Welt

"Sie hat kein einziges Mal nach ihrem Baby gefragt"

Lucia (11) aus Argentinien wurde vergewaltigt und geschwängert. 20 Minuten sprach mit der behandelnden Ärztin des Mädchens.

13.09.2021, 17:53
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Das elfjährige Mädchen aus dem Norden Argentiniens, das vom Partner seiner Großmutter vergewaltigt und daraufhin schwanger geworden war, durfte vergangenen Mittwoch das Krankenhaus verlassen. Ende Februar hatten die Frauenärztin Cecilia Ousset und ihr Mann José Gijena einen Kaiserschnitt an der Elfjährigen vorgenommen. Das Baby kam mit 650 Gramm in der 23. Schwangerschaftswoche zur Welt. Am Freitag vor einer Woche starb es. "20 Minuten" hat mit Cecilia Ousset gesprochen. Wie geht es dem Mädchen? Lucia geht es den Umständen entsprechend gut. Sie ist zu einem Verwandten gezogen, der ab jetzt ihr gesetzlicher Vormund ist. Ihre Mutter darf sie besuchen, aber das Mädchen wird vorläufig weder bei seiner Mutter noch bei seiner Großmutter wohnen. Ich glaube, die Behörden haben eine gute Lösung für sie gefunden, denn das Kind wohnt nun in einem gesunden Umfeld. Und wie geht es ihr psychisch? Auch etwas besser, zumindest besser, als sie noch schwanger war. Die Schwangerschaft war für Lucia eine unerträgliche Last.

Hat sie jemals verstanden, was mit ihr passierte? Ja, sie wusste es ganz genau. Natürlich drückte sie sich mit ihren eigenen Worten aus. Sie wusste, dass ein Kind in ihr heranwächst. Sie nahm es aber als ein Ding wahr, fast schon als eine Art Ungeziefer, von dem wir sie befreien sollten. Aber von der Schwangerschaft wusste sie nicht, bis ihre Mutter sie zum ersten Mal im Januar zum Arzt brachte. Genau. Die Mutter brachte sie in eine kleine Ärztepraxis in ihrem Dorf, weil Lucia über starke Bauchschmerzen klagte. Da war sie bereits in der 16. Schwangerschaftswoche. Weder das Mädchen noch seine Mutter wussten zu jenem Zeitpunkt von der Schwangerschaft. Aber wusste die Mutter, dass ihre Tochter vom Partner der Großmutter regelmäßig vergewaltigt worden war? Nein, anscheinend hatte sie keine Ahnung davon. Auch die Großmutter will nie etwas bemerkt haben. Wie reagierte Lucia auf den Tod ihres Babys vorletzten Freitag? Ich glaube, davon weiß sie nicht einmal. Sie hat nach dem Kaiserschnitt kein einziges Mal nach dem Baby gefragt. Sie wollte nichts damit zu tun haben. Sie hat ihre Schwangerschaft nie im Sinn einer künftigen Mutterschaft wahrgenommen. Wird sie in Zukunft ein normales Leben führen? Ich denke schon. Wir haben alle die Fähigkeit, unser Leben nach einer Tragödie wieder aufzubauen. Und Lucia ist ja noch klein. Sie wird jetzt von Fachpersonen betreut, sie wird das schon schaffen. Wird sie als Erwachsene Kinder haben können? Ja, sicher. Bei ihrem Kaiserschnitt gab es keinerlei Komplikationen. Auch danach gab es keine Infektionen oder Läsionen. Sie wird eines Tages Mutter sein können, wenn sie das will. Was ist mit dem Partner der Großmutter passiert? Er befindet sich in Untersuchungshaft. Beim Schwangerschaftsabbruch habe ich ein Stück der Nabelschnur und der Plazenta ins Labor für einen DNA-Test geschickt. So wird man die Vaterschaft bestätigen können. Damit hat die Justiz genug Beweismaterial, um den Mann wegen Vergewaltigung zu verurteilen. Apropos Justiz, Ihr Ehemann und Sie selber wurden nach dem Tod des Babys von einer Gruppe Abtreibungsgegnern wegen vorsätzlicher Tötung angezeigt. Was bedeutet das für Sie? Tatsächlich liegt gegen meinem Mann und mir eine Strafanzeige vor. Aber wir haben keine Angst, uns wird nichts passieren. Wir mussten wirklich laut lachen, als wir davon erfuhren. Die Anzeige ist so absurd, dass sie möglicherweise vor Gericht zurückgewiesen wird. Wie konnte es zu dieser absurden Anzeige kommen? Aus zwei Gründen: einerseits, weil viel Unwissen in diesem Fall herrscht. Viele Abtreibungsgegner haben offenbar keine Kenntnis von einem Gesetz aus dem Jahr 1921, das einen Schwangerschaftsabbruch erlaubt, wenn die Mutter vergewaltigt wurde oder ihr Leben in Gefahr ist. Sie meinen, weil im August letzten Jahres ein Gesetzesentwurf zur Legalisierung von Abtreibungen in Argentinien im Senat abgelehnt wurde, dass nun alle Abtreibungen illegal sind. Andererseits ist das eine Strategie, um Ärzte zu terrorisieren. Und leider funktioniert sie, denn viele meiner Arbeitskollegen haben heutzutage Angst, legale Abtreibungen durchzuführen, weil sie danach mit Anzeigen zu rechnen haben. Was ist die politische Motivation der Abtreibungsgegner? Das sind in den meisten Fällen katholische Fundamentalisten, Mitglieder des Opus Dei oder Evangelisten. Sie behaupten, das Leben von Mutter und Kind beschützen zu wollen. Was sie aber eigentlich bezwecken, ist, ihr rechtskonservatives Gedankengut in ärmlichen Bevölkerungsschichten zu verbreiten. Ein heuchlerisches Verhalten, denn Frauen aus mittleren oder höheren Schichten treiben in Argentinien ab, auch wenn es nicht legal ist. Das ist so. Es sind leider immer die Armen, die im Fall einer Schwangerschaft einem Martyrium ausgesetzt sind, wie es Lucia erlebte. Was wir als Ärzte machen können, ist, die Abtreibungsgegner anzuzeigen, denn sie sind es, die außerhalb von Gesetz und Recht stehen. (red)