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Frauen fliehen, um als Bräute verkauft zu werden

Heute Redaktion
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Seit der verheerenden Hungersnot Mitte der 1990er Jahre wurden Tausende, vielleicht sogar Zehntausende Nordkoreanerinnen in China als Bräute verkauft.

Die Nordkoreanerin S.Y. lebt seit elf Jahren auf einer Farm in China – zusammen ihrem Mann, einem behinderten Chinesen, der sie gekauft hat. S.Y., die aus Sicherheitsgründen anonym bleiben will, wurde von einem Mittelsmann mit dem Versprechen über die Grenze gelockt, dass sie in China Arbeit finden werde.

Aber nichts davon war wahr. Für umgerechnet etwa 2.000 Euro wurde die Witwe aus Nordkorea an den Bauern veräußert.

"Ich war völlig außer mir"

In all den Jahren in China hat sie mit der Angst gelebt, die Polizei könne sie aufspüren und zurückschicken, wo sie Gefängnis und vielleicht auch Folter erwarten würde. Auch war S.Y. Anfeindungen ihrer Nachbarn ausgesetzt, die sie als Außenseiterin betrachten.

Vor allem aber leidet sie unter der Trennung von ihren beiden Kindern, die sie in Nordkorea zurücklassen musste. "Als ich zuerst hierher gekommen bin, habe ich viel getrunken, weil ich mir so viele Sorgen um meine Kinder gemacht habe", sagt die 53-Jährige. "Ich war völlig außer mir."

Die Geschichte von S.Y. ist kein Einzelfall. Nach Schätzung von Experten sind seit der verheerenden Hungersnot Mitte der 1990er Jahre in Nordkorea Tausende, vielleicht sogar Zehntausende Nordkoreanerinnen über die Grenze geschleust und als Bräute verkauft worden.

Ein-Kind-Politik erschwert Partnersuche

Die Schlepper sagen den Frauen, dass sie in China Jobs fänden und rasch mit Geld wieder heimkehren würden. Stattdessen werden sie als Bräute an Männer veräußert, zumeist arme Bauern in drei Grenzprovinzen. Für sie ist das Finden einer Partnerin schwer – zum Teil deshalb, weil Chinas Ein-Kind-Politik zur Abtreibung vieler weiblicher Föten geführt hat.

Das Schicksal der Nordkoreanerinnen wird weitgehend ignoriert. Das liegt unter anderem daran, dass die betroffenen Frauen fast niemals bereit sind, sich öffentlich zu äußern. Die Nachrichtenagentur AP hatte die Gelegenheit, mit sieben verkauften Bräuten und drei chinesischen Ehemännern zu sprechen. Wobei der Begriff Ehemann rechtlich nicht zutrifft: Weil sich die Frauen illegal im Land aufhalten, haben keine offiziellen Eheschließungen stattgefunden.

Zweimal zurückgelassene Kinder

Einige der Nordkoreanerinnen sind mit ihrem neuen Leben zufrieden. Andere werden von ihren Männern misshandelt oder haben es mit Verwandten und Nachbarn zu tun, die auf sie herabblicken oder sie verspotten. Wiederum andere haben sich nach Südkorea abgesetzt, die gefährliche Reise dorthin riskiert – und oft ein zweites Mal Kinder zurückgelassen, diesmal in China.

Für S.Y. waren die ersten Jahre am schwersten. Obwohl sie von ihrem chinesischen Mann gut behandelt wird und mit ihm eine Tochter hat, konnte sie niemals die Trennung von ihren zwei nordkoreanischen Kindern überwinden. Sie hat sie zuletzt 2006 gesehen. Eines Tages, erzählt sie, sei sie so von Trauer überwältigt gewesen, dass sie ihr Leben mit Schlaftabletten beenden wollte. Nach ihrer Rettung kam sie nach eigenen Worten zu der Erkenntnis, dass ihre halbchinesische Tochter und auch ihr Mann, der an Polio leidet, sie brauchen.

Für Informationen Schweine und Mais verkauft

So ließ sie denn auch eine Gelegenheit verstreichen, nach Südkorea zu fliehen. "Ich lebe hier wegen meiner Familie und weil ich meinem Mann dankbar bin", sagt S.Y. Tatsächlich haben der 55-Jährige und dessen Angehörige Schweine und Mais verkauft, um mit Hilfe von Mittelsmännern herausfinden zu können, wie es den beiden in Nordkorea zurückgebliebenen Kindern geht.

Die beiden Buben, so erfuhren sie, leben beim Bruder ihrer Mutter.

Auch zwei andere Nordkoreanerinnen in der Provinz Liaoning geben im Interview an, dass ihre Männer sie gut behandelten. Eine verkaufte Braut, die nach Südkorea floh, schildert, ihr chinesischer Ehemann habe sie nach einem ersten Fluchtversuch stundenlang an einem Pfahl festgebunden. Die Frauen bleiben oftmals wegen der Kinder, die sie mittlerweile in China haben. Meistens sprechen sie wenig Chinesisch, haben kaum Freunde und genießen nicht die gleichen sozialen und medizinischen Leistungen wie normale Bürger.

Ewige Angst und erneute Flucht

Wer fliehen will, muss sich erneut in die Hände von Schleusern begeben. Kim Jungah lebte zweieinhalb Jahre in Liaoning, als sie die ständige Furcht, von den chinesischen Behörden aufgegriffen und zurückgeschickt zu werden, nicht mehr ertragen konnte. "Immer wenn ich ein Auto gehört habe, hatte ich Angst, dass es die Polizei ist", schildert die 41-Jährige.

So verließ sie vor acht Jahren ihre chinesische Familie – in der Hoffnung, später mit genügend Geld in Südkorea ihren Mann und ihre Tochter zum Nachkommen überreden zu können. Aber ihr Mann lehnte ab.

"Verstehe nicht, warum sie gegangen ist"

Als er 2013 erfuhr, dass Kim in Südkorea geheiratet hatte, änderte er seine Telefonnummer. Seitdem hat sie nicht mehr mit ihrer Tochter gesprochen. Ihr chinesischer Mann fühlt sich selbst als Opfer eines "Heiratsschwindels", sagt er AP. "Sie ist hierher gekommen, hat ein Kind zur Welt gebracht und ist gegangen", so der 50-Jährige. "Sie hatte Essen und einen Platz zum Leben. Ich verstehe nicht, warum sie gegangen ist."

Eine andere Nordkoreanerin, die nur als Kim identifiziert werden möchte, hat einen zehnjährigen Sohn in China. Sie bleibt seinetwillen. Ihren ältesten Sprössling, mittlerweile 12, ließ sie 2007 in Nordkorea zurück. Vergessen werde sie ihn nie, sagt die 46-Jährige. "Ich weine immer, wenn ich an ihn denke." (gux)