Politik

NEOS-Chefin: "Unsere Regierung zündelt gerade"

Die neue NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger hat im "Heute"-Interview Angst um ihr Herzensprojekt Gemeinsames Europa.

Heute Redaktion
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"Heute": Sie wurden gerade von fast 95 Prozent der Mitglieder zur neuen Parteichefin der Neos gewählt. Was ist das für ein Gefühl?

Beate Meinl-Reisinger: „Ich habe mich tatsächlich wirklich gefreut über die hohe Zustimmung und die enorm zuversichtliche Stimmung. Alle gemeinsam gehen nun entschlossen und voll Zuversicht in die neue Etappe."

Wie gehen Sie diese Etappe nun an?

„Ich habe meine Schwerpunkte gleich am Samstag nach der Wahl kurz skizziert. Einerseits eine starke Verankerung unserer Werte: Wir müssen jetzt aufpassen, dass wir unsere liberalen Grundwerte – Demokratie, Meinungsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit und das gemeinsame Europa – im Auge behalten. Weil um uns herum alle diese Werte eingeschränkt werden und auch in Österreich solche Tendenzen zu erkennen sind. Andererseits wird genau dieses gemeinsame Europa ein Schwerpunkt sein."

Ab September im Parlament

Wann starten Sie durch?

Beate Meinl-Reisinger im Word-Rap
Vom Politstress entspanne ich mit ... Tennis und natürlich den Kindern, die erden einen sehr schnell.

Von Kastanien-Gedichten und Bäume-Umarmen halte ich ... es mit Matthias Strolz: Man sollte sich nicht drüber lustig machen.

Familie ist für mich ... der wichtigste Ort, wo ich so sein kann wie ich bin.

Wien ist für mich ... meine Heimatstadt.

Das fehlt in Österreich ... Zwei Dinge: echte Strukturreformen und eine klar proeuropäische Haltung.

Das liebe ich an Österreich ... die Menschen, die Natur, die Städte, die Kultur - viel, alles!

„Ich gehe ja erst Ende September in den Nationalrat, werde über den Sommer unsere Teams in den Regionen treffen, aber auch viel unterwegs sein, um mit den Menschen zu sprechen und zuzuhören."

Hat diese Tour auch den Grund, weil Sie in Wien zwar einen hohen Bekanntheitsgrad haben, aber im restlichen Österreich nicht den besten?

„Ich glaube, das wird sich durch eine Tour nicht so schnell ändern. Aber das sehe ich entspannt. Es wird sich ändern."

Herzensthema in Gefahr

Bei welchen Themen wollen Sie verstärkt Akzente setzen? Wo sehen Sie Nachholbedarf – welche neuen Themen wird es geben?

„Mein wirkliches Herzensthema ist das Europathema, das ist auch aktuell wie nie davor. Was wir derzeit erleben ist, dass Rechtspopulisten, rechte und auch nationalkonservative Parteien, die sich immer mehr an die Rechten ankuscheln, nicht nur zündeln sondern drauf und dran sind, dieses gemeinsame Europa zu vernichten.

Wir werden uns gerade als Liberale aber auch verstärkt dem Klima- und Umweltschutz widmen. Da haben wir sicher zu wenig Augenmerk drauf gelegt, aber das will ich ändern."

Können sich Frauen in Österreich von den Neos unter einer Parteiobfrau nun mehr Frauenpolitik erwarten?

„Es ist mir ein Anliegen, natürlich – genauso wie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, auch aus praktischen, persönlichen Gründen. Aber selbstverständlich habe ich eine breite Palette an Themen. Als ein Thema möchte ich da die Bildungspolitik als großes Anliegen nennen."

Unterschiede zu Strolz

Matthias Strolz ist als Parteigründer und äußerst aktiv-quirliger Parteichef allgegenwärtig gewesen. Was verbindet Sie mit Strolz, wo sehen Sie die größten Unterschiede?

„Es verbindet uns mehr als wir Unterschiede haben. Wir haben auch Neos gemeinsam gegründet. Wir teilen die gemeinsame Wertebasis und sind sehr leidenschaftlich, auch im Eintreten für eine Politik, die nach vorne schaut und Lösungen anbietet, gerade für die Mitte der Gesellschaft."

Wann haben Sie von Strolz' Rücktritt und seinem Wunsch, dass Sie ihm nachfolgen sollen, erfahren?

„Es war ein paar Tage vorher. Wir haben einen Spaziergang vereinbart, das machen wir immer ein Mal im Jahr. Diesmal war der im Lainzer Tiergarten. Ich finde das auch sehr gut, im Gehen gemeinsam über die Zukunft zu reden. Da hat er mir es dann gesagt. Und mich gleich gefragt, ob ich mir die Nachfolge vorstellen kann."

Und wie lange haben Sie überlegt, das anzunehmen?

„Diese Entscheidung, dass ich mich für den Vorsitz bewerbe, habe ich dann nicht alleine getroffen, sondern mit meiner Familie, meinem Mann. Das ist eine Aufgabe, die man partnerschaftlich löst. Ich bin dankbar, dass ich einen Mann habe, der mich hier unterstützt. Das finde ich großartig."

Nikolaus Scherak und Sepp Schellhorn sind nun Ihre Stellvertreter. Wie werden Sie sich die Arbeit, die Themen aufteilen?

„Wir haben am Freitag unsere erste Vorstandssitzung, dann gehen wir am 9. und 10. Juli in Klausur. Die Grundintention ist: Mit Niki Scherak soll die strategische Vorstandsarbeit und Parlamentsarbeit verzahnt werden. Sepp Schellhorn ist ein ganz klares Signal an die Unternehmer, insbesondere den Mittelstand."

Ihr Nachfolger im Gemeinderat

Sie verlassen im Zuge Ihres Wechsels in die Bundespolitik den Gemeinderat in Wien. Wer wird Ihr Nachfolger sein?

„Wir haben am 5. Juli eine Klausur der Gemeinderäte, auch mit meinem Nachfolger, das ist Thomas Weber. Der rückt in Wien nach. Da werden wir auch die Themenaufteilung besprechen und wer mir im Klub nachfolgt. Ich möchte auch die Partei übergeben, möchte aber Zeit für eine geordnete Übergabe – längstens bis Frühsommer nächsten Jahres."

Sie haben in Wien stark für einen Abbau des Verwaltungsapparates gekämpft. Werden Sie das Thema auch bundesweit spielen?

„Grundsätzlich geht es mir darum, dass wir deutlich radikalere Schritte einfordern, um Prioritäten in Richtung Zukunft zu setzen. Was ist die entscheidende Zukunftsfrage? Die Bildung und Ausbildung unserer Kinder. Wir sehen täglich in der Zeitung, was wir alles derzeit nicht schaffen in der Bildung und junge Menschen verlieren, die nicht gescheit Deutsch können, die nicht rechnen können. Das ist ein katastrophales Ergebnis. Durch eine Pensionsreform, die sich nicht als nachhaltige und mutige Reform im Regierungsprogramm findet, könnten wir Mittel für Zukunftsfragen haben. Laut unseren Berechnungen ließen sich dadurch 5 Milliarden Euro an Einsparungen erzielen, das gesamte Bildungsbudget beträgt 8,5 Milliarden Euro. Wir könnten schlagartig für die Bildung Geld haben, es wäre möglich, an jeder Schule Sozialarbeiter zu haben, und zwei Lehrkräfte in den Volksschulklassen, gerade für jene Kinder, die nicht Deutsch können."

Sie haben Ihre Wurzeln in der ÖVP. Waren Mitarbeiterin von EU-Politiker Karas und Staatssekretärin Marek... Wie sehen Sie die neue ÖVP unter Kurz?

„Ich habe meine Werte nie verändert, bin immer für ein gemeinsames Europa, für liberale Werte eingetreten. Die habe ich nicht von der ÖVP bekommen, sondern von meinen Eltern. Was ich derzeit erlebe, gerade in Sachen Europa, finde ich höchst bedenklich und füllt mich mit großer Sorge. Ein Bundeskanzler, der bald den EU-Ratsvorsitz übernimmt, der sich ganz offen in die deutsche Innenpolitik einmischt, der zweifelhafte Achsen schmiedet mit Staaten wie Polen oder Ungarn, in denen schon Verfahren laufen wegen Verletzung der grundsätzlichen Werte der EU."

Regierung zündelt

Befürchten Sie ein Auseinanderbrechen der EU?

„Zumindest zündelt unsere Regierung gerade. Ich habe mir noch nie so große Sorgen um das gemeinsame Europa gemacht wie jetzt. Bei Griechenlandkrise oder Brexit war zwar ein Schock da, aber immer die Zuversicht: Wir werden das gemeinsam lösen. Ganz offen: Da mache ich mir jetzt große Sorgen. Ich will, verdammt noch mal, dass dieses Friedens- und Freiheitsprojekt und auch Wohlstandsprojekt auch für meine Kinder erhalten bleibt. Das ist mein größtes Anliegen."

Im Parlament können die Neos für eine etwaige Zweidrittelmehrheit Stimmen bereitstellen... Bei der Umsetzung welcher Gesetze würden Sie Türkis-Blau unterstützen?

„Ich werde meine Oppositionspolitik mit konstruktiver Härte anlegen. Das heißt: Hart in der Kontrolle, aber konstruktiv, da wo wir sehen, dass wirkliche Strukturreformen angegangen werden. Bislang haben wir nur Überschriften gehört, auch bei der Zusammenlegung der Sozialversicherungsträger. Da könnte es sein, dass nur eine zusätzliche Verwaltungsebene eingeführt wird und wir dann mehr blau-schwarze Funktionäre haben. Aber: Ich wäre sofort bereit, die Zwangsmitgliedschaft vor allem in der Wirtschaftskammer abzuschaffen. Aber dieses Projekt ist von Schwarz-Blau abgesagt."

(red)