Gesundheit

Impfungen allein können das Coronavirus nicht aufhalten

Die Corona-Impfung galt bisher als "Game Changer". Doch eine Studie zeigt: Die Mutanten könnten den Traum von einer Herdenimmunität zunichtemachen.

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Eine neue Studie gibt in Bezug auf die Herdenimmunität leider wenig Hoffnung.
Eine neue Studie gibt in Bezug auf die Herdenimmunität leider wenig Hoffnung.
JFK / EXPA / picturedesk.com

Anders als die britische Mutante B.1.1.7, die mittlerweile für fast die Hälfte der Neuinfektionen in Österreich verantwortlich ist, kommt die Impfkampagne des Bundes nur langsam voran. Bis zum 23. März 2021 hatten erst 341.362 Personen beide Impf-Dosen erhalten.

Doch selbst wenn schon viel mehr Menschen die schützenden Piekse bekommen hätten: Von der angestrebten Herdenimmunität sind wir weit entfernt. Und das sogar deutlich weiter, als wir bisher gemeint haben. Davon berichten Forschende der britischen University of Warwick im Fachjournal "The Lancet Infectious Diseases".

Ausrottung des Virus nicht mehr realistisch

Laut den Berechnungen des Team um Matt J. Keeling lässt sich mit Impfungen kaum noch eine Herdenimmunität gegen Sars-CoV-2 erreichen. Eine vollständige Eindämmung des Virus und damit das Ende der Pandemie allein aufgrund von Impfungen halten Keeling und seine Mitstreiter für unwahrscheinlich. Ähnlich hatte sich im Februar 2021 auch Immunologe Christian Münz von der Universität Zürich gegenüber Nzz.ch geäußert: Das Szenario, bei dem das Virus ausgerottet wird, "halte ich nicht mehr für realistisch."

Doch was heißt das für unser Leben? "Würden wir nach Impfung aller Impfwilligen alle AHA+L-Regeln fallen lassen, sterben viele", erklärt der deutsche Politiker und Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. So sehen es auch die britischen Forschenden. Ihnen zufolge sind Lockerungen der Corona-Massnahmen vertretbar, sobald ein großer Teil der Bevölkerung geimpft ist.

Komplett darauf verzichten könne man auf diese vorerst nicht. Der Grund: Der theoretische R-Wert dürfte wegen der ansteckenderen Virusvarianten ohne jeden Impfschutz bei 3,15 liegen, so die Forschenden. Die Folgen seien sonst "fatal" und könnten auch in der teilgeimpften Bevölkerung zu neuen Infektionswellen führen, bei denen täglich 1670 Menschen in Grossbritannien sterben, heisst es in einer Mitteilung. Bei einer allmählichen Freigabe im Laufe der nächsten fünf oder zehn Monate bei gleich bleibendem Impftempo dagegen würde diese Zahl dagegen auf 430 beziehungsweise unter 46 Corona-Tote pro Tag sinken.

Gute und schlechte Unsicherheiten der Studie

Keelings Kollege Sam Moore weist darauf hin, dass die von ihm und seinen Kollegen ausgewiesenen Zahlen gewissen Unsicherheiten unterliegen: "Seit wir diese Studie durchgeführt haben, haben sich neue Erkenntnisse ergeben, die darauf hindeuten, dass sowohl der Impfstoff von Pfizer-Biontech als auch der von Oxford/AstraZeneca einen höheren Schutz vor schweren Erkrankungen bieten, als wir angenommen haben." Das sei gut: "Dies könnte das Ausmass der von uns geschätzten zukünftigen Spitaleinweisungen und Todesfälle reduzieren, wodurch zukünftige Wellen für das Gesundheitswesen besser zu bewältigen wären."

Allerdings berücksichtigen die Forschenden bei der Modellierung der verschiedenen Szenarien weder die höhere Infektiosität von Mutanten wie B.1.1.7 gegenüber dem alten Erreger noch eine womöglich nachlassende Immunität von Geimpften einige Zeit nach der Impfung. Entsprechend könnten die errechneten Zahlen auch höher sein. Das würde die Coronamaßnahmen noch wichtiger machen, da die britische Virusvariante die Ungeimpften sonst "voll durchliefe", führt Lauterbach auf Twitter aus.

Herdenimmunität vielleicht unerreichbar?

"Selbst wenn das meist Jüngere/Menschen im mittleren Alter wären, wäre das Ergebnis verheerend", so der Experte. "Die meisten Geimpften werden zwar nicht schwer krank, aber viele doch." Deshalb zeige die Studie aus seiner Sicht auch, «wie wichtig es ist, Querdenker zu bekämpfen." Weil: Je höher der Anteil Ungeimpfter ist, umso stärker müssen sich alle anderen einschränken, um große zusätzliche Wellen zu verhindern. Allerdings, das betont er in einem weiteren Posting, müsse das Impfen freiwillig geschehen. "Ich bin gegen eine Impfpflicht."

Lauterbach macht noch auf ein anderes mögliches Problem aufmerksam: "Wenn man während des Impfens hohe Fallzahlen zulässt, riskiert man Fluchtmutationen mit hoher Resistenz gegen Impfstoffe. Das treibt die Schwelle zur Herdenimmunität hoch, vielleicht in unerreichbare Höhe."

Dass die Entwicklung von Fluchtmutationen unbedingt verhindert gehört, sieht auch Viola Priesemann vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen so: "Der Vorteil, eine weitere Pandemiewelle zu vermeiden, liegt auf der Hand: Weniger Long-Covid-Fälle, weniger Quarantäne, weniger Todesfälle und geringere Auswirkungen der Pandemie auf Gesellschaften und Volkswirtschaften", schreibt sie in einem Kommentar zur Studie: Denn "mehr Infektionen würden mehr Spielraum für die Ausbreitung und Entwicklung von Ausbruchsvarianten bedeuteten, die einen großen Rückschlag für jede Impfstrategie darstellen, so dass es entscheidend sein wird, diese Eventualität zu vermeiden."