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Heute entscheidet sich die Zukunft des Brexit

Heute Redaktion
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EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mit der britischen Premierministerin Theresa May
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mit der britischen Premierministerin Theresa May
Bild: picturedesk.com

Theresa May hat von der EU einige Klarstellungen erreicht – doch das dürfte nicht reichen, ihren Deal durch das Parlament zu bringen. Wie geht es weiter?

Spät in der Nacht auf Dienstag verhandelte die britische Premierministerin Theresa May mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, Parlamentspräsident Antonio Tajani und dem Brexit-Koordinator des EU-Parlaments Guy Verhofstadt. Sie versuchte Änderungen an ihrem Austrittsabkommen zu erzielen, welche die Brexit-Hardliner vor allem in ihrer eigenen Partei noch überzeugen sollen, heute für ihren Deal zu stimmen.

Doch ob das gelingt, bleibt höchst zweifelhaft: Die Brexit-Hardliner stoßen sich am sogenannten "Backstop", einer Rückversicherung, die Großbritannien solange in der Zollunion der EU hält, solange es keine Lösung zur Vermeidung einer festen Grenze zwischen Irland und dem britischen Nordirland gibt. Denn sowohl Irland als auch die EU befürchten ein erneutes Aufflammen der Gewalt zwischen irischen Republikanern, die die Insel wiedervereinigen wollen, und britischen Unionisten, die Nordirland als Teil Großbritanniens ansehen. Vergangene Woche wurden eine Reihe Briefbomben in britische Städte verschickt – die irische Terrororganisation IRA hat sich heute dazu bekannt.

May erreichte allerdings nicht wie gefordert eine Streichung oder zumindest eine Abänderung des "Backstops", was die EU ohnehin von vornherein ausgeschlossen hat. Sie bekam "rechtliche Garantien" und "aussagekräftige Klarstellungen", wie Juncker bestätigte: Die EU habe kein Interesse daran, Großbritannien für immer im "Backstop" gefangen zu halten, man werde an einer gemeinsamen Lösung zur Vermeidung einer festen Grenze zu Irland arbeiten. May setzte eine einseitige Zusatzerklärung auf, der die EU nicht widersprach, dass man vor internationale Gerichte ziehen werde, wenn man den Eindruck habe, die EU sei nicht an einer konstruktiven Lösung interessiert.

Die Brexit-Hardliner wollten auf die rechtliche Bewertung von General Attorney Geoffrey Cox, dem obersten Juristen Großbritanniens warten und dann erst entscheiden, ob sie für Mays Austrittsabkommen stimmen oder nicht. Cox hatte bereits zu Mays Deal festgestellt, dass man theoretisch "für immer" im Backstop gefangen sein könnte – eine Horrorvorstellung für die Brexiter.

Nun erklärte Cox, die neuen Klarstellungen und Garantien würden dies weiterhin nicht ausschließen: Die Gefahr des "unendlichen Backstops" bleibe bestehen. Somit werden die Brexit-Hardliner heute Nachmittag wohl erneut gegen Mays Deal stimmen. Die erste Abstimmung am 15. Jänner verlor die Premierministerin mit unglaublichen 230 Gegenstimmen (432 zu 202), ein großer Teil davon aus ihrer eigenen Partei. So hoch hat noch nie eine britische Regierung eine Abstimmung im Parlament verloren.

Die Folge wäre eine weitere Abstimmung, voraussichtlich am Mittwoch, ob das Parlament statt Mays Deal lieber einen Austritt ohne Deal haben möchte – oder ob ein No-Deal grundsätzlich ausgeschlossen wird. Wegen der katastrophalen wirtschaftlichen Folgen eines ungeordneten Brexits ist davon auszugehen, dass das Parlament einen No-Deal-Brexit ablehnt.

Es würde eine weitere Abstimmung folgen – ursprünglich für Donnerstag geplant, allerdings könnte sie auf Mittwoch vorgezogen werden – ob der Brexit verschoben wird. Auch davon ist auszugehen, doch dann wird es erst recht wieder kompliziert: Denn im Parlament geht es um einen Aufschub von zwei Monaten. Doch nicht nur müssen alle restlichen 27 EU-Staaten einem Aufschub zustimmen; die EU hat bereits angedeutet, dass nur eine langfristige Brexit-Verschiebung in Frage käme, etwa von ein bis zwei Jahren. Denn man hat keine Lust, in zwei Monaten vor demselben Problem wie heute zu stehen und den Brexit möglicherweise immer wieder verschieben zu müssen.

Außerdem würde dies mit Hinblick auf die im Mai stattfindende EU-Parlamentswahl zu einem Chaos führen – dürfen die Briten überhaupt mitstimmen? Fliegen ihre Abgeordneten dann aber ein paar Wochen später wieder aus dem EU-Parlament?

Großbritannien wäre der EU also quasi ausgeliefert: Es sickerte bereits aus zahlreichen Ländern durch, dass man einem Brexit-Aufschub nur zustimmen würde, wenn es auch wirklich Sinn mit Aussicht auf eine Lösung ergibt. Wird den Briten kein Aufschub zugestanden, dann fliegen sie am 29. März ohne Deal aus der EU.

Die einzige Möglichkeit dies zu verhindern, wäre wenn die britische Regierung – vielleicht dann nicht mehr mit May am Steuer und auf Druck des Parlaments – den Brexit von sich aus abbläst.

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