Ukraine

"Es wird eng" – wann Putin den Frieden ausrufen muss

Ist der Fokus auf die "Befreiung des Donbass" vor allem Taktik? Russland-Experten schätzen ein, wie stark Russland noch ist und wann der Krieg endet.

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Die russische Militärführung gibt an, sich mehr auf die Kämpfe um die Kontrolle der Region Donbass im Südosten des Landes zu konzentrieren.
Die russische Militärführung gibt an, sich mehr auf die Kämpfe um die Kontrolle der Region Donbass im Südosten des Landes zu konzentrieren.
MIKHAIL KLIMENTYEV / AFP / picturedesk.com

Die russische Armee will sich nach offiziellen Angaben bei ihrem Vorgehen in der Ukraine künftig auf die "Befreiung" der Donbass-Region im Osten des Landes konzentrieren. Bläst Putin somit zum Rückzug?

Ist der Fokus auf die "Befreiung der Donbass" vor allem Taktik?

Russland-Experte, Dr. Alexander Dubowy, sagt, im Gegenteil, die Lage von Russland sei gar nicht so schlecht, wie es den Eindruck erweckt. "Die Donbass-Region ist die am stärksten verteidigte Region der Ukraine. Dort befinden sich bis zu einem Drittel der gesamten ukrainischen Streitkräfte. Russland versucht gerade, die Kampfverbände von Kiew abzuschneiden und einzukesseln. Damit würde Moskau einem Militärsieg wesentlich näher kommen und seine Verhandlungsposition stärken. Auch hat Russland bereits wesentliche Teile der Gebiete Cherson und Saporischschja erobert."

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    Die ukrainischen Streitkräfte kämpfen um die wichtige südliche Stadt Cherson. Russland hatte sie eingenommen, die Ukraine schlug aber zurück.
    Die ukrainischen Streitkräfte kämpfen um die wichtige südliche Stadt Cherson. Russland hatte sie eingenommen, die Ukraine schlug aber zurück.
    Sipa Press / Action Press/Sipa / picturedesk.com

    Es ist sicher mehr dahinter als reine Rhetorik, sagt auch Marcus Keupp, Militärökonom und Dozent Militärakademie (Milak) an der ETH Zürich. "Die russische Armee kommt an vielen Frontabschnitten nicht weiter. Wenn Russland nicht bald einen militärischen Erfolg vorweisen kann, wird es eng für Putin. Die Stadt Mariupol beispielsweise ergibt sich nicht. Putin will dem Volk Ergebnisse präsentieren."

    Wie wird die Ukraine reagieren?

    Marcus Keupp sagt, die Ukranier müssten Kräfte abziehen, um die Front zu halten. "Russland kann auf diese Art andere Abschnitte in der Ukraine schwächen. Die Ukrainer müssen abwägen, welche Gebiete ihnen wichtig sind."

    Aus heutiger Sicht sei es unwahrscheinlich, dass die Ukraine auf Donbass verzichtet, sagt Dr. Alexander Dubowy. "Das ist der Grund, warum Wolodimir Selenski ankündigte, alle Verhandlungsergebnisse in einem Referendum bestätigen lassen zu wollen." Allerdings spricht laut Dubowy nur wenig für einen Militärerfolg Kiews. "Angesichts hoher Technikverluste auf ukrainischer Seite sind die westlichen Waffenlieferungen an die Ukraine absolut entscheidend. Der Ukraine fehlen vor allem schwere Waffen. Russland kündigte an, Waffenlieferungen an die Ukraine anzugreifen."

    Wie stark ist Russland noch?

    Alexander Dubowy: "Im April sind auch größere Offensivoperationen wahrscheinlich. Gut möglich, dass Russland die gesamte Schwarzmeerküste zu erobern versucht. Auch könnte Moskau durch gezielte Angriffe gegen Zivilisten eine Kapitulation der Ukraine erzwingen. Derzeit gibt es keine Anzeichen dafür, dass der Kreml von den Anfangsforderungen wesentlich abzuweichen bereit ist. Moskau kann Militärverluste einfacher auffüllen als die Ukraine."

    Wie realistisch ist die "Befreiung" der Donbass?

    Marcus Keupp: "Die russische Armee muss mit großen Kräften angreifen, wenn sie Slovyansk und Kramatorsk erobern wollen. Diese umliegenden Regionen sind die Puzzleteile, die Putin noch fehlen."

    Wie lange könnte der Krieg noch dauern?

    Alexander Dubowy: "Ich rechne noch mit einigen paar Wochen. Mehrere Monate sind eher wenig wahrscheinlich. Der aktuelle Abnutzungskrieg wird für beide Seite über lange Zeit nur schwer durchzuhalten sein. Der 9. Mai ist in Russland ein Feiertag von hoher Bedeutung. Es könnte sein, dass Putin dann das Ende des Kriegs ausrufen wird."