Szene

"The Act of Killing": Schockierende Oscar-Doku

Heute Redaktion
14.09.2021, 15:21

Keine meiner Übertreibungen war so maßlos wie die Wirklichkeit, sagte der Skandaldramatiker Peter Turrini einmal. Denn egal, welche Schauerszenarien man sich erspinnen mag, nichts kann jemals so grausam sein, wie die Realität. The Act of Killing unterstreicht diese These in einer einzigartigen Form: Echte Kriegsverbrechen inszenieren sich in Reenactment, um eine Wahrheit zu destillieren, die uns in unseren moralischen Grundsätzen erschauern lässt.

"Keine meiner Übertreibungen war so maßlos wie die Wirklichkeit", sagte der Skandalautor Peter Turrini einmal. Denn egal, welche Schauerszenarien man sich auch ausdenkt, nichts ist so grausam wie die Realität. unterstreicht diese These in einzigartiger Form: Filmemacher Oppenheimer lässt reuelose Kriegsverbrecher ihre eigenen Morde filmisch nachstellen und zeigt damit ein sensationelles, schockierendes Menschenporträt.

Hitler, Stalin, Mao Tse-tung - sie alle verbindet die systematische Vernichtung von Volksgruppen, Regimegegnern, Aufständischen. Für die bewusste Auslöschung eines Volkes bildete sich sogar ein eigener Begriff: der Genozid, eine Wortschöpfung aus Herkunft und morden. Der Genozid gilt eines der größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte. Darüber einen Film zu machen, bedarf den Mut, sich selbst mit den Schrecken eines solchen Kapitels auseinanderzusetzen. Joshua Oppenheimer hat Mut. Und er geht noch einen Schritt weiter.

Der US-Amerikaner reiste nach Indonesien, um sich die Konsequenzen des dortigen Völkermordes zu vergegenwärtigen. Zwischen 1965 und 1966 wurden im Zuge eines Militärputsches über eine Million "Kommunisten" verfolgt und getötet. Die Täter kamen aus der eigenen paramilitärischen Jugendarmee oder aus dem kriminellen Untergrund. Den Auftrag zum Töten gab die Regierung, wer ein Kommunist war, entschieden einfache Journalisten.

Verständnis

Oppenheimer traf einige der damaligen Regierungsmörder, die ihm bereitwillig, ja regelrecht stolz von ihren Taten erzählten. Um für diese moralisch entfremdete Sichtweise Verständnis zu finden, bat Oppenheimer die Täter, ihre Morde nachzustellen. Die Form konnten sie frei wählen.

Aus dieser simplen Grundidee entwickelt sich bald ein Film-im-Film-Projekt, das in seiner Absurdität kaum zu ertragen ist. Die Täter, die sich selbst als Gangster darstellen (was für sie mehrfach betont "freie Männer" bedeutet) werden nicht müde, von ihren Gräueltaten zu erzählen und sie mit künstlerischer Akribie nachzustellen. In einer Talkshow sprechen sie davon, wie sie sich von Hollywoodfilmen inspirieren ließen. Das tolle an den ganzen John Wayne- und Al Pacino-Streifen sei, dass sie so viele kreative Arten zu Töten zeigen.

Show and Tell

Dieses völlig realitätsfremde Filmverständnis ist einer von zahlreichen Punkten, welche "The Act of Killing" so zermürbend machen. Auch wenn Oppenheimer die filmische Faustregel "show, don't tell" auf geniale Weise benutzt, um die historischen Verbrechen ad absurdum zu führen, sind es am Ende doch die Aussagen der Täter, die das Mark erschüttern.

Auf die Frage, ob sich einer der Mörder als Kriegsverbrecher fühle, entgegnet dieser, dass die Genfer Konvention für ihn nicht gelte. Denn im Krieg definieren die Gewinner, was Verbrechen sei. Er ist ein Gewinner und kann somit seine eigene Definition von Kriegsverbrechen konstituieren. Und die Wahrheit? Die sei manchmal einfach nicht gut.

Die Grenze

"The Act of Killing" wurde bereits 2013 auf der Berlinale ausgezeichnet, wird der radikalen Doku wohl niemand nehmen können. Als "surreal" wurde der Film bezeichnet. Aber es hinkt. Das Surreale folgt der Logik des Traums, dieser Akt des Tötens aber folgt keiner Logik. Selbst nach 50 Jahren verteidigen die Mörder ihre Taten, beteuert ein Journalist, nichts gewusst zu haben, obwohl sein Chef die Todesurteile besiegelt hat.

In der Nachinszenierung der Kommunistenhetzjagd mit dutzenden Militaristen samt Fackeln, interveniert ein Funktionär des Militärarms, die Aufnahmen seien zu barbarisch, man wolle kein falsches Bild erzeugen. Natürlich mussten sie die Kommunisten vernichten, aber auf eine "menschlichere" Art und Weise. An solchen Aussagen reibt sich der Geist des Menschen und leicht verfällt man im depressiven Zweifel, dass Moral und Vernunft nur reine Konvention sind.

Unaussprechlich

Für manche Dinge reicht die Sprache nicht aus. Man kann "The Act of Killing" eigentlich nicht beschreiben. Man kann sich nur durchringen, dieses Werk zu sehen und versuchen, zu verstehen. Erst am Ende des Films wird ein Mörder Einsicht zeigen. Es ist zu wenig, zu spät. Die Wirklichkeit ist maßlos, weil es die Menschen sind. Noch kaum ein Film hat diese Erkenntnis so eindringlich gezeigt, wie Oppenheimers Meisterwerk. Ein furchtbar wichtiger Film.

Ab 21. Februar exklusiv im Gartenbaukino.

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