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HTC Vive im Test: Tiefes Abtauchen in virtuelle Welten

Heute Redaktion
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Bild: HTC

Mächtig Eindruck hinterlassen hatte die Vive, die Virtual-Reality-Brille von HTC, als wir sie als Vorab-Version bei einer exklusiven Demonstration im November 2015 getestet hatten. Nun ist die HTC Vive fertig, hat sich designmäßig etwas verändert und ist ab 899 Euro erhältlich. "Heute Digital" hat sie noch einmal getestet und zeigt, welche Vor- und Nachteile die Vive hat, was man bedenken muss und ob sich eine Anschaffung überhaupt lohnt.

Mächtig Eindruck hinterlassen hatte die  Vive, die Virtual-Reality-Brille  von " hat sie noch einmal getestet und zeigt, welche Vor- und Nachteile die Vive hat, was man bedenken muss und ob sich eine Anschaffung überhaupt lohnt.
Wer träumte vor dem PC oder der Konsole nicht einmal davon, selbst im Cockpit eines Weltraumjägers zu sitzen, den Meeresgrund zu erforschen oder sich hinter das Steuer eines Rennautos zu klemmen? Einfach selbst in das Spiel einzutauchen? Die Kontrolle zu übernehmen? Virtuelle Realität macht das möglich - und das Erlebnis ist fast unmöglich in Worten zu beschreiben.

Stellen Sie sich vor: Sie setzen eine VR-Brille auf und sind plötzlich mittendrin im Geschehen. Was Sie tun, passiert im Spiel, wohin sie schauen oder sich bewegen, dorthin sieht oder geht das virtuelle Ich. Und das in teils realistischen Grafiken. Dieses Erlebnis wollen vielen Hersteller bieten: Begonnen bei Google Cardboard über die Gear VR und die PlayStation VR bis hin zur Oculus Rift. Niemandem gelingt dies aber bisher so gut und faszinierend wie HTC bei der Vive, die in Kooperation mit Valve entwickelt wurde.

Es hat sich was getan bei der HTC Vive seit dem Test der Vorab-Version. Die Kabelanschlüsse wurden aufgeräumt, die Controller überarbeitet, das Sichtfeld der "Consumer Version" macht die Ränder der Brille fast unsichtbar. Ein Designwunder ist die Vive aber trotzdem nicht, sie wirkt und fühlt sich wie eine klobige, überdimensionierte Skibrille an. Das macht aber nichts, denn sie erfüllt ihren Zweck hervorragend und trägt sich auch komfortabel.

Der Weg dahin, bis man die Brille aber erstmals aufsetzen kann, ist ein weiter. Bei der Vive gibt es kein simples "Plug & Play", es ist eine akribische Vorbereitung und danach Zeit für den Aufbau des gesamten Systems notwendig. Bis man in die Virtuelle Realität abtaucht, dauert es. Den Weg bis dahin, was es zu beachten gibt und was uns gefiel oder störte, zeigen wir in den nächsten Absätzen.

Dieser Weg wird kein leichter sein

Schon alleine die Box der HTC Vive lässt vermuten, dass da einiges auf den Nutzer bei der Inbetriebnahme zukommt. Umso mehr wundert man sich beim Öffnen der Schachtel, dass es nur ein A2-Blatt gibt, das als Anleitung fungiert. Die eigentlichen Vive-Komponenten kann man vorerst einmal in der Schachtel liegen lassen, denn erst wartet die Arbeit am PC. Die Grafiktreiber müssen auf den neuesten Stand gebracht, Steam installiert und registriert sowie ein HTC-Konto angelegt werden. Hat man diese Schritte hinter sich und mehrere Minuten überbrückt, beginnt erst der "richtige" Aufbau, der ein "Do it yourself"-Feeling aufkommen lässt.

Mit einer Anleitung über die Steam-Plattform werden zwei Sensoren-Basisstationen in gegenüberliegenden Ecken des Raumes positioniert. Dabei gilt es zu beachten, dass der Platz zwischen den Stationen möglichst groß (maximal 5x5 Meter) ist, denn hier wird man sich beim Spielen bewegen. Außerdem sollten die Sensoren möglichst in mehr als zwei Metern Höhe platziert (angeschraubt an der Wand oder fixiert auf Stativen) werden. Was gleich dabei auffällt: Steckdosen braucht man jede Menge, denn alleine die Basisstationen hängen schon separat an Stromquellen. Wer keine sichtbaren Kabel haben will, muss sich bei der Vive einige Tricks einfallen lassen.

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Eine Frage des Platzes

Weiter geht es mit der Festlegung des Spielbereichs. Dazu hält man einen der Controller so weit von sich, wie man kann, und geht im Raum herum, bis man alle Begrenzungen, sprich höchstwahrscheinlich Wände, abgegangen ist. Steam VR macht daraus dann einen Spielbereich. Später wird dadurch im Sichtfeld der Brille eine farbige Warnung angezeigt, wenn man gegen eine Wand zu laufen droht. Die Vive kann dabei (optimalerweise) auf einer 25-Quadratmeter-Fläche benutzt werden. Doch wer hat schon so viel freien Platz? "Heute Digital" testete die Vive auf einer rund 1,90x2,20 Meter großen Fläche.

Weiter geht es mit der kleinen Basiseinheit - HDMI-, USB-3.0- und Power-Anschluss werden mit dem PC verbunden, auf der anderen Seite der Einheit werden die drei Anschlüsse des Headset angesteckt - zum Glück sind die drei Kabel in einer flexiblen Ummantelung bis in das Headset zusammengefasst, damit es hier keinen Kabelsalat gibt. Fünf Meter lang ist die Kabel-Kombi, und bietet damit ausreichend Bewegungsfreiheit. Als Kopfhörer sind bei der Vive In-Ears mitgeliefert - es können aber alle Standard-Kopfhörer per USB- oder Klinkenstecker angeschlossen werden. Empfehlenswert sind On-Ear-Hörer, damit Umgebungsgeräusche besser ausgeblendet werden.

Angenehmes Tragegefühl trotz Gewicht

Auch wenn das Headset etwas mehr als ein halbes Kilo (555 Gramm) auf die Waage bringt, trägt es sich nicht unangenehm. Durch die die Fixiermöglichkeiten und die Polsterung des Sichtbereichs rutscht die Brille nicht. Perfekt gestaltet wurden auch die beiden Controller, die in den Spielen als feedbackgebende Hände des Nutzers fungieren. Sie liegen perfekt in der Hand und die Tasten sind für eine intuitive Bedienung angeordnet - an der Rückseite Abzüge, Drucktasten für Finger und Handballen und Pads mit Scroll- und Dreh-Bedienung.

Hört sich kompliziert an, geht aber sofort in Fleisch und Blut über und nach wenigen Minuten denkt man nicht mehr darüber nach, welche Tasten man drücken muss. Die Controller verfügen über verbaute Akkus, sind aber dafür überraschend leicht und mussten im Test von "Heute Digital" tagelang nicht geladen werden. Die Controller sind wie der Großteil aller Gamepads aus Kunststoff, lassen sich dadurch leicht reinigen. Viel Zeit ist vergangen, doch nun aktiviert man die Basisstationen, drückt den Aktivierungsknopf am Headset und beiden Controllern und ist tatsächlich VR-"ready". Dieser doch hohe und zeitintensive Aufwand soll sich lohnen.

Grafisch beeindruckend, fühlbar sensationell

Hat man sich auch VR-Spiele von der Steam-Plattform heruntergeladen, taucht man endlich in die Virtuelle Realität ein. Das Headset bietet über die beiden Linsen eine Auflösung von insgesamt 2.160x1.200 Pixel und ein 110-Grad-Bild, das sich durch das Headtracking zu einem 360-Grad-Rundumblick wandelt. Je nach Spiel kann man zwar bei genauem Hinsehen noch Pixel beziehungsweise leicht verwaschene Grafiken erkennen, zeigen aber bei vielen Inhalten wie der Unterwasser-Demo "theBLu" gewaltige grafische Leistungen. Schlägt ein großer Wal mit seiner Flosse in den dunklen Tiefen des Meeres gegen das Schiffswrack, auf dem man sich befindet, zuckt man ob der realistischen Darstellung zusammen. Beeindruckend!

Dabei ist die grafische Leistung, die im VR-Bereich derzeit als unangefochten gelten dürfte, gar nicht das größte Argument, das für die Vive spricht. Sensationell ist vielmehr das Gefühl, das die Vive zu vermitteln schafft. Schnell vergisst man den Raum um sich herum und wandelt im Geiste tatsächlich auf dem Wrack, das da am Meeresboden liegt. Man kniet sich auf die Planken, beugt sich über die Reeling, versucht mit den Händen, vorbeischwimmende Fische zu berühren. Die Hand- und Kopfbewegungen des eigenen Körpers werden so gut wie ohne Verzögerung in das Spiel übertragen, man verschmilzt mit dem virtuellen Ich und verliert jegliches Raumgefühl. 

Von Jumpscares und großem Staunen

Beeindruckend ist die Vielfalt der VR-Games, die bereits angeboten werden. Allerdings schwankt deren Qualität teils heftig. Für Kreative steht etwa "" auf, weil man als virtueller Fluglotse Jets mit wenig Sprit oder in anderen Nöten sicher landen muss, indem man ihre Flugwege in den Himmel bis auf die Landebahn zeichnet.

Das Herz in die Hose rutscht einem bei ".

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So real ist das Spielerlebnis  

Es gibt zahlreiche Momente, in denen das VR-Erlebnis für den Nutzer tatsächlich real zu werden scheint. In der "Secret Shop"-Szene in "The Lab" findet man sich in einem magischen Laden wieder, wird zur Mitte des Raumes gelockt und bückt sucht auf den Knien nach der Herkunft eines Geräuschs. Plötzlich springt ein kleines Wesen aus einer Ritze und verschwindet in einem Loch in der Wand - der Nutzer schreckt dabei zurück, der Puls schnellt hoch, man weicht dem virtuellen Wesen ohne nachzudenken in der realen Welt aus.

In der "Aperture Robot Repair"-Demo wiederum bricht der virtuelle Raum um einen herum auseinander und ganz instinktiv greift man in der Realität nach einem Halt, um nicht abzustürzen. So schwer das Virtual-Reality-Erlebnis zu beschreiben ist, so dürfte dies zumindest Anhaltspunkte dazu geben, was die Vive zu leisten vermag und wie sehr sie Nutzer in ihren Bann zu ziehen weiß. Es lässt zudem erahnen, was beim "Storytelling" in Zukunft noch alles möglich sein wird. Unterbrochen wird der immersive VR-Genuss kaum, auch wenn man immer wieder durch einen leichten Zug des Kabels am Headset daran erinnert wird, dass es auch noch eine andere Welt um einen herum gibt. Vielleicht ist das auch ganz gut so.

Was uns nicht gefällt

Was sind die Punkte, die uns im Test gestört haben? Zum einen ist es die aufwändige Einrichtung und die Planung, die man durchführen muss, um die HTC Vive in Betrieb nehmen zu können. Wobei die Dauer das geringere Übel als die Anforderungen des Aufbaus ist. Eine möglichst große Fläche muss dauerhaft freigeräumt sein, die Sensoren müssen idealerweise an der Wand montiert werden und aus allen möglichen Komponenten dringen Kabel hervor, die angeschlossen werden wollen. Vor dem Aufbau sollte man sich dazu einen Plan zurechtlegen, wo der PC stehen soll und dann kontrollieren, ob sich die Kabelverbindungen ausgehen und es mit der Stromversorgung klappt. Nicht viele werden für die Vive perfekt eingerichtet sein.

Zum anderen ist es der Preis der HTC Vive, bei dem es in den meisten Fällen nicht bei den 899 Euro bleiben wird. Zum Betrieb ist ein leistungsstarker Rechner notwendig, der mutmaßlich nicht in vielen Haushalten vorhanden sein wird. Dieser schlägt grob gerechnet noch einmal mit dieser Summe zu Buche. Kontrollieren, ob der eigene PC leistungsfähig genug ist, kann man .

Bleiben noch zwei kleinere Kritikpunkte: Alleinspieler könnten es schwer haben - um Zusammenstöße zu verhindern, ist idealerweise eine zweite Person anwesend. Diese kann auch komfortabler Games für den Headset-Träger auswählen und starten, zwingend notwendig ist dies aber nicht. Allerdings wird einem als Hilfsperson nur beim Zuschauen etwas langweilig, da man nur die Funktion hat, den Spieler vor Gefahren zu schützen. Was dazu noch so gut wie alle VR-Brillen eint: Bei längerer Spielzeit (über einer Stunde) ist erst einmal Schluss, es kommen leichte Augenschmerzen und ein geringes Schwindelgefühl auf.

Was uns gefällt

Anknüpfend an den letzten Kritikpunkt muss aber angemerkt werden, dass eine tatsächliche "Gaming Sickness", sprich Übelkeit, bei der Vive nicht eintritt. Das mag daran liegen, dass der Spieler die Bewegungen im Spiel tatsächlich ausführt und es sich deswegen gewohnt anfühlt. Im Gegensatz dazu sitzt man bei anderen Geräten starr in einem Stuhl, während wilde Bewegungen in der VR-Welt ausgeführt werden. In punkto Bedienung muss man die Vive zudem in den Himmel loben - noch nie hat sich eine VR-Steuerung so natürlich angefühlt, wie es bei der HTC-Brille umgesetzt wurde. Fasst man diese Punkte zusammen, muss von einem grandiosen VR-Erlebnis gesprochen werden.

Auch grafisch liegt die HTC Vive derzeit vor ihren Konkurrenten, auch wenn nur ein Bruchteil der Spiele tatsächlich den Fokus auf die Grafikleistung legt und trotzdem immer wieder Pixel und leicht verschwommene Grafiken zu erkennen sind. Fotorealismus oder das Niveau von hochkarätigen Konsolen- und PC-Titeln darf man sich nicht erwarten. Viele spielbare VR-Demos zeigen aber, dass das Ende der Fahnenstange nicht erreicht ist. Bleiben noch einige kleinere Pluspunkte: Die Schritt-für-Schritt-Anleitung sollte selbst dem größten Laien den Aufbau möglich machen, die VR-Spielauswahl kann sich sehen lassen und der bei Konsolen- oder PC-Titeln oft vermisste Einfallsreichtum der Entwickler wird Woche für Woche bei den VR-Titeln unter Beweis gestellt.

Fazit: Was man bedenken muss

Wer Videos und Spiele der HTC Vive sieht und begeistert ist, sollte nicht gleich loslegen und sich eine der Brillen bestellen, sondern sich eingehend Gedanken darüber machen, was im Vorfeld zu beachten ist. Hat man genug Platz in der Wohnung zur Verfügung? Verfügt man über genug Steckdosen und hat man die Möglichkeit, die Kabel so zu verlegen, dass man nicht darüber stolpert? Und ist man bereit, Geld für das gesamte System in die Hand zu nehmen? Neben den 899 Euro für die Vive ist wie erwähnt ein leistungsstarker PC nötig und neben vielen kostenlosen Inhalten schlagen dann auch die Spiele mit durchschnittlich niedrigen zweistelligen Euro-Beträgen auf das Budget.

Die wichtigste Frage ist jedoch, ob es sich bei der HTC Vive um eine dauerhafte Spitzenlösung bei VR-Systemen handeln wird. Trotz aller beeindruckender Leistungen, VR steckt noch in den Kinderschuhen. Die Entwicklung schreitet aber in riesigen Schritten voran, momentan steht die Vive noch an deren Spitze. Zumindest die Aussichten sind gut, dass das auch noch mindestens ein, zwei Jahre der Fall sein wird. Wer sich für die Anschaffung entscheidet, bekommt dafür eine innovative, revolutionäre Technologie ins Haus, wie es derzeit niemand besser umsetzen kann. Die HTC Vive macht Virtuelle Realität greif- und erlebbar. Ein Gefühl, von dem Gamer vor ihren Konsolen oder Computern bei allem Respekt nur träumen können.