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Gängiges Antibiotikum schädigt Erbgut massiv

Antibiotika sollen Kranke gesund machen. Doch jene aus der Gruppe der Fluorchinolone machen sie mitunter noch kränker. Nun ist klar, warum.

13.09.2021, 19:10
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Cipro (Ciprofloxacin) ist eines der am häufigsten eingesetzten Breitband-Antibiotika.
Bild: picturedesk.com

Ciprofloxacin aus der Gruppe der Fluorchinolone (früher Gyrasehemmer) ist eines der am häufigsten eingesetzten Breitband-Antibiotika. Es ist erste Wahl, weil es gegen ein breites Spektrum an Bakterien wirkt und damit einen erfolgreichen Ausgang der Therapie wahrscheinlich macht. Das Problem: Ciprofloxacin kann, ebenso wie andere Antibiotika der Gruppe, heftige und zum Teil irreparable Nebenwirkungen hervorrufen (siehe Box), wie unter anderem der Fall des Schweizers M. H.* zeigt, der nach der Einnahme des Präparats mit schweren gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hat. Die unerwünschten Begleiterscheinungen sind teils so heftig, dass die amerikanische Zulassungsbehörde FDA 2016 eine Warnung herausgab. Demnach kann die Einnahme von Fluorchinolon-Antibiotika unerwünschte Wirkungen haben, die "zur Behinderung führen und potenziell dauerhaft" seien.

"Dramatischer Effekt" auf das Erbgut Forscher der University of Eastern Finland haben nun einen ersten Anhaltspunkt gefunden, woher diese Nebenwirkungen rühren könnten. Wie sie im Fachjournal "Nucleic Acids Research" berichten, schädigt das Ciprofloxacin die DNA von Mitochondrien (mtDNA), den Kraftwerken der menschlichen Zellen.

Ciprofloxacin & Co. Das Antibiotikum ist – genauso wie andere Präparate aus der Gruppe der Fluorchinolone – für seine breite Wirkung, aber auch für seine zahlreichen und erheblichen Nebenwirkungen bekannt, darunter: - Sehnenentzündungen und -risse - Gelenk-, Muskel- und Hautschmerzen - Taubheitserscheinungen - Herzrhythmusstörungen - Leberschäden - Halluzinationen - Verwirrung - Angststörungen - epileptische Anfälle - heftige Durchfälle - Depressionen - Suizidgedanken Deshalb sollten sie eigentlich nur als Reserve eingesetzt werden, wenn andere Antibiotika versagen. Doch häufig werden sie zum Beispiel bei Harnwegsinfektionen verschrieben, die sich auch gut mit anderen Mitteln behandeln ließen. Und das, wie viele Betroffene monieren, ohne die Patienten über die möglichen Nebenwirkungen zu informieren.

Als das Team um Anu Hangas im Labor mtDNA mit dem Breitband-Antibiotikum behandelten, beobachteten sie einen "dramatischen Effekt". Dieser führte dazu, dass die Energieproduktion der Mitochondrien nachließ, wie die Hochschule mitteilt. Aus Sicht der Forscher könnte das die Nebenwirkungen erklären.

Neue Richtlinien auf dem Weg Neben den finnischen Forschern hat sich auch der Ausschuss der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA), der für die Bewertung von Sicherheitsfragen bei Humanarzneimitteln zuständig ist (PRAC), mit Antibiotika aus der Gruppe der Fluorchinolone befasst. Die Verantwortlichen empfehlen, fluorchinolonhaltige Antibiotika künftig nicht mehr zur Behandlung von leichten bis mittelschweren Infektionen einzusetzen, für die auch andere Antibiotika zur Verfügung stehen. Außerdem soll verboten werden, derartige Präparate zur Vorbeugung von Reisediarrhö oder Harnwegsinfektionen zu verschreiben. Die Empfehlungen des EMA-Ausschusses liegen nun dem Komitee für Humanarzneimittel der Europäischen Arzneimittel-Agentur vor, das das endgültige Gutachten verabschieden muss. Betroffene sind enttäuscht Auch wenn die nun vorliegenden PRAC-Empfehlungen zum Ausdruck bringen, dass die Antibiotikagruppe nicht ungefährlich ist, sind sie "aus Sicht vieler Betroffener eine große Enttäuschung", wie K.P.* sagt, der selbst an den Nebenwirkungen leidet und eine Facebook-Gruppe von Schweizer Betroffenen leitet. Die Ratschläge gehen ihm zu wenig weit. "Eines unserer wichtigsten Anliegen war, den Einsatz von Fluorchinolonen auf schwerwiegende und lebensbedrohliche Infektionen zu beschränken", sagt P. weiter. "Sie sollen aus Sicht der Betroffenen nur als Sekundär-Antibiotika eingesetzt werden." Also nur dann, wenn kein primäres Antibiotikum mehr helfe. Auch den fehlenden Hinweis auf die Möglichkeit einschränkender und langanhaltender Nebenwirkungen fehle.

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