Gesundheit

"Als ob mir jemand Feuer in die Venen gespritzt hätte"

In Verlauf der Covid-19-Krise weisen weltweit immer mehr Kinder und Jugendliche Symptome des Kawasaki-Syndroms auf. Ein 14-jähriger New Yorker erzählt – von Ausschlägen, Herzproblemen und der Heilung.

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Jack McMorrow (14) mit seinem Vater John: "Keiner von uns dachte an Covid-19."
Jack McMorrow (14) mit seinem Vater John: "Keiner von uns dachte an Covid-19."
Screenshot CNN

Als Jack McMorrow Mitte April einen Ausschlag auf seinen Händen bemerkte, dachte er sich erst nichts dabei. Auch seine Eltern nicht. Sie nahmen an, das sei eine Reaktion auf das viele Händewaschen und die Desinfektionsmittel, die jetzt zum neuen Corona-Alltag dazugehören.

Als der 14-Jährige aus dem New Yorker Stadtteil Queens glasige Augen bekam, dachten die Eltern, er verbringe zu viel Zeit vor dem Computer. Doch es kamen Bauchschmerzen und Übelkeit dazu, das Kind aß immer weniger. Schließlich kam starkes Fieber hinzu. Der Hausarzt verschrieb Antibiotika.

Nach zehn Tagen hatte sich der Zustand des Teenagers aber immer noch weiter verschlechtert, es waren ein trockener Husten und ein ständiger metallischer Geschmack im Mund dazugekommen. Und dann konnte sich Jack eines Morgens schlicht nicht mehr bewegen.

Erst der zweite Covid-19-Test war positiv

"Ich hatte große Schmerzen, es war ein stechender, pochender Schmerz", beschreibt Jack diesen Morgen gegenüber der New York Times. "Es war, als hätte mir jemand Feuer in meine Adern gespritzt."

Jetzt riet der Hausarzt den Eltern, das Kind ins Weill Cornell Spital zu bringen. Dort kam Jack mit alarmierend tiefem Blutdruck, Herzrasen und über 40 Grad Fieber an. An den Füßen des 14-Jährigen hatte sich zudem ein Ausschlag gebildet – ein Symptom, das auch viele Corona-infizierte Kinder in Spanien aufwiesen. Allerdings fiel der erste Covid-19-Test bei Jack negativ aus. Erst ein zweiter Test, der auf Drängen des Hausarztes des Jungen gemacht wurde, zeigte positiv an.

Symptome als verzögerte Spätfolge der Coronainfektion

Man beschloss, das Kind in das Morgan Stanley’s Kinderkrankenhaus zu verlegen. Hier empfing ihn der Arzt Steven Kernie: "Jacks Herz arbeitete nicht mehr gut", erinnert er sich. Er diagnostizierte eine Vaskulitis: Eine Überreaktion des Immunsystem führt dabei zu einer Entzündung der Blutgefäße im ganzen Körper und zu einer Störung des Blutflusses.

Auch andere Kinder in diesem Spital litten unter diesen Symptomen. Nicht alle waren aber positiv auf das Coronavirus getestet worden. Spätere Tests aber zeigten, dass sich bei allen Covid-19-Antikörper gebildet hatten. Die Ärzte vermuten deswegen, dass sie die Corona-Erkrankung bereits hinter sich gebracht hatten, aber die Symptome des Kawasaki-Syndroms als verzögerte Spätfolge auftraten.

Steroide brachten Heilung

Jack blieb fast eine Woche auf der Intensivstation und musste künstlich beatmet werden. Mehrere Medikamente blieben zunächst wirkungslos. Schließlich griffen die Ärzte zu Steroiden, die eine antientzündliche und eine immunsuppressive Wirkung haben.

Nach einigen Tagen war Jack wieder so fit, dass er seinem Biologielehrer aus seinem Spitalbett schrieb: "Ich möchte Ihnen dafür danken, dass Sie mich so vieles gelehrt haben und dass Sie mir das Verständnis vermittelt haben, das ich brauche, um meinen Körper zu verstehen."

Nach einer weiteren Woche im Spital wurde Jack schließlich entlassen. Für eine Weile muss er weiter niedrig dosierte Steroide und Blutverdünner einnehmen und regelmässig sein angegriffenes Herz kontrollieren lassen.

Mindestens fünf Kinder starben

Seit einigen Wochen mehren sich die Berichte über schwere Corona-Krankheitsverläufe bei Kindern und Jugendlichen vor allem im Corona-Hotspots wie New York, Spanien und Italien. Auch in Großbritannien, Frankreich und der Schweiz litten Heranwachsende unter den Symptomen des Kawasaki-Syndroms.

In der Region New York wurden mehr als hundert Fälle gezählt. In Europa trat das verdächtige Syndrom bis Ende vergangener Woche bei etwa 230 Kindern im Alter bis zu 14 Jahren auf, wie das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten mitteilte.

Ärzte im norditalienischen Bergamo berichten, dass das entzündliche Syndrom in jüngster Zeit deutlich häufiger aufgetreten sei: Von Mitte Februar bis Mitte April gab es demnach zehn Fälle im Vergleich zu 19 Fällen in den vergangenen fünf Jahren.

Mindestens fünf Kinder – drei in New York und je eines in Frankreich und Großbritannien – sind an dem Syndrom gestorben. Bei wenigstens zwei weiteren Fällen wird es als Todesursache vermutet.

Gene als mögliche Ursache
Die Zunahme der Fälle scheint mehrere Wochen hinter der Spitze der Infektionen in der Allgemeinbevölkerung zu liegen. Das legt die Vermutung nahe, dass Antikörper eine Rolle bei der Entwicklung des Syndroms spielen könnten. Eine Theorie geht von einer genetischen Disposition aus. In Großbritannien waren sechs der acht als Erstes erkrankten Kinder afro-karibischer Abstammung, wie aus einer vergangene Woche veröffentlichten Studie in "The Lancet" hervorgeht. Auch der in Frankreich verstorbene Junge hatte nach Angaben der Ärzte afrikanische Wurzeln.

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