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Gerät Merkels Thron nach 13 Jahren ins Wanken?

Heute Redaktion
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Die Bundeskanzlerin redet von einer "Niederlage". Kritiker und Beobachter sehen in der Abwahl von Volker Kauder als Unionsfraktionschef das Anfang vom Ende der Ära Merkel.

Die Unionsabgeordneten im Bundestag haben die Autorität von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) schwer erschüttert: Bei der Wahl des Fraktionschefs stimmten sie am Dienstag unerwartet gegen Merkels engen Vertrauten und Parteikollegen Volker Kauder. Mit 125 zu 112 Stimmen setzte sich der Herausforderer Ralph Brinkhaus (ebenfalls CDU) unerwartet gegen den Amtsinhaber durch.

Merkel wählte im Anschluss an die Wahl eine neutrale, wenn auch einsichtige Formulierung: "Das ist eine Stunde der Demokratie, in der gibt es auch Niederlagen, und da gibt es nichts zu beschönigen." Mitglieder der Großen Koalition fanden indes deutlichere Worte: Der stellvertretende Bundestagspräsident Thomas Oppermann (SPD) twitterte: "Das ist ein Aufstand gegen Merkel". CSU-Politiker Hans Michelbach erklärte, die Wahl von Brinkhaus sei ein Zeichen "für einen neuen Aufbruch".

Der engste Vertraute

Gleichzeitig geriet die deutsche Presse in Aufruhr. Die "Bild"-Zeitung bezeichnet Merkels Pleite als "bittersten Tag ihrer Kanzlerschaft". Die "Zeit" titelt "Angriff auf die Macht" und die "FAZ" kommentiert: "Es geht zu Ende." Der "Spiegel" urteilt: "Die Große Koalition hat keine Zukunft mehr."

Mit der Abwahl von Volker Kauder verliert Merkel ihren engsten Vertrauten und den Zugriff auf das Zentrum ihrer Regierungsmacht. Der 69-Jährige war von 2005 bis 2018 Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und damit der am längsten amtierende in der Geschichte der Fraktion. Damit war er die gesamte bisherige Amtszeit von Angela Merkel an ihrer Seite.

Eine knappe Mehrheit

Im Vorfeld der Wahl war auch von Mitgliedern der Unionsfraktion damit gerechnet worden, dass der bisherige Fraktionsvize Brinkhaus zwar einen Achtungserfolg gegen den Merkel-Vertrauten Kauder erringt. Doch aus dem erwarteten Denkzettel wurde ein politisches Erdbeben, als sich der 50-jährige Brinkhaus mit 52,7 Prozent eine knappe Mehrheit sichern konnte.

Brinkhaus sagte, er freue sich "riesig" über seinen Erfolg. Nunmehr gelte es, wieder ganz schnell an die Arbeit zu gehen. Nach dem gelungenen Sturz Kauders bemühte sich Brinkhaus, seinen Sieg nicht als Misstrauensvotum der Abgeordneten gegen Merkel darzustellen. "Eins ist klar: Die Fraktion steht ganz fest hinter Angela Merkel", sagte er. Die Fraktion wolle mit Merkel "die Sache gut regeln" und will "gut mit ihr zusammenarbeiten".

Zu viel Interpretation

"Wir Ostwestfalen neigen nicht zur Revolte. Das ist vielleicht eine Reform", beschwichtigte Ralph Brinkhaus im Gespräch mit den ARD-"Tagesthemen". In die Frage, was seine Wahl für Merkels Zukunft bedeute, werde zu viel hineininterpretiert, sagte Brinkhaus: "Zwischen mich und die Kanzlerin passt kein Blatt Papier."

Im Gegenzug sicherte Merkel Brinkhaus ihre Unterstützung zu. Sie wolle, dass die CDU/CSU-Bundestagsfraktion erfolgreich weiterarbeite. "Und deshalb werde ich Ralph Brinkhaus, wo immer ich das kann, auch unterstützen."

Flüchtlingspolitik im Frühsommer

Nach 13 Jahren im Amt war Kauders Posten nie in Frage gestellt worden. Alleine die Tatsache, dass er sich nun einem Gegenkandidaten stellen musste, galt im Kanzleramt als Affront. In jüngster Zeit jedoch nahm die Unzufriedenheit mit seiner Arbeit in der Fraktion zu. Als Wendepunkt gelten die getrennten Sitzungen der Abgeordneten von CDU und CSU während des heftigen Streits um die Flüchtlingspolitik im Frühsommer.

Kauders Abwahl wurde von parteiinternen Kritikern der Kanzlerin umgehend als ein Zeichen von Merkels Machtverlust gedeutet. "Mit dem heutigen Tag hat die Merkel-Dämmerung unwiderruflich begonnen", erklärte der Vorsitzende der konservativen Werteunion, Alexander Mitsch.

Schuss vor den Bug

Allerdings ist die Niederlage Kauders wenige Wochen vor der Landtagswahl in Bayern auch ein Schuss vor den Bug von CSU-Chef und Innenminister Horst Seehofer, der Kauders Wiederwahl ebenfalls unterstützt hatte. "Jetzt hat man das Ergebnis zu respektieren, das ist so in der Demokratie", sagte Seehofer, der "keine weitere Bewertung" des Wahlergebnisses abgeben wollte.

SPD-Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles gratulierte Brinkhaus im Namen ihrer Partei. FDP-Chef Christian Lindner bewertete die Wahl von Brinkhaus als ein "Zeichen gegen eine Fortsetzung der großen Koalition auf Dauer". Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter bezeichnete die Union als "zutiefst gespalten". Linken-Chef Bernd Riexinger sieht Merkel nach der Wahl von Brinkhaus "massiv geschwächt".

Eine fünfte Amtszeit?

Führende Unionspolitiker haben Merkel jedoch den Rücken gestärkt. "Sie hat das Vertrauen der Fraktion", sagte der CDU-Vizevorsitzende und nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) am Mittwoch im ZDF-"Morgenmagazin". Es habe lediglich in der Frage des Vorsitzes einen Wunsch nach Veränderung gegeben.

Im September 2021 endet die vierte Amtszeit von Angela Merkel mit der nächsten Wahl des Bundestages. Eine fünfte Amtszeit hatte die 64-jährige Merkel in der Vergangenheit nicht explizit ausgeschlossen. Die Wahl zum Deutschen Bundestag könnte allein durch eine vorzeitige Auflösung (Vertrauensfrage) früher stattfinden. Forderungen aus der Opposition, Merkel müsse nun die Vertrauensfrage stellen, wies der gewählte Brinkhaus gegenüber ZDF als "Blödsinn" zurück. (mat)

(Red)