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Bahn soll Sitzplatz-Blockierer härter anpacken

Mit Gepäck versperrte Plätze in Zügen strapazieren die Nerven der Pendler. Pro Bahn fordert strengere Kontrollen oder Strafen in der Schweiz.

Heute Redaktion
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Passagiere, die freie Sitzplätze mit Gepäck blockieren, sorgen im Zug oft für Ärger.
Passagiere, die freie Sitzplätze mit Gepäck blockieren, sorgen im Zug oft für Ärger.
Bild: Kein Anbieter

Die S-Bahn morgens um 7 Uhr Richtung Zürich ist vollbesetzt. In einem Viererabteil jedoch belegt eine wuchtige Reisetasche samt Trekking-Rucksack zwei benachbarte Sitze. Ob er etwas Platz machen könne, fragt ein älterer Herr den jungen Mann höflich, der vis-à-vis seinem Gepäck sitzt. Dieser schnauzt ihn an: "Soll ich mein Gepäck etwa in die Hosentasche nehmen?" Auch als er ihm vorschlägt, es unter dem Sitz zu verstauen, zeigt sich der Sitzplatz-Blockierer nicht kooperativ. Genervt verbringt der ältere Herr den Rest der Zugfahrt stehend.

Solche Fälle wie in der S16 kürzlich kommen immer wieder vor. "Konflikte wegen Passagieren, die Plätze mit Gepäck versperren, sind in den Zügen ein Dauerbrenner", sagt Karin Blättler, Präsidentin von Pro Bahn Schweiz, der Interessengemeinschaft der ÖV-Kunden.

"Genervte Reaktionen nicht mehr ausgehalten"

Um einen authentischen Eindruck zu erhalten, machte Blättler kürzlich einen Selbstversuch. Sie hatte sich vorgenommen, einen Monat konsequent auf Sitzplätzen zu bestehen, die mit Taschen oder sonstigem Gepäck belegt waren. "Nach kurzer Zeit brach ich mein Experiment ab. Ich hielt diese oftmals genervten Reaktionen der Sitzplatz-Blockierer nicht mehr aus."

Oft hätten sie ihre Taschen schnippisch bis gereizt entfernt. "Waren sie zu zweit unterwegs, tuschelten sie über mich, spätestens, wenn ich ausstieg." Es gebe auch Passagiere, die ganze Viererabteile blockierten. "Sie richten sich dort ein, als wären sie in ihrem Zimmer." Diese Reisenden säßen auf den äußersten Plätzen nahe beim Gang, versperrten sämtliche Sitze mit Gepäck und verhängten die Haken mit Mänteln und Kleidern.

Passagiere müssten stehen

Blättler stört sich auch an der "weit verbreiteten Unmode", die Sitze mit Taschen zu versperren und sich vorzunehmen, erst Platz zu machen, wenn jemand um einen freien Sitz bittet. "Dadurch nehmen viele Leute lieber eine kurze Fahrt im Stehen als Augenrollen und dumme Bemerkungen in Kauf."

Sie fordert, dass die Ticketkontrolleure und das Security-Personal Sitzplatz-Blockierer härter anpacken. "Sie müssen mehr kontrollieren und die Blockierer konsequent darauf hinweisen, dass Gepäck- und Kleidungsstücke auf freien Sitzen nichts verloren haben." Auch sollten regelmäßige Zugdurchsagen die Passagiere darauf aufmerksam machen."Fruchten diese Maßnahmen nicht, müsste man wohl oder übel über Strafen diskutieren." Gleichzeitig ruft sie die Passagiere zur gegenseitigen Rücksichtnahme auf: "Denn es ist ein No-go, Plätze zu belegen, für die man kein Ticket bezahlt."

"Zugbegleiter handeln mit Augenmaß"

Die Benutzerordnung der SBB bittet die Passagiere, pro Person nur einen Sitzplatz zu belegen. Verstöße könnten zu Transportausschluss, Schadenersatzforderung, Erhebung von Zuschlägen und Strafverfolgung führen. Die Tarifverordnung der ÖV-Branche hält fest, dass Reisende für jeden Sitz, den sie mit Handgepäck belegen, ein gewöhnliches Ticket zum halben Preis zu lösen haben.

Härter durchgreifen will die SBB nicht. "Unsere Zugbegleiter handeln bei Passagieren mit Augenmaß", sagt SBB-Mediensprecher Stephan Wehrle. Diese Praxis bewähre sich. Beharrten Passagiere aber etwa in einem vollbesetzten Zug auf einem mit Gepäck belegten Sitzplatz, werde ein halbes Ticket verrechnet. "In wenigen Fällen müssen wir eingreifen und ein Ticket verlangen." Wehrle appelliert an den gesunden Menschenverstand der Passagiere. "Zu 95 Prozent nehmen Fahrgäste ihre Tasche ja weg, wenn man höflich nach dem Sitzplatz fragt."