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Er lebt mit Gesichtstattoo, aber ohne Ohren

Gilbert Schaffner ist 65 Jahre alt. Nach seiner Pensionierung wagt er Neues. Jetzt lebt er mit Black-Out Tattoo. Und ohne Ohren.

Heute Redaktion
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"Sie wollen mich nicht in jedem Lokal." Das sagt Gilbert Schaffner zu "20 Minuten" am Tresen der Hofeggen-Bar in Luzern. Hier ist einer seiner Lieblingsplätze der Stadt. "Man kennt mich hier und akzeptiert mich, wie ich bin. Das schätze ich sehr." Jeff ist Chef de Bar und posiert spontan für ein Foto mit Schaffner.

"Im Zug habe ich immer einen Sitzplatz"

Unterwegs im öffentlichen Raum fällt Gilbert Schaffner wegen seines Erscheinungsbildes auf. "Unterwegs merke ich, wenn mich die Leute meiden. Im Zug sitzen nicht alle neben mich. Am meisten sprechen mich Leute an, die über 70 Jahre alt sind", es ergäben sich dann oft interessante Gespräche. Leute zwischen 30 und 55 Jahren hätten ihre Probleme mit ihm: "Bei ihnen denke ich mir manchmal, ob sie in mir die verpasste Chance sehen, selber einmal aus dem gesellschaftlichen Korsett ausgebrochen zu sein."

Nur eine Personengruppe habe keine Angst vor ihm: Kinder. "An Kindern beobachte ich immer eine natürliche Neugier. Sie haben keine Angst vor mir", erklärt Schaffner. Aber es gäbe Eltern, die versuchten, ihre Kinder vor ihm zu beschützen. Kürzlich sei ein Junge mit dem Blick an ihm hängen geblieben. Der Vater des Jungen hätte dann versucht, ihn mit den Namen der umliegenden Berge abzulenken. "Der hat sich aber nicht so für die Bergwelt interessiert und immer zu mir rüber geschaut."

"Nach der Pensionierung wollte ich weiter gestalten"

Schaffner erzählt von seiner Ausbildung zum Chemie-Laboranten. Später hätte er den Betrieb des Vaters in der dritten Generation übernommen. "Wir waren spezialisiert auf das Restaurieren und und Reparieren von kirchlichen Gegenständen." Jegliches Metall wurde in der Firma vergoldet oder versilbert. "Galvanik ist eigenlich Elektrochemie. Ich habe den Beruf gerne gemacht." Nachdem er über Jahrzehnte handwerklich tätig war, habe er diese Kreativität bei der Pensionierung nicht aufgeben wollen. "Bevor ich 40 war, ließ ich mir am Rücken ein erstes Tattoo stechen. Danach machte ich einige Jahre Pause."

Später hat er weiter gemacht mit tätowieren: "Während sich andere mit Holz, Steinen, Metall oder was auch immer beschäftigen, hatte ich Lust, meinen Körper zu gestalten." Er lebe mit diesem Körper und den Konsequenzen, die dieser mit sich bringe: "Ich stehe zu dieser Handwerkskunst."

Dass sein Aussehen nicht allen gefalle, kann Schaffner nachvollziehen. "Ich wünsche mir aber, dass die Leute akzeptieren, dass ich anders bin." Sein Ziel ist es, weiter Flächen an seinem Körper zu schwärzen. "Jetzt bin ich an den Händen, danach folgen die Arme." Auch die Augenlieder sollen folgen, so Schaffner.

"Ein solcher Schritt muss gut überlegt sein"

Jungen Leuten würde Schaffner einen solchen Schritt nicht empfehlen. "Ich habe damit auch bis zu meiner Pensionierung gewartet." Eine Tätowierung, die so gut sichtbar sei, könne Einfluss auf künftige Arbeitgeber haben. "Sich wegen eines schönen Bildes die Zukunft zu verbauen erachte ich nicht als sinnvoll."