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Heute sagt die EU May, wie lang sie bleiben muss

Bei einem Not-Gipfel der EU wird Großbritannien erfahren, wie lange man Mitglied bleiben muss, wenn man nicht übermorgen ohne Deal austreten will.

13.09.2021, 17:40
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Brexit-Gegner demonstrieren fast täglich vor dem britischen Parlament in London.
Bild: Reuters

Tagelang telefonierte Premierministerin Theresa May mit EU-Regierungschefs, besuchte sogar Angela Merkel in Berlin und Emmanuel Macron in Paris, um eine Verschiebung des Brexits auf 30. Juni zu erwirken. Oder besser gesagt, um zu erbetteln. Doch dem Vernehmen nach beißt sie allerorts auf Granit. Selbst EU-Ratspräsident Donald Tusk schrieb am Dienstag einen Brief an die Mitgliedsstaaten, indem er davon abriet, dem 30. Juni zuzustimmen. Zu groß ist die Angst (und auch die Wahrscheinlichkeit), dass sich das britische Parlament in den nächsten zweieinhalb Monaten noch immer nicht auf eine Form des EU-Austritts einigen kann. Man würde also vor dem selben Rätselraten stehen wie heute, nur hat die EU auch andere wichtige Agenden als den Brexit, der alles überschattet. May will den 30. Juni deshalb, da es ihrer Meinung nach das letztmögliche Austrittsdatum ist, ohne an den EU-Wahlen ab 23. Mai teilnehmen zu müssen. Denn am 1. Juli tritt das neue EU-Parlament erstmals zusammen.

Entscheidung am späten Abend Am Mittwochabend treten die Staats- und Regierungschefs in Brüssel zusammen, um 18.30 Uhr wird Theresa May nochmals offiziell um einen Aufschub bis 30. Juni bitten. Danach wird sie den Saal verlassen und die restlichen Staaten beraten über das weitere Vorgehen. Im Anschluss wird das Angebot an Großbritannien bekannt gegeben. Im Vorfeld ist bereits durchgesickert, dass zwei Optionen im Raum stehen: Eine Verschiebung des Brexits bis Jahresende oder bis März 2020. May wird sie annehmen müssen, ob sie will oder nicht. Denn das House of Commons, das Unterhaus des Parlaments, hat bereits mehrmals einen EU-Austritt ohne Deal (der am Freitag stattfinden würde) abgelehnt. Und am Montag wurde ein Gesetz durchgeboxt, das May vorschreibt, bei der EU um eine Verlängerung anzusuchen. Das House of Lords, das Oberhaus, modifizierte das Gesetz allerdings dahingehend, dass die Premierministerin ohne Parlament zustimmen darf, wie lange der Brexit-Aufschub dauern soll. Das würde dann einen Domino-Effekt in Großbritannien auslösen. Neuwahlen und neues Referendum Zunächst müssten die EU-Wahlen doch abgehalten werden, die Vorbereitungen dazu laufen zur Sicherheit ohnehin bereits. Doch May hatte vor einiger Zeit angekündigt, dass sie "als Premierministerin eine Verschiebung länger als den 30. Juni nicht in Betracht ziehen" könne. Dies wurde in Großbritannien so aufgefasst, dass sie zurücktreten werde, falls man bis 30. Juni die EU nicht verlassen hat. Die Folge wären Neuwahlen, die voraussichtlich an ein zweites Referendum über den EU-Austritt gekoppelt werden. Und hier gilt als wahrscheinlich, dass sich die Bevölkerung dieses Mal für einen Verbleib in der EU entscheiden wird. Denn wie mittlerweile selbst politische Brexit-Befürworter zugegeben haben, verbreiteten sie mehrere Unwahrheiten, auf denen sie ihre Kampagne aufbauten. Und laut Gerichtsurteilen verstießen sie gegen die Gesetze zur Wahlfinanzierung. Wandel in der Bevölkerung Das Ergebnis 2016 war sehr knapp: Nur 51,89 Prozent der Bevölkerung stimmte für einen EU-Austritt. Laut aktuellen Umfragen haben die EU-Befürworter aber mittlerweile die Mehrheit. Denn vor allem die ältere Generation stimmte damals für den Brexit, eine große Zahl von ihnen ist aber in den vergangenen drei Jahren verstorben. Und zahlreiche junge Menschen, die in der EU bleiben wollen, waren damals noch nicht volljährig und damit wahlberechtigt. Außerdem waren so ziemlich alle überzeugten EU-Gegner zur Wahl gegangen. Viele, die bleiben wollen, hatten aber wie so oft aus Faulheit nicht mitgemacht: Sie dachten, ihre Stimme wäre nicht nötig, da sie sich nicht vorstellen konnten, dass die Brexiter gewinnen würden. Bei einer neuen Abstimmung ist zu erwarten, dass die damalige Wahlbeteiligung von 72,2 Prozent übertroffen wird.