Wildtiere

Wal ohne Schwanzflosse - eine lebende Tragödie

Dieser verstümmelte Finnwal ist das Resultat der zwei größten Gefahren für Wale im Mittelmeer - Transportschiffe und Fischernetze.

19.06.2020, 15:44
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Traurige und zugleich erstaunliche Bilder von einem verstümmelten Finnwal. Das Tier wurde von einer Schiffsschraube und Fischernetzen schwer zugerichtet - schwimmt aber immer noch.   
© Blue Conservancy Onlus

Ein lebender Finnwal, der keine Schwanzflossen mehr hat - diese unfassbaren Bilder gehen gerade um die Welt. Es sei kaum zu glauben, dass der verstümmelte Meeresgigant nach wie vor lebt und durchs Mittelmeer schwimmt, so Experten. Das Tier wurde innerhalb weniger Tage zuerst in Griechenland und anschließend in Italien gesichtet. Das sind im Schnitt über 100 Kilometer am Tag, die der schwer verletzte Wal zurückgelegt hat.

Das Erstaunliche und zugleich tief Traurige: Die Distanz legte der Finnwal mit nichts anderem als einem Stumpf am Ende seines Körpers zurück, wo zwei Schwanzflossen (Fluken genannt) sein sollten. Er ist das lebende Opfer zwei der größten Gefahren für Wale im Mittelmeer und weltweit - Unfälle mit Transportschiffen (‚ship strikes‘) bzw. Schiffsschrauben und das Verfangen in Fischernetzen. 

Im Mittelmeer ist der Zusammenstoß mit Schiffen eine der Haupttodesursachen für Finnwale und Pottwale. 

, erklärt Meeresschutz-Experte Nicolas Entrup. Er ist seit 25 Jahren im internationalen Tier-, Arten- und Umweltschutz tätig.

Eine Flosse zerhakt, die andere in Fischernetzen abgeklemmt

Der Finnwal muss laut Experten schon seit geraumer Zeit ohne Schwanzfluken durch die Meere schwimmen. Experten haben nach Vergleichen mit Fotos und Funden von anderen, verletzten Walen eine Theorie aufgestellt, was mit dem Tier passiert sein könnte, so IFAW (International Fund for Animal Welfare) auf Nachfrage von "Heute" - die Tierschutzorganisation agiert international und erfuhr von Partner-Organisationen im Mittelmeer von dem Finnwal. Zunächst soll dem Wal eine seiner Fluken von einer Schiffsschraube abgeschnitten worden sein. Das Tier wurde in der Vergangenheit mehrmals mit nur einer Schwanzflosse gesichtet, so IFAW.

Als wäre das nicht schlimm genug scheint das Tier mit der verbliebenen, zweiten Schwanzfluke einige Zeit später in Fischerleinen geraten zu sein und sich darin verfangen zu haben. Die schweren Fischernetze quetschten die verbliebene Flosse so stark ab, dass die Blutzufuhr abgeschnitten wurde und die Fluke abstarb. Wäre die gesamte Flosse auf einmal von einer Schiffsschraube abgehakt worden, wäre der Wal, wie jährlich unzählige andere seiner Artgenossen weltweit, verblutet, erklärt IFAW. 

Finnwal ohne Schwanzflosse bei Straße von Messina südlich von Sizilien gesichtet:

Finnwal stirbt vermutlich

Der beeindruckende Meeresgigant wird sichtlich immer dünner. Es sei offensichtlich, dass das Tier in den vergangenen Wochen oder Monaten zu wenig Futter aufgenommen habe. Ohne seine Schwanzfluken könne der Wal weder bei der Futtersuche/Futteraufnahme beschleunigen noch untertauchen. Vermutlich stirbt er gerade langsam vor unseren Augen, attestiert IFAW. 

Einen Funken Hoffnung, dass der Finnwal überlebt, gibt allerdings die Tatsache, dass er schon eine geraume Zeit mit diesen schweren Verletzungen zu leben scheint und immer noch große Distanzen zurücklegt, so Nicolas Entrup. Auch "wenn es reine Spekulation ist, ob das mittel- oder langfristig gelingt", so der Meeresschutzexperte:

Es ist eine Wunderleistung, dass das Tier weiterhin schwimmen und überleben kann. Unglaublich, welche Stärke das Tier hat. Diese Tatasache ist der große Hoffnungsschimmer. 

Schiffe und Fischernetze = Todesfallen für Wale

Der Schiffsverkehr wird immer dichter - mehr als 80% des globalen Güterverkehrs führen heute über Wasserwege - Tendenz steigend. Zusammenstöße zwischen Schiffen und Walen (ship strikes) häufen sich. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen zudem - je schneller ein Schiff fährt, desto schwerwiegender sind die Verletzungen für den Wal. Die Meeresschutzorganisation "Ocean Care" fordert darum seit Jahren eine Temporeduktion für die Schifffahrt. Die meisten tierischen Opfer von "ship strikes" bekomme der Mensch so gut wie nie zu Gesicht. 

Unzählige Wale, wie dieser Pottwal, werden Opfer von Schiffskollisionen "ship strikes". 
© Pelagos Cteacean Research Institute_A.Frantzis
Wir können das Ausmaß nur erahnen, denn nur ein Bruchteil der betroffenen Tiere wird an einen Strand gespült und somit sichtbar für uns Menschen.

, so Meeresschutz-Experte Entrup. Hot-Spots für Zusammenstöße zwischen Tier und Tansportschiff seien der Hellenische Tiefseegraben westlich von Griechenland, die Balearen und der östliche Alborán-See. Das Verfangen in Fischerleinen stelle eine weitere, tödliche Gefahr für Wale weltweit dar. Die im Wasser hängenden, schweren Fischernetze verfangen sich oft im Maul der Wale oder wickeln sich um ihre Extremitäten und weiter:

Die Tiere können sich so nicht mehr frei bewegen und die Blutzirkulation in den Extremitäten wird abgeschnitten, was letztendlich zum Absterben und Abfallen der Fluken führen kann.

Finnwal in Griechenland gesichtet

Unterwasserlärm, hoher CO2-Ausstoß

Neben der Gefahr, von einer Schiffsschraube zerhakt zu werden, verursacht die Schifffahrt außerdem enormen Unterwasserlärm. Dies hat fatale Folgen für die auf das Hören angewiesenen Meerestiere. Die Meeresschutzorganisation Ocean Care kritisiert zudem, dass die Schifffahrt auch aus Klimaschutz-Sicht bedenklich sei, weil sie einen hohen Ausstoß an "umwelt- und gesundheitsschädlichen Schwefelgasen (13% des weltweiten Ausstoßes) und Stickoxiden (15% des weltweiten Ausstoßes), sowie von Schallemissionen verursache. "Seit 1990 nahm der CO2-Ausstoß dieses Sektors um 70% zu, und bis 2050 wird er, je nach Umsetzung oder Ausbleiben von Maßnahmen, um 50 bis 250% steigen und bis zu prognostizierten 17% des weltweiten Gesamtausstoßes ausmachen", so Ocean Care.

Eine Temporeduktion von nur 10% (beispielsweiße 1,5 Knoten) würde 13% weniger CO2-Ausstoß, 40% geringere Lärmbelastung unter Wasser und ein 50% geringeres Risiko eines Zusammenstoßes mit Waltieren bedeuten

, rechnet die Organisation vor. Nicolas Entrup setzt sich gemeinsam mit Ocean Care  nicht nur für eine Temporeduktion in der Schifffahrt ein, sondern startete 2019 gemeinsam mit Experten verschiedener europäischer Forschungsinstitute auch das Projekt „SAvE Whales“ (SAvE = “System for the Avoidance of ship-strikes with Endangered Whales”). Das Ziel: Die Entwicklung von Frühwarnsystemen für die Echtzeit-Lokalisierung von Pottwalen und die Realtime-Übertragung an Küstenwache und Schiffskapitäne, um Kollisionen zu vermeiden. 

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