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Chodorkowski ist in Berlin angekommen

Heute Redaktion
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Eine Ausreise wie im Agententhriller: Der am Freitag überraschend von Kremlchef Wladimir Putin begnadigte Oppositionelle Michail Chodorkowski wurde in aller Eile zuerst per Krankenwagen, dann per Hubschrauber zum Flughafen gebracht. Anschließend setzte sich der 50-Jährige in den Flieger und düste nach Deutschland. Inwischen ist er gut in Berlin angekommen. Chodorkowski saß seit zehn Jahren in Haft.

 Am Freitag um 9.20 Uhr verließ Russlands "Staatsfeind Nummer Eins" das Lager in Segescha, etwa 270 Kilometer nördlich der Republikshauptstadt Petrosawodsk. Der frühere Öl-Milliardär habe darum gebeten, weil in Deutschland seine an Krebs erkrankte Mutter behandelt werde

Am Freitagnachmittag landete Chodorkowski in Berlin Schönefeld, wo er vom ehemaligen deutschen Außenminister Hans-Dietrich Genscher begrüßt wurde. In deutschen Diplomatenkreisen hieß es, die deutsche Botschaft in Moskau sei an der Vorbereitung der Ausreise beteiligt gewesen. Vertreter des Auswärtigen Amtes seien auch bei den Einreiseformalitäten in Berlin behilflich gewesen.

Mama noch immer in Russland

Wer allerdings nicht dort war, war seine Mama. Die meldete sich aus Russland:  "Aber ich bin in Romaschkino im Gebiet Moskau", sagte Marina Chodorkowskaja am Freitag der Staatsagentur Itar-Tass. Ihr Sohn habe sich bisher nicht bei ihr gemeldet, sagte die 79-Jährige. "Ich weiß nicht, warum sie mitteilen, dass Michail zu mir nach Deutschland geflogen ist".

Auf Grundlage der "Prinzipien der Humanität" befreie Wladimir Putin den 50-Jährigen von seiner weiteren Haftstrafe, hieß es in dem veröffentlichten Ukas des Präsidenten. Kurz nach der offiziellen Begnadigungsbestätigung hat Chodorkowski das Straflager in Segescha unweit der finnischen Grenze verlassen. Der schärfste Gegner Putins war seit 2003 in Haft, die im August nächsten Jahres enden sollte.

Chodorkowski bat um Amnestie

Michail Chodorkowski hat nach eigenen Angaben um seine Freilassung gebeten. Er habe Präsident Wladimir Putin ersucht, ihn aus "familiären Gründen" zu begnadigen, erklärte Chodorkowski am Freitag. Dies sei aber nicht als Schuldeingeständnis zu werten.

Von Putins plötzlicher Milde profitiert derweil nicht nur der frühere Öl-Milliardär. Auch andere Gegner lässt Putin im Zuge einer Massenamnestie auf freien Fuß setzen, . Ihre Verwandten sind bereits in die Straflager gereist.

Lesen Sie auf Seite 2 die Amnestie im Wortlaut...

Die Amnestie im Wortlaut

"Ausgehend von Prinzipien der Humanität ordne ich an:

den Verurteilten Chodorkowski Michail Borissowitsch, Jahrgang 1963, geboren in Moskau, zu begnadigen und seine Haftstrafe aufzuheben.

Dieser Ukas tritt am Tage seiner Unterzeichnung in Kraft.

Der Präsident der Russischen Föderation, W. Putin

Moskau, Kreml, den 20. Dezember 2013”
Zuvor hatte die russische Justiz an einer nächsten Anklage gearbeitet, die den Putin-Feind bis zu sieben weitere Jahre hinter Gitter bringen hätte sollen, statt ihn, wie geplant, im August freizulassen.

Wahrer Hintergrund der Amenstie

Beobachter sehen als Grund für die Amenstie die Olympischen Winterspiele in Sotschi, die am 7. Februar dort starten. Für heftige Kritik sorgte die Menschenrechtssituation in Russland vorab, und Putins Homo-Hass. Mehrere Staatsoberhäupter, darunter US-Präsident Barack Obama, sagten ihren Besuch in Sotschi ab. Beobachter werten Putins Gnaden-Offerte jetzt als Zugeständnis an den Westen. Der Kreml-Chef will nicht zulassen, dass jemand SEINE Spiele boykottiert.

Lesen Sie auf Seite 3 die Chronologie des Falls Chodorkowski...

Seit mehr als zehn Jahren sitzt der Kremlkritiker Michail Chodorkowski in Haft. Im Folgenden die wichtigsten Etappen des Falls:

25. Oktober 2003: Der Chef des Yukos-Ölkonzerns wird spektakulär bei einer Zwischenlandung seines Privatjets in Nowosibirsk festgenommen. Die Justiz wirft dem Multimilliardär Betrug und Steuerhinterziehung vor. Sein Geschäftspartner Platon Lebedew war bereits im Juli verhaftet worden.

16. Juni 2004: In Moskau beginnt der erste Prozess gegen Chodorkowski und Lebedew. Die Verteidigung wirft dem Kreml vor, er steuere das Verfahren, weil der Yukos-Chef in Opposition zu Präsident Wladimir Putin gegangen sei.

 16. Mai 2005: Chodorkowski und Lebedew werden unter anderem wegen schweren Betrugs und Bildung einer kriminellen Vereinigung zu je neun Jahren Straflager verurteilt. Ein Berufungsgericht reduziert die Strafe im September 2005 auf je acht Jahre.

18. November 2005: In Washington verabschiedet der US-Senat unter anderem mit der Stimme des heutigen US-Präsidenten Barack Obama eine Erklärung, in der er den Prozess gegen Chodorkowski und Lebedew als politisch motiviert kritisiert.

15. November 2007: Der Yukos-Konzern wird nach seiner Zerschlagung und dem Verkauf der Teile aus Russlands Handelsregister gelöscht.

8. März 2008: Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht sich bei einem Treffen mit Putin in Moskau für Chodorkowskis Begnadigung aus. Auch andere deutsche Politiker forderten Russland wiederholt zum rechtsstaatlichen Umgang mit den beiden Unternehmern auf.

31. März 2009: In Moskau beginnt der zweite Prozess gegen Chodorkowski und Lebedew. Die Verteidigung nennt die Vorwürfe der Unterschlagung von 218 Millionen Tonnen Erdöl "absurd und unlogisch".

4. März 2010: Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) fordern ehemalige Yukos-Eigentümer von Russland 98 Milliarden Dollar Schadensersatz. Sie werfen Moskau unrechtmäßige Zwangsenteignung vor zur eigenen Bereicherung.

30. Dezember 2010: Ein Gericht verurteilt Chodorkowski und Lebedew unter Einbeziehung der ersten Strafe zu insgesamt jeweils 14 Jahren Haft. Es folgen Strafnachlässe. Chodorkowski soll nach 10 Jahren und 10 Monaten im August 2014 freikommen, Lebedew schon im Mai.

31. Mai 2011: Der EGMR lehnt Chodorkowskis Klage ab, wonach das erste Verfahren gegen ihn politisch motiviert gewesen sei. Am 25. Juli 2013 bestätigen die Richter das, halten das russische Vorgehen gegen Chodorkowski aber für ungerecht. Weitere Klagen sind anhängig.

26. September 2013: Die Lech-Walesa-Stiftung in Warschau zeichnet Chodorkowskis mit dem Freiheitspreis aus. Er ist mit 100.000 US-Dollar (knapp 73.000 Euro) dotiert.

25. Oktober 2013: Zum zehnten Jahrestag seiner Inhaftierung fordern Menschenrechtler Chodorkowskis Freilassung.

6. Dezember 2013: Russlands Justiz bestätigt erstmals, dass wegen Geldwäsche ein weiteres Verfahren gegen den Kremlgegner geplant ist.

19. Dezember 2013: Putin kündigt die Begnadigung von Chodorkowski an.

20. Dezember 2013: Chodorkowski verlässt das Straflager als freier Mann