Franz-Stefan Gady

Nicht Munition! Experte enthüllt größtes Problem Kiews

Der Ukraine geht die Munition aus. Analyst Franz-Stefan Gady hat zwei noch größere Probleme identifiziert und warnt nun vor ihren fatalen Folgen.

Roman Palman
Nicht Munition! Experte enthüllt größtes Problem Kiews
Ein ukrainischer Panzer feuert auf russische Stellungen in Tschassiw Jar, Oblast Donzek, nahe Bachmut am 29. Februar 2024.
Efrem Lukatsky / AP / picturedesk.com

Militäranalyst Franz-Stefan Gady (41) ist keiner, der den Krieg in der Ukraine bloß von seinem Armsessel aus kommentiert. Regelmäßig reist der Österreicher auch an die Front, spricht dort mit Soldaten aller Ränge. 

Die Moral der ukrainischen Verteidiger sei "noch immer sehr gut", berichtet er nun von seinem jüngsten Schlachtfeldbesuch – vom Raum Awdijiwka, über Bachmut bis Lyman – im Februar und März dem "Standard". Natürlich sei auch eine gewisse Müdigkeit spürbar, da viele Soldaten seit Monaten ohne Ablöse im Kampfeinsatz stehen würden.

Von Russen erobert: So zerstört ist Awdijiwka (20.02.2024)

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    Die ukrainische Armee musste nach vier Monaten verlustreichen Kampfes die Verteidigung von Awdijiwka aufgeben. 
    Die ukrainische Armee musste nach vier Monaten verlustreichen Kampfes die Verteidigung von Awdijiwka aufgeben.
    IMAGO/ITAR-TASS

    Dabei lässt er auch eine Bombe platzen: Die fehlenden Granaten seien entgegen der im Westen weit verbreiteten Meinung gar nicht das größte Problem der Ukraine. "Das Narrativ [...] kann ich so nicht bestätigen", stellt Gady klar. Was der Führung in Kiew aus seiner Sicht viel mehr zu denken geben sollte: "Erstens der zunehmende Personalmangel, zweitens die mangelnden Befestigungsanlagen."

    Ukraine braucht Mobilmachung

    Präsident Wolodimir Selenski und die Regierung müssten sich politisch dazu durchringen, mehr Bürger für den Kriegseinsatz zu mobilisieren und bis in den Herbst der Truppe zuzuführen. Ohne eine solche Einberufungswelle laufe die Armee in Gefahr, ihre schweren Verluste nicht mehr ausgleichen zu können. Mit potenziell fatalen Folgen.

    Militärexperte Franz-Stefan Gady in der ZIB2, Archivbild April 2023.
    Militärexperte Franz-Stefan Gady in der ZIB2, Archivbild April 2023.
    Screenshot ORF

    "Das Gleichgewicht würde sich dann immer mehr zugunsten Russlands verschieben. Wegen der mangelnden Personalreserven der Ukrainer könnte es dann zu einem tieferen Durchbruch kommen", weiß der Analyst, der auch am Londoner Institute for International Strategic Studies (IISS) tätig ist.

    Es fehlt an Verteidigungswällen

    Ebenso räche sich nun die Verzögerungen bei der Errichtung weitläufiger Befestigungsanlagen im Hinterland. Dies wird nun unter Hochdruck nachgeholt, doch der Ukraine fehlt es an den Pionier-Maschinen, die sich zeitnah durch tausende Kilometer Erde graben könnten. 

    Drachenzähne, Gräben – Ukraine baut massive Verteidigungsanlagen

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      Eiligst versucht die Ukraine im März 2024, die gesamte Front mit Verteidigungsanlagen zu befestigen.
      Eiligst versucht die Ukraine im März 2024, die gesamte Front mit Verteidigungsanlagen zu befestigen.
      SERGEY BOBOK / AFP / picturedesk.com

      2024 sei das Jahr, in dem die Ukrainer nachholen müssen, was die Russen bereits 2023 geschaffen haben. Die Invasoren hatten damals die sogenannte "Surowikin-Linie" (anfangs noch "Wagner-Linie") quer durch das Land gezogen. An diesem mehrstufigen Verteidigungswall hatte sich dann die ukrainische Armee bei ihrer Sommer-Offensive die Zähne ausgebissen.

      BILDSTRECKE: Putin-Truppen graben "Wagner-Linie" quer durch Ukraine

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        Mehrere Reihen von Betonblöcken ziehen sich mittlerweile kilometerweit durch den Osten der Ukraine.
        Mehrere Reihen von Betonblöcken ziehen sich mittlerweile kilometerweit durch den Osten der Ukraine.
        Screenshot RIAFAN

        "Es wäre auf jeden Fall notwendig, ein ukrainisches Pendant zur Surowikin-Linie zu bauen", mahnt Gady Kiew. Die Zeit dafür laufe aber rasant ab. "Es ist unrealistisch, dass dies innerhalb weniger Wochen gelingt." Doch Drachenzähne, Stacheldraht und tiefe Gräben sind längst nicht alles, was es bräuchte. "Die Ukraine hat außerdem nach wie vor ein Defizit an Panzer- und Antipersonenminen."

        Riesige Minenfelder in Ukraine sind Todesfalle für Zivilisten

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          Getreidefarmer Oleksandr Klepach vor seinem von einem Schützengraben völlig zerfurchten Feld in Snihuriwka, Oblast Mykolajiw, im Februar 2023.
          Getreidefarmer Oleksandr Klepach vor seinem von einem Schützengraben völlig zerfurchten Feld in Snihuriwka, Oblast Mykolajiw, im Februar 2023.
          REUTERS/Lisi Niesner

          "Noch ist Situation nicht prekär"

          Der vielfach kommentierte Munitionsmangel sei derweil "im Moment noch nicht kritisch". Weder dieser, noch das Fehlen an frischen Soldaten oder eines fertigen Bollwerks sei aktuell kriegsentscheidend. Doch sollte 2024 das Jahr der Verschnaufpause werden, die Ukraine aus einer Verteidigungsposition heraus Kraft für einen neuen Gegenschlag 2025 sammeln. Doch davon sei man derzeit weit entfernt, analysiert der 41-Jährige nüchtern. 

          Die größte Gefahr ist aktuell, dass die rudimentären Verteidigungsanlagen von der russischen Armee umgangen und eingeschlossen werden. Dann könnte auch ein Durchbruch drohen: "Noch ist die Situation nicht wirklich prekär, das kann sich aber in den kommenden Monaten ändern, wenn die Probleme nicht bald gelöst werden".

          Russen pimpen Panzer mit Sandsäcke: T-72 im Ukraine-Einsatz

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            Ein russischer <strong>T-72B3</strong> im Kampfeinsatz in der Ukraine – dieser Panzer aus den 1970er Jahren wurden offenbar mit Sandsäcken modernisiert.
            Ein russischer T-72B3 im Kampfeinsatz in der Ukraine – dieser Panzer aus den 1970er Jahren wurden offenbar mit Sandsäcken modernisiert.
            IMAGO/ITAR-TASS

            Neuer Armee-Chef unbeliebt

            Kann der neue Armeechef Olexander Sirski diese rechtzeitig lösen und den Schwenk zu einer Verteidigung, die den Russen weitaus mehr Verluste zufügt, als man selbst einstecken muss, schaffen? Das bleibt abzuwarten. Gady: "Die Meinungen sind da sehr geteilt, weil Sirski als Mensch sehr polarisiert. Unter den Soldaten gilt er als Offizier sowjetischer Schule, der militärische Disziplin rigoros durchsetzt. Beliebt ist er nicht".

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              IMAGO/osnapix; IMAGO/Eibner; IMAGO/BSR Agency

              Auf den Punkt gebracht

              • Franz-Stefan Gady, ein Militäranalyst und Experte, betont nach einem Besuch an der Front in der Ukraine, dass die fehlenden Granaten nicht das größte Problem des Landes seien
              • Vielmehr führt er den zunehmenden Personalmangel und die unzureichenden Befestigungsanlagen als Hauptprobleme an, die die ukrainische Armee in Gefahr bringen könnten, den Verlust an Boden gegenüber Russland weiter zu verschärfen
              • Gady warnt davor, dass die Situation prekär werden könnte, wenn diese Probleme nicht bald gelöst werden
              rcp
              Akt.