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"Wir haben Österreichs erste virtuelle Gemeinde"

Matthias Lichtenthaler (53) leitet die Abteilung Digital Government und Innovation im Bundesrechenzentrum. Er erzählt, wie man die Verwaltung digitaler gestalten will, wie Menschen zukünftig digital aussuchen können, welche Brücke sie in ihrer Stadt wollen und was es mit Österreichs erster digitalen Gemeinde auf sich hat.

Kettenbruck: Österreichs erste virtuelle Gemeinde
Kettenbruck: Österreichs erste virtuelle Gemeinde
Bundesrechenzentrum

Was genau macht denn die Abteilung Digital Government & Innovation?

Das Team "Digital Government & Innovation" des Bundesrechenzentrums liefert Experten-Wissen zu technologischen Trendthemen und Abläufen in der Verwaltung. Wir beraten dabei, die Verwaltung mit digitalen Werkzeugen für alle Beteiligten zu vereinfachen. Dazu erstellen wir Konzepte und testen neue Ideen. Kreativ sein ist hier sehr wichtig.

Matthias Lichtenthaler ist Leiter des Teams Digital Government & Innovation, die Österreichs Verwaltung digitalisieren wollen.
Matthias Lichtenthaler ist Leiter des Teams Digital Government & Innovation, die Österreichs Verwaltung digitalisieren wollen.
privat

Welche konkreten Projekte wurden schon umgesetzt?

Das Digitale Amt “oesterreich.gv.at” ist die Flagship-Anwendung für alle österreichischen Bürgerinnen und Bürger. Hier sind schon viele Dinge möglich, zum Beispiel die Adresse des Wohnsitzes ändern oder Wahlkarten beantragen. In absehbarer Zukunft soll die App auch noch mehr können, zum Beispiel Ausweise speichern. Ein anderes Beispiel: Die Stadt Scheibbs hat eine Abstimmung über den Bau einer neuen Brücke unter den Einwohnern mit Hilfe unserer e-Partizipations-Software “BRZ eDem” durchgeführt. Das Besondere dabei war, dass man im Vorfeld verschiedene Brücken-Varianten mit einer 3D-Brille virtuell besichtigen konnte. Für dieses Projekt haben wir den österreichischen eAward gewonnen.

Was hat es mit der ersten virtuellen Gemeinde Österreichs auf sich? Wie funktioniert sie und welchen Sinn hat das Projekt?

Die virtuelle Gemeinde „Kettenbruck“ (www.kettenbruck.at) ist Österreichs modernste Ortschaft, in der wir E-Government Anwendungen ausprobieren und herzeigen können. Kettenbruck existiert nur im Computer, wir können dort aber gemeinsam mit realen Gemeinden testen, wie etwa die Blockchain-Technologie in der Praxis eingesetzt werden kann. Wir sind gerade dabei, die noch zweidimensionale kleine Stadt in 3D abzubilden, um mit Virtual Reality Erlebnisse zu schaffen – so als wäre man live dabei. So können dann Bürger oder Unternehmen aus ganz Österreich zur selben Zeit an spannenden Anwendungen mitarbeiten.

In diesem Video sieht man, wie eine Gemeinde in Zukunft über Entscheidungen digital abstimmen könnte:

Über das Bundesrechenzentrum (BRZ)
Das BRZ ist der marktführende Technologiepartner des öffentlichen Sektors in Österreich. Es entwickelt und betreibt moderne IT-Anwendungen und E-Government-Lösungen wie das Digitale Amt "oesterreich.gv.at", FinanzOnline oder das Unternehmensservice-Portal. Darüber hinaus verfügt es über eines der größten Rechenzentren des Landes und hütet den Datenschatz der Republik. Das BRZ hat über 1.300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und erzielte 2019 einen Umsatz von 317 Millionen Euro.

Überall dort wo Menschen zusammenarbeiten, können sie das im echten Leben machen oder eben virtuell. Bestes Beispiel ist derzeit Home-Office, wo viele Menschen in Videokonferenzen sitzen, gemeinsam an Dokumenten arbeiten. Das wollen wir auch für die Verwaltung!

Welche Projekte sind derzeit in Planung? 

Wir planen derzeit eine Zustimmungsplattform und eine App "EConsent". Hier können Bürger proaktiv zustimmen, ob bzw. wann wem Daten weitergegeben werden dürfen - z.B. von einer Behörde zur anderen. Der Bürger spart sich damit die Amtswege – und kann aber auch jederzeit die Zustimmung widerrufen.

Hier können auch andere Verfahren & Lösungen angebunden werden – wie Digitales Wissensmanagement unter Verwendung von künstlicher Intelligenz und auch Anonymisierung von Fachverfahren. Hier geht es vor allem auch um den Abgang von Wissen durch eine bevorstehende, erhebliche Pensionierungswelle in der öffentlichen Verwaltung.

Was versteht man unter "Digitaler oder virtueller Kollaboration"?

Überall dort wo Menschen zusammenarbeiten, können sie das im echten Leben machen oder eben virtuell. Bestes Beispiel ist derzeit Home-Office, wo viele Menschen in Videokonferenzen sitzen oder gemeinsam an Dokumenten arbeiten. Das Prinzip möchten wir auch für die Verwaltung stärker nutzen.

Jetzt beschleunigt durch die aktuelle Situation – interaktive Möglichkeiten jenseits von reinem Video-Conferencing. Online Zusammenarbeit / Digitale Workshops mit interaktiver Beteiligung – bis hin zur Digitalen offiziellen Sitzung mit Beschlussfassung. Uns haben z.B. Gemeinden gefragt, wie sie in diesen Zeiten (und vielleicht auch danach) eine Gemeinderatssitzung sicher und transparent online durchführen können.

Dabei nutzen wir die aktuelle Erweiterung der digitalen Notarisierung. Natürlich sind hier auch noch einige rechtliche Fragen zu klären!

Denken Sie an den Besuch am Amt: vielleicht müssen Sie in Zukunft nicht mehr persönlich ins Amt gehen, sondern können auch per Videochat mit einer Mitarbeiterin sprechen. Hier gibt es viel Innovationspotenzial.

Wie kann die Verwaltung von einer "Digitalen Kollaboration" profitieren?

Denken Sie an den Besuch am Amt: vielleicht müssen Sie in Zukunft nicht mehr persönlich ins Amt gehen, sondern können auch per Videochat mit einer Mitarbeiterin sprechen. Hier gibt es viel Innovationspotenzial.

Wir kümmern uns vor allem – wie z.B. bei der Bürgerbeteiligung bei der Fußgängerbrücke in Scheibbs – um Möglichkeiten, dass Bürger ohne spezielles Digitalwissen oder die allerneuesten Smartphones etc. die Verwaltungsprozesse digital durchführen können. In Scheibbs haben beispielsweise viele ältere Mitbürger persönlich im Rathaus abgestimmt und dort die VR Brillen und das BRZ Tool eDemocracy verwendet, um per Knopfdruck ihre Stimme abzugeben.

Welche Vor- und welche Nachteile hat der Bürger durch eine "Digitale Kollaboration"?

Die Vorteile liegen auf der Hand. Amtswege können ohne Einschränkung 24/7 wo auch immer man gerade ist, durchgeführt werden. Die Erledigung kann auch rascher erfolgen. Gerade in Zeiten der Corona-Krise, wo man die eigenen vier Wände nur eingeschränkt verlassen kann, zeigt sich, wie wichtig solche Angebote sind! Digitale Instrumente erreichen nie die gesamte Bevölkerung, denken wir an Menschen, die kein Smartphone haben. Hier muss man “analoge” Alternativen immer mitdenken. Sicherheit und Datenschutz sind auch extrem wichtig. Wichtig sind auch Weiterbildungsinitiativen wie fit4internet, um die Österreicher digital fit zu machen.

Wo sehen Sie die größte Herausforderung in Ihrem Job und in der Entwicklung des E-Government?

Bürger sollen sich für alle Anwendungen nur einmal anmelden müssen. Wir müssen nicht nur an der Akzeptanz der Bevölkerung arbeiten, auch die Verwaltung, etwa in den Gemeinden, ist oft skeptisch über neue Technologien. Gebühren über Paypal kassieren? Das können sich viele Gemeinden noch nicht vorstellen – das wird aber die Zukunft sein!

Wie will man Menschen, die keine Möglichkeiten haben auf technische Ressourcen zurückzugreifen, zu einer Digitalisierung bringen?

Aufklärung über die Vorteile ist wichtig, wir möchten das Leben der Menschen erleichtern, nicht komplizierter machen. Nur gute, einfach zu bedienende Anwendungen, die sich in den Alltag der Menschen integrieren, etwa weil sie mobil abrufbar sind, werden auf Akzeptanz stoßen. Nach der Corona-Krise sind Videokonferenzen sicher für viele alltäglicher, als zuvor.

Die Intelligenz, die wir alle zwischen den Ohren haben, ist noch immer dem Computer überlegen.

Wann denken Sie, wird es zum staatlichen Einsatz von AI und Roboter kommen? In China haben wir letztes Jahr die Nachricht des ersten Roboter-Nachrichtensprechers gehabt, oder jetzt sollen Roboter auch Corona-Patienten untersuchen. Welche logischen oder möglichen Szenarien haben wir denn in Österreich?

Roboter dürfen wir nicht nur als Maschinen betrachten, die wie Menschen aussehen und ähnliche Dinge tun. Diesen Weg gehen wir nicht. Wir setzen Roboter schon heute ein, um immer wiederkehrende, einfache Aufgaben zu erledigen und so Menschen für sinnvollere Aufgaben zu entlasten. Diese Roboter haben kein Gesicht, sie sind ein Programm. Oder denken Sie an Chatbots, die schon eingesetzt werden, um Unternehmer über Corona-Förderungen zu informieren. Auch in der Medizin leistet Software wichtige Dienste. AI setzen wir ein, um Menschen Entscheidungen zu erleichtern, nicht, um Entscheidungen durch Computer zu treffen. Das ist ein wesentlicher Unterschied. Ich glaube übrigens auch nicht, dass der ORF plant, seine Nachrichtensprecher zu ersetzen. Die Intelligenz, die wir alle zwischen den Ohren, haben ist noch immer dem Computer überlegen.

Wir müssen die Bürger, aber auch die Unternehmen in Österreich davon überzeugen, dass digitale Anwendungen einen hohen Nutzen bringen, aber auch hochsicher alle Datenschutzanforderungen berücksichtigen.

Die Skepsis der Bevölkerung gegenüber technologischen Entwicklungen und der Umgang des Staates mit den Daten macht sich beispielsweise bei dem Thema "Corona-App" bemerkbar. Wie denken Sie, wird das in den nächsten Jahren weitergehen?

Wir müssen die Bürger, aber auch die Unternehmen in Österreich davon überzeugen, dass digitale Anwendungen einen hohen Nutzen bringen, aber auch hochsicher alle Datenschutzanforderungen berücksichtigen.

Das fördern wir z.B. mit unserer Zustimmungsplattform zur Weitergabe von Daten zwischen Behörden – der Bürger weiß jederzeit, wer welche seiner Daten aus welchem Grund zur Verfügung gestellt bekommen hat. Der Bürger bestimmt über die Verwendung und kann immer widerrufen.

Wenn die Bürger dann gewohnt sind, der Nutzung von Daten so zustimmen zu können, dann werden sich auch offizielle Apps im Gesundheitsbereich noch einfacher durchsetzen können.