Niederösterreich

Mäderl aß vor lauter Hunger in Schule 2,5 Stunden durch

Eine Pflegemutter musste heute in St. Pölten erneut vor Gericht. Sie soll ein Kind extrem vernachlässigt haben, die Kleine (7) wog nur 13 Kilo.

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Angeklagte (44) vor Gericht in St. Pölten
Angeklagte (44) vor Gericht in St. Pölten
privat

Der Fall rund um ein heute neunjähriges Mädchen hatte für Bestürzung in Niederösterreich gesorgt: Die Kleine war mit 18 Monaten zur Pflegemutter in den Bezirk Amstetten gekommen. Die 44-Jährige ist selbst dreifache Mutter erwachsener Kinder. Die Frau erhielt für das "neue" Kind Pflegegeld der Stufe 4.

Im Kiga war Mutter kooperativ

Die Kleine soll zwar bereits im Kindergarten unter Mangelerscheinungen gelitten haben, doch lang fiel die optische Schieflage nicht auf. Denn: Wurde eine Pädagogin "lästig", wurde laut Anklage das Mäderl aus dem Hort genommen.

Eine damalige Kindergartenleiterin erinnerte sich im Zeugenstand: "Damals aß das Kind noch recht brav und die Mutter war relativ kooperativ."

Maissticks und Sauerkrautsaft

Doch mit der Schulpflicht soll es bergab mit der Kleinen gegangen sein: Mit sieben Jahren wog das Mädchen nur noch 13 Kilogramm ("Heute" berichtete). Die Direktorin der Sonderschule (Anm.: Kind war teils in Sonderschule, teils in normaler Volksschule): „Das Kind war von 7 bis 17 Uhr bei uns und wirkte immer kraftlos. Die Mutter sagte stets, dass es nur einen Viertel Liter Wasser trinken und nur das Mitgegebene essen dürfe. Das mitgebrachte Essen war wenig und zum Beispiel ein spezielles Brot, Maissticks oder Sauerkrautsaft.“ Die Direktorin weiter: "Grundsätzlich aß das Mädchen gerne, hatte ich den Eindruck. Wir gaben dem Mäderl, wenn es Hunger hatte, dann halt Erdäpfel. Doch dann fehlte die Kleine tagelang in der Schule. Die Begründung der Mutter: Die Kleine hätte Bauchschmerzen wegen des Verzehrs der Erdäpfel."

Gestohlen hat die Kleine eine Jause in der Schule zwar nie, aber: „Sie raffte die Reste zusammen und die Kinder nahmen ihr oft Essen aus Mitleid mit. Ihre Jausenbox war verschimmelt“, so eine Betreuerin vor Gericht im Zeugenstand.

"Lebkuchenhaus verputzt"

Eine andere Lehrerin erinnerte sich vor Gericht: „Einmal aß das Mädchen aus Hunger sogar das Lebkuchenhaus der Schule.“ Eine weitere Zeugin: "Ich erinnere mich an den ersten Schultag nach einem langen Wochenende. Das Mädchen aß 2,5 Stunden ununterbrochen."

"Hilfe, ich verdurste"

Der Vorwurf, das durstige Kind hätte aus einer Lacke trinken müssen, wurde von der Mutter der Angeklagten (Anm.: Oma der Kleinen) schlüssig erklärt: "Sie war bei mir. Bei mir gab es Frühstück und eben nur ein Glas Wasser, einen Viertel Liter. Mehr vertrug das Mädchen nicht und war ungesund für sie. Das Kind wollte ein zweites Glas, bekam es aber nicht. Dann ging es mit mir einkaufen. Dort warf sich die Kleine vor Publikum in eine Pfütze und rief: "Hilfe, ich verdurste."

"Brav sein, sonst wirst Du gefesselt"

Einer Psychologin gegenüber soll die Kleine gesagt haben: „Wenn Du nicht brav bist, wirst Du gefesselt“. Diese Bemerkung ist insofern von Bedeutung: Das Kind hatte leichte Schrammen bzw. Spuren an den Sprunggelenken. Möglich, dass das Kind fixiert worden war.

Schlampte Jugendamt?

Was generell seltsam anmutet: Immer wieder musste das Kind krankheits- oder schwächebedingt ins Spital, nahm dort stets ordentlich zu, kam nach Hause und nahm wieder ab. Das Jugendamt besuchte trotz ständiger Interventionen die Mutter in drei Jahren sieben Mal (Anm.: davon sechs Mal angekündigt, da war alles in Ordnung, nur einmal unangekündigt). Offenbar erklärten die Verantwortlichen der Jugendwohlfahrt viele Missstände mit dem Trauma aus dem Entführungsfall. 

Pflegemutter wirkte bemüht

Die angeklagte Pflegemutter wirkte vor Gericht bemüht, konnte mehrere Atteste bezüglich einer Nahrungsmittelunverträglichkeit des Kindes vorlegen. Der jetzige Gutachter widerspricht dem: "Das Kind hat keine Nahrungsmittelunverträglichkeiten." 

Der Prozess wurde für weitere Zeugen auf 4. November vertagt. Gut möglich, dass es auch im November kein Urteil geben wird. Im schlimmsten Fall drohen der Pflegemutter wegen fortgesetzter Gewaltausübung bis zu 15 Jahre Haft, für die 44-Jährige gilt die Unschuldsvermutung.

Kind jetzt in Wien

Mittlerweile ist die Neunjährige, die laut Gutachter trotz ihrer beeinträchtigten körperlichen Entwicklung durchschnittliche geistige Fähigkeiten besitzt und deshalb in der Lage sei, Aussagen zu treffen, in einer Wohngruppe in Wien untergebracht, hat zugenommen und dem Kind geht es den Umständen entsprechend gut.