hatte?

    Der Militäranalyst stellt die in Folge von FPÖ und Co. gemalten Schreckgespenster klar: Der Konsens sei weiterhin: Keine NATO-Truppen in der Ukraine.

    Hinter Macrons Aussagen stehe vor allem strategische Ambiguität: "Hier geht es vor allem darum, den Gegner [Russland] im Unklaren zu lassen, was man gewillt ist, im Falle einer Eskalation zu tun."

    Macron habe mit seinen Aussagen eine wichtige Debatte angestoßen, so Gady weiter, "die sollte aber intern geführt werden – oder hätte intern geführt werden sollen." Dennoch, die NATO müsse sich jetzt damit befassen, was die eigene Reaktion im Falle einer russischen Eskalation oder eines größeren Frontzusammenbruchs in der Ukraine sein könnte.

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      IMAGO/osnapix; IMAGO/Eibner; IMAGO/BSR Agency

      Auf den Punkt gebracht

      • Das US-Repräsentantenhaus hat ein Hilfspaket für die Ukraine verabschiedet, das unter anderem Artilleriemunition und Flugabwehrmunition umfasst
      • Die Ukraine benötigt dringend diese Hilfslieferungen, um sich gegen die russische Aggression zu verteidigen
      • Trotzdem bleibt die Situation an der Front weiterhin kritisch, da auch ein Mangel an Personal besteht
      • Es wird diskutiert, ob der Westen auch Soldaten in die Ukraine schicken sollte, jedoch bleibt der Konsens, dass keine NATO-Truppen in die Ukraine entsandt werden sollen
      rcp
      Akt.