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Erdogan und Putin einigen sich auf "sichere Zone"

Türkei und Russland einigen sich auf "terrorfreie, sichere Zone". Die Waffenruhe für Nordsyrien wird verlängert.

Heute Redaktion
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Nach mehr als sechsstündigen Verhandlungen haben sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und sein russischer Kollege Wladimir Putin auf eine "terrorfreie, sichere Zone" in Nordsyrien geeinigt.

Zudem werde die Türkei die zunächst bis Dienstagabend angesetzte Waffenruhe um weitere 150 Stunden oder mehr als sechs Tage verlängern.

Umkämpfte Waffen"ruhe"

Von "Ruhe" konnte allerdings auch zuvor nicht wirklich die Rede sein, denn vielerorts war während dieser fünf Tage weitergekämpft worden. Dabei war die Freude der Kurden über die Pause riesig gewesen. In den Städten und Dörfern wurde geballert, was das Zeug hielt, mit Kalaschnikows und Duschkas schossen die Leute in die Luft, sogenannte Tracer wurden zu rot leuchtendem Feuerwerk umfunktioniert.

So feierten die Kurden die kurze Waffenruhe

"Wir sind so glücklich", sagt Mahmud zu 20 Minuten in Qamishli. "Jetzt können unsere Verwandten, die in den Irak geflohen sind, wieder zurückkehren." Auf die Frage, ob der Optimismus angesichts der kurzen Dauer des Deals nicht übertrieben sei, sagte der 15-jährige Kurde: "Die Lage wird sich nach der Feuerpause stabilisieren und für uns verbessern."

Mahmud (15) gibt 20-Minuten-Reporterin Ann Guenter ein Interview zur Waffenruhe.

Mit Regenschirmen gegen Drohen

Doch die Zuversicht wich schnell der Ernüchterung. Heute Dienstagvormittag hat der türkische Präsident Erdogan damit gedroht, die Offensive fortzusetzen: "Wenn die Versprechen der Amerikaner nicht eingehalten werden, wird die Operation mit noch größerer Entschlossenheit wieder aufgenommen", sagte er.

In den letzten Tagen attackierten die von der Türkei unterstützten islamistischen Milizen die Stadt Sere Kaniye (arab.: Ras al-Ain) und benachbarte Dörfer. Die türkischen Luftschläge wurden zwar eingestellt, Drohnen übernahmen diese Angriffe. Die Kämpfer der Syrian Democratic Forces (SDF) und auch Zivilisten benutzten deswegen Regenschirme mit Tarnfarben, um unentdeckt zu bleiben. Das funktioniert freilich nur, wenn die Person stehen bleibt, wenn eine Drohne über den Köpfen schwirrt.

Mittlerweile ist Sere Kaniye gefallen, die islamistischen Milizen der Türkei haben die Stadt eingenommen. Die von der Kurdenmiliz YPG angeführten SDF gaben an, alle ihre Kämpfer aus der Stadt geschafft zu haben. Konvois von Ambulanzen brachten Verletzte aus Sere Kaniye. Es ist unklar, wie viele Zivilisten sich jetzt noch dort aufhalten. Kurden aber sind dort keine mehr.

Es läuft nach Erdogans Plan

So läuft derzeit alles nach den Plänen Ankaras. Denn Sere Kaniye ist eine strategisch wichtige Stadt für die Kurden und ihr de facto autonomes Gebiet Rojava. Diese Grenzstadt zur Türkei liegt im Rojava-Kanton Cizire (arab.: Jazeera) und ist vital für die Verbindung dieser Kurdenhochburg mit dem Kanton Kobane. Dazwischen liegt die arabisch dominierte Stadt Gire Spi (arab.: Tell Abyat). Hier setzt Erdogan an: Er will die Kurdenregion Rojava durch die Kreierung einer "Safe Zone" verkleinern – und langfristig am liebsten zerstören.

Tragische Geschichte droht sich zu wiederholen

Dafür will er die Kantone Rojavas voneinander isolieren und über zwei Millionen syrisch-arabische Flüchtlinge aus der Türkei in das Gebiet umsiedeln. Doch wohin sollen dann die Millionen von Kurden, die während des Bürgerkriegs in diesen Kantonen Infrastruktur und Geschäfte aufgebaut haben? In das von Arabern dominierte Gebiet um Raqqa im Süden oder in das nordöstliche Wüstengebiet von Deir-Ezor? Die Türkei ist keine Option. Und auch in irakisch Kurdistan sind sie nicht wirklich willkommen – zu viele Flüchtlinge aus Syrien hausen dort bereits in Camps.

Arabisierungsmaßnahme á la Assad

Die Kurden sprechen in diesem Zusammenhang von einer Arabisierungsmaßnahme, die sie nur allzu gut kennen: Assad senior, Hafiz, errichtete in den 60er-Jahren einen "Arabischen Gürtel" entlang der türkischen Grenze von der irakischen Grenze im Osten bis nach Sere Kaniye im Westen. Die Kurden wurden vertrieben, erhielten keine Staatsbürgerschaft mehr. Alle Ortsnamen wurden arabisiert, die Sprache verboten, die Kurden in Geschichtsbüchern ausgemerzt. Jetzt droht sich dieses finstere Kapitel dank Erdogan zu wiederholen.