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Nie wieder Nazi: Heidi (25) stieg aus der Szene aus

Sie wurde von klein auf indoktriniert. Soldatenlieder, Dirndl und Fremdenhass gehörten zu ihrem Alltag. Mit 18 Jahren stieg Heidi Benneckenstein aus.

Heute Redaktion
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Heidi Benneckenstein hat den Nationalsozialismus hinter sich gelassen: "Ich brauche keine Ideologien mehr in meinem Leben. Ich brauche keinen Leitfaden mehr, der mich durchs Leben führt."
Heidi Benneckenstein hat den Nationalsozialismus hinter sich gelassen: "Ich brauche keine Ideologien mehr in meinem Leben. Ich brauche keinen Leitfaden mehr, der mich durchs Leben führt."
Bild: Annette Hauschild; Klett Cotta Verlag

Sie wuchs mit ihren beiden Schwestern in einem bayrischen Haushalt auf, wo Runen aus Salzteig an den Wänden hingen, Soldatenlieder liefen und völkische Sprüche die Kissen zierten. Heidi Benneckenstein (25) wurde von Kind auf indoktriniert und im Bewusstsein aufgezogen, in einer kranken Welt zu den Gesunden zu gehören.

Gab sie einer ausländischen Klassenkameradin die Hand, wurde sie bestraft. Sie trug Dirndl, ihre Haare zu Zöpfen geflochten. Seit sie sieben Jahre alt war, besuchte sie in den Ferien geheime Zeltlager der seit 2009 verbotenen "Heimattreuen Deutschen Jugend" (HDJ). Hier gab es Rassenlehre für die Kleinsten, Propagandafilme aus dem Dritten Reich, Züchtigungen und Fremdwörterverbote ("Handtelefon" statt "Handy").

Ideologische Widersprüche und Schlüsselmomente

Nachdem ihre Eltern sich hatten scheiden lassen, blieb sie beim Vater – und rebellierte. Gegen ihn, nicht gegen die unvermeidlich verinnerlichte Ideologie. Sie tauchte mit 15 Jahren in die NPD-Szene ein, genoss die rechtsextreme Kameradschaft, pöbelte gegen Polizei, Ausländer und Linke.

"Ein deutsches Mädchen: Mein Leben in einer Neonazi-Familie" von Heidi Benneckenstein. Die packende Autobiographie einer Aussteigerin gibt Einblick in die innere Organisation der rechten Szene.Erschienen im Klett-Cotta Verlag.

Dann lernte sie Felix Benneckenstein kennen, "einen ganz besonderen Nazi". Zusammen wurde sich das Paar der Widersprüche bewusst, die die Szene unhinterfragt lebte: von Disziplin schwärmen, aber saufen bis zur Ohnmacht, den Wert der Familie hervorheben, aber die Freundin betrügen oder an andere weiterreichen.

Das Ende von Heidrun

Mit 17 wurde sie schwanger. Ein Schlüsselmoment, denn ab da wusste sie, dass ihr Kind niemals wie sie aufwachsen sollte. Sie hatte eine Fehlgeburt. Weitere Schlüsselmomente folgten: Als Betrunkene sie im Zug belästigten, half ihr ein Kosovo-Albaner – ausgerechnet! Als ein Links-Aktivist die Kameraden fotografierte, stürzten diese sich auf ihn und prügelten ihn Krankenhausreif. Mittendrin war sie, vollkommen die Beherrschung verlierend und später über sich selbst entsetzt.

Mit ihrem Freund stieg sie mit 18 Jahren aus der Neonazi-Szene aus, begann mithilfe von Aussteigerprogrammen ein neues Leben. Aus Heidrun Redeker wurde Heidi Benneckenstein, die jetzt, sechs Jahre später, das Buch "Ein deutsches Mädchen" geschrieben hat. Über ihre Kindheit in einer Nazi-Familie, über den schweren Ausstieg aus der Szene. Sie begreift es als Wiedergutmachung und Schlussstrich unter ihr Leben als Neonazi.

Frau Benneckenstein, in Ihrer Jugend waren Sie kaum im Ausland, denn dieses war schlecht. Haben Sie das seither nachgeholt?

Wir haben ein paar Reisen unternommen, die wir vorher nicht gemacht hätten. Wir fuhren etwa nach Polen. Das war schon sehr interessant, ich habe Land und Leute ganz anders wahr- und aufgenommen, als ich das früher tat. Früher hätte ich mich wohl am Laufmeter geärgert und ich hätte mich über "die blöden Polen" aufgeregt, alles wäre schlecht gewesen. Jetzt kann ich das alles ganz anders betrachten, und dann begegnen einem die Leute auch ganz anders.

Wie schmerzlich war der Prozess des Aussteigens? Immerhin zerbricht neben einem Weltbild ein Stück weit auch die eigene Identität.

Festzustellen, dass man das Leben an eine falsche Sache so verschwendet hat, ist sehr schmerzlich. Mein Vater hat mir damit einen Teil meiner Kindheit genommen und ich habe mir selbst wichtige Jahre als Teenager genommen, das ist für mich heute oft noch traurig.

Sie hatten verschiedene Schlüsselmomente, die Sie zu Ihrem Ausstieg bewogen. Welches war der wichtigste?

Alle waren sehr wichtig. Denn sie trugen alle dazu bei, dass ich mit meinem eigenen Weltbild und den darin enthaltenen Widersprüchen konfrontiert wurde. Aber zum Willen, aus der Nazi-Szene auszusteigen, hat am meisten wohl meine damalige Schwangerschaft geführt.

Sie schrieben, dass Sie und Ihr Mann bei Ihrem Ausstieg eigentlich keine Angst gehabt hätten. Das ist schwer vorstellbar. Stimmt das wirklich?

Wir hatten zumindest keine latente Angst. Wir waren nicht immer ängstlich oder verunsichert. Natürlich gab es Situationen, die waren und sind schwierig. Da kann man schon Ängste entwickeln, aber diese sind nicht dauerhaft. Es gibt auch heute bedrohliche Situationen. Der Hass der Szene kommt in Wellen wieder hoch. Sie vergisst nicht.

Können Sie so eine Situation beschreiben?

Sehr ungern. Ich möchte keine Nachahmer auf den Plan rufen. Aber gerade wenn wir uns in der Öffentlichkeit bewegen, in denen wir diesen Leuten begegnen, zeigen sie uns durch körperliche Drohgebärden und Mimik, dass sie uns nicht mögen. Das sind immer sehr unangenehme Situationen.

Sie haben lange den Holocaust verleugnet. Wie stellten Sie sich der Wahrheit?

Mit dem Ausstieg war für mich die ganze Nazi-Ideologie zusammengebrochen. Aber erst mit dem Wissen, dass so vieles falsch war, an das ich zuvor so fest geglaubt hatte, konnte ich mich mit dem Thema bewusst auseinandersetzen und diesen Irrglauben, dass der Holocaust eine Lüge sei, abbauen.

Die furchtbaren Fotos aus den KZs – wie haben Sie früher darauf reagiert und was lösen diese heute bei Ihnen aus?

Früher haben diese Fotos nichts bei mir ausgelöst, weil ich schon sehr früh durch meinen Vater gelernt habe, den Holocaust zu leugnen und auch Bilder als gefälschte Beweise zu sehen. Heute ist das natürlich ganz anders, die Fotos bedrücken mich sehr –

besonders, wenn ich mir diesen maschinelle Tötungsprozess dahinter vor Augen führe.

Wie halten Sie es heute mit Ideologien?

Ich brauche keine Ideologien mehr in meinem Leben. Ich kann mir auch nicht vorstellen, Mitglied einer Partei zu werden. Ich möchte frei sein und mir meine eigene Meinung bilden. Ich brauche keinen Leitfaden mehr, der mich durchs Leben führt.

Was denken Sie heute über die Neue Rechte?

Dass das ein gefährlicher Trend ist. Aber jetzt ist zum Beispiel die AfD im Bundestag und damit muss man umgehen. Das auszublenden oder sich auf Kindergartenspiele herabzulassen, welche Fraktion neben welcher sitzen muss, das bringt es nicht. Aber es ist wichtig, dass die etablierten Parteien sich fragen, wieso es so gekommen ist und was sie selbst auch falsch gemacht haben. Jetzt ist es wichtig, dass man sich die Debatten nicht mehr von der AfD aus der Hand reißen lässt.

Wie würden Sie reagieren, wenn Ihr Kind von der Neonazi-Szene fasziniert wäre?

So etwas kann natürlich immer passieren. Ich glaube, es ist wichtig, dass man mit dem Kind im Gespräch bleibt, sich anhört, was das Kind für Phasen durchmacht, was es für einen Umgang hat und dass man nicht versucht, als Eltern autoritär und besserwisserisch aufzutreten. Doch auch bei allem Austausch kann ein Einstieg in eine radikale Szene nicht immer verhindert werden. Man muss dranbleiben, schauen, dass man den Kontakt nicht ganz verliert, sondern Möglichkeiten zum Aussteigen und Unterstützung anbietet. So würde ich es versuchen. (gux/20 Minuten)