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Pathologin: "Lungen sehen nicht stark verändert aus"

Renate Kain, Professorin und Leiterin des Klinischen Instituts für Pathologie der MedUni Wien erklärt, warum Obduktionen zum besseren Verständnis von neu aufgetretenen Krankheiten wie COVID-19 beitragen, wie sich Pathologen schützen müssen und was bei der Obduktion überrascht.

Obduktionen sind nicht nur wesentlich, um Todesursachen abzuklären, sondern auch, um wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen.
Obduktionen sind nicht nur wesentlich, um Todesursachen abzuklären, sondern auch, um wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen.
Reuters (Symbolbild)

In Deutschland gab es anfangs eine Warnung, Corona-Verstorbene zu obduzieren. Diese wurde dann wieder vom Robert-Koch-Institut (RKI) aufgehoben, weil die Erkenntnisse doch sehr wertvoll seien! Wie schützen sich die Pathologen und wo finden die Obduktionen statt?

Wir haben noch keine Erfahrungswerte, wie hoch das Risiko einer Ansteckung mit SARS-CoV-2 während einer Obduktion ist. Das Virus SARS-CoV-2 wurde als “biologischer Arbeitsstoff” der Risikogruppe 3 eingestuft, daher müssen wir zum Schutz der Obduzenten auch im Bereich dieser Sicherheitsstufe arbeiten. Am Klinischen Institut für Pathologie der MedUni Wien am AKH gibt es derzeit keinen Seziersaal, der dieser so hohen Sicherheitsklasse entsprechen würde. So hatten wir uns entschieden, die Verstorbenen des Allgemeinen Krankenhauses in einem Seziersaal des Kaiser-Franz-Josef-Spitals, das über die entsprechende Ausstattung verfügt, zu obduzieren. Sowohl in der Planung als auch in der Durchführung ist das logistisch nicht ganz einfach, aber wir haben daraus sehr viel gelernt. Die persönliche Schutzkleidung besteht aus Funktionskleidung (Hose und Shirt, ähnlich wie OP-Kleidung), Schutzmantel, Mehrweg-Schürze und Einmal-Schürze, Gummistiefel (darüber Einmalschuhe), Mund-Nasen-Schutz mit Filterwirkung (die sogenannten FFP3-Masken), Gesichtsvisiere, Hauben und zwei Paar Handschuhen. Diese schützen vor möglichen Infektionen, die z.B. durch Verspritzen von Blut während der Obduktion stattfinden könnten. Diese in mehreren “Lagen” getragene Kleidung stellt sicher, dass immer eine saubere unter einer möglicherweise verschmutzten Lage ist und minimiert daher, auch beim Auskleiden, das Risiko eines Kontaktes mit möglicherweise infektiösem Gewebe.

"Bei anderen Viren der Gruppe 3 wissen wir heute, dass der Infektionsweg über Blut und Körperflüssigkeiten erfolgt. Hier kann eine Infektion während einer Obduktion z.B. bei Schnittverletzungen erfolgen."

Warum ist eine Obduktion von Corona-Patienten so gefährlich?

Wir wissen im Moment nicht, ob eine Obduktion gefährlich ist oder nicht, da wir über das Virus viel zu wenig wissen, vor allen Dingen über alle Infektionswege. Über die Gefährlichkeit von Erkrankungen, sowohl was den Verlauf als auch was die mögliche Übertragbarkeit anbelangt, lernt man aus der Erfahrung.  Ob die Obduktion eines Coronavirus-Infizierten tatsächlich besonders gefährlich ist, ist nicht bewiesen. Aus diesen Gründen erfolgte die Einstufung in die Risikogruppe 3 vorläufig und aus Sicherheitsgründen. Bei anderen Viren der Gruppe 3 wissen wir heute, dass der Infektionsweg über Blut und Körperflüssigkeiten erfolgt. Hier kann eine Infektion während einer Obduktion z.B. bei Schnittverletzungen erfolgen. Das Influenzavirus,  das die Grippe verursacht, ist z.B. als Erreger der Risikogruppe 2 eingestuft und wird durch Tröpfchen (z.B. Niesen) oder Schmierinfektion (z.B. Viren auf den Händen und Berühren anderer Menschen) übertragen. Wir müssen aber das Risiko der Arbeiten mit infiziertem Gewebe, Infektionswege und die Infektiosität des Virus evaluieren. Bis Klarheit vorliegt, ist es vernünftig,  besondere Vorsicht walten zu lassen.

Welche Ausstattung ist dafür notwendig?

Die Ausstattung besteht in der notwendigen Schutzkleidung. Eine Obduktion in einem Raum mit Sicherheitsklasse 3 ist eine Vorsichtsmaßnahme, da diese so ausgestattet sind, dass sie entsprechend gereinigt und desinfiziert werden können und keine Verunreinigung anderer Bereiche stattfindet. Sie werden über Schleusen betreten und es wird nur an einem Tisch obduziert. Klassisch angelegte Obduktionssäle haben meist mehrere Obduktionstische in einem Raum, oft findet in diesen auch die Administration bzw. Diktate der Befunde statt.

"Manchmal ist es etwas überraschend, dass die Lungen, zumindest mit freiem Auge, nicht stark verändert aussehen."
Renate Kain, Professorin und Leiterin des Klinischen Instituts für Pathologie der MedUni Wien, im Interview mit <i>"Heute"</i>
Renate Kain, Professorin und Leiterin des Klinischen Instituts für Pathologie der MedUni Wien, im Interview mit "Heute"
Matern

Wie läuft eine Obduktion eines Corona-Patienten ab? Gibt es hier spezielle Leitlinien für den Umgang mit verstorbenen Corona-Patienten?

Für die Obduktion selber gibt es keine speziellen Leitlinien, diese erfolgt genau so, wie andere Obduktionen. Spezielle Leitlinien betreffen jedoch das Vermeiden eines potentiellen Infektionsrisikos, wie z.B. die Entstehung von Tröpfchen oder Aerosolen, wie sie entstehen, wenn man die Organe während der Begutachtung mit Wasser von Blut frei spült. Solche Maßnahmen sind zu vermeiden, da wir noch nicht wissen, ob dies zur Übertragung des Virus führen kann.

"Dies ist eine Situation - wie z.B. in den 1980er-Jahren, als wir die ersten an Aids verstorbenen Patienten obduzierten. Auch hier konnte man erst nach einer Serie von Obduktionen systematisch erheben, welche Veränderungen auftreten, inwieweit sie ursächlich am Tod beteiligt sind und durch welche Mechanismen im Krankheitsgeschehen sie hervorgerufen werden."

In der Schweiz haben Pathologen auch je „nach Mut“ Obduktionen durchgeführt. Der Leiter des Fachbereichs Autopsie am Uni-Spital in Basel, Alexandar Tzankov, sagte in einem Interview, dass Patienten stark übergewichtig waren. Welche Erfahrungen haben sie gemacht?

Unserem Team fehlt die breite Erfahrung mit Autopsien von Covid-19-Verstorbenen, wie sie in anderen Spitälern, wie in Basel oder Hamburg, aus einer Serie von Obduktionen gewonnen werden konnten. Neben den bereits publizierten Veränderungen, wie Sie sie beschreiben, oder z.B. dem Vorliegen von der Bildung von kleinen Blutgerinnseln, sehe ich aber den Erkenntnisgewinn aus den Obduktionen von Covid-19-Verstorbenen nicht alleine in der klassischen makroskopischen Begutachtung während der Obduktion, sondern vor allem in der detaillierten Untersuchung aller Organe auf höchstem wissenschaftlichen Niveau. Hier stehen uns sämtliche Untersuchungsmethoden der modernen, gewebsbasierten Pathologie, wie z.B. Immunhistochemie, Elektronenmikroskopie oder molekularpathologische Methoden zum Nachweis von Veränderungen und deren Ursache zur Verfügung. Wir können damit nicht nur die Veränderungen feststellen, sondern auch die Mechanismen untersuchen, die zu diesen führen. Dies ist eine Situation, in der wir z.B. in den 1980er-Jahren waren, als wir die ersten an Aids verstorbenen Patienten obduzierten. Auch hier konnte man erst nach einer Serie von Obduktionen systematisch erheben, welche Veränderungen auftreten, inwieweit sie ursächlich am Tod beteiligt sind und durch welche Mechanismen im Krankheitsgeschehen sie vorgerufen werden. Damals wurden auch Studien zum Überleben des Virus unter verschiedenen Temperaturen und Oberflächen durchgeführt und evaluiert, wie das Virus inaktiviert werden kann, ob eine Infektionsgefahr während einer Obduktion gegeben ist und welche Schutzmaßnahmen notwendig sind. Ich selber habe in dieser Zeit zwischen 40-50 dieser Obduktionen durchgeführt, die uns einen wertvollen Erfahrungsgewinn geliefert haben. Basierend auf den damals gewonnenen Erkenntnissen können wir heute entscheiden, welche Untersuchungen wir bei Covid-19-Verstorbenen durchführen.

"Bisher publizierte Ergebnisse und Untersuchungen aus den Geweben haben uns gezeigt, dass es einerseits zu einem diffusen Alveolarschaden kommt, der, einfach gesprochen, zu einer Vernarbung führt und damit das Atmen erschwert bzw. die Diffusion des Sauerstoffes unmöglich macht."

Andere deutsche Mediziner stellten klar, dass das Coronavirus bei den Patienten eben schwere Lungenschäden verursacht. Was sind denn die typischen Lungenveränderungen? Und an was sterben die Patienten schließlich?

Bisher publizierte Ergebnisse und Untersuchungen aus den Geweben haben uns gezeigt, dass es einerseits zu einem diffusen Alveolarschaden kommt, der, einfach gesprochen, zu einer Vernarbung führt und damit das Atmen erschwert bzw. die Diffusion des Sauerstoffes unmöglich macht. Andererseits sehen wir immer wieder die Ausbildung von Blutgerinnseln. Hier kann es dazu kommen, dass das Herz versagt, weil es den Widerstand der verschlossenen Gefäße in der Lunge nicht überwinden kann, auch dies wäre eine Todesursache. Wie jedoch genau bei wem welche Veränderung zum Tode führt, muss jeweils im Einzelfall untersucht werden und kann nicht generalisiert werden. Dies sind aber, so wie die Publikationen von Einzelfällen, nur punktuelle Ergebnisse, die man nicht verallgemeinern kann. Aus der Summe aller Erkenntnisse können wir dann, so hoffe ich, aber allgemeine Aussagen und eventuell sogar Voraussagen zu Krankheitsverläufen treffen. Dies käme direkt den erkrankten PatientInnen und ihrer Therapie zugute. Die Hilfe für die Lebenden aus den Erkenntnissen der Obduktion der Toten, die mit Karl v. Rokitanksy in Wien eine lange Tradition hat, wäre so - gekoppelt mit den modernen Untersuchungsmethoden - ein Paradebeispiel für die personalisierte Medizin.

"Die meisten Patienten, die im Krankenhaus versterben, leiden an mehreren Erkrankungen. Die Infektion mit SARS-CoV-2 trägt mit hoher Wahrscheinlichkeit bei schwerkranken Menschen zum Tod bei."

Die Frage der Frage sei ja auch ob die Menschen "mit oder an" Corona sterben. Wie sehen Sie das?

Ich denke, wir sollten nicht diskutieren, ob Patienten mit oder an Corona sterben. Die meisten Patienten, die im Krankenhaus versterben, leiden an mehreren Erkrankungen. Die Infektion mit SARS-CoV-2 trägt mit hoher Wahrscheinlichkeit bei schwerkranken Menschen zum Tod bei. Die Frage, in welchem Umfang die einzelnen Erkrankungen zum Tode des Patienten beigetragen haben, ist sehr komplex und kann nicht immer mit völliger Sicherheit beantwortet werden. Mit genau dieser Situation sind wir auch bei den Patienten, die mit einer Coronavirus-Infektion versterben, konfrontiert. Natürlich bemühen wir uns hier, sowie auch in den anderen Fällen, gemeinsam mit den behandelnden Ärzten ein möglichst genaues Bild vom Erkrankungsverlauf zu bekommen und eine Obduktion ist auf jeden Fall bei der Klärung behilflich.

"Manchmal ist es etwas überraschend, dass die Lungen, zumindest mit freiem Auge, nicht stark verändert aussehen."

Können Sie uns von einem Beispiel und einer Besonderheit der Obduktion von Corona-Infizierten erzählen, die sie bereits erlebt haben? Was hat Sie überrascht oder verwundert?

Die praktische Besonderheit der Obduktion sind die aufwändigen Schutzmaßnahmen zur Verhütung einer Infektion (Schutzkleidung, Atemschutzmasken…) und eine sehr umfangreiche Sammlung von Gewebsproben aus nahezu sämtlichen Organen, da nach wie vor keine vollständige Klarheit über das Spektrum der Erkrankungsbilder in anderen Organen als der Lunge vorliegt. Manchmal ist es etwas überraschend, dass die Lungen, zumindest mit freiem Auge, nicht stark verändert aussehen.

"Nur durch eine Autopsie kann es gelingen, aus sämtlichen Organen Gewebsproben für eine Vielzahl von Untersuchungen zu gewinnen und so ein vollständiges Bild der Ausbreitung des Erregers und der durch ihn verursachten Schäden an Zellen und Geweben zu bekommen."

Warum denken Sie, sind die Obduktionen wichtig? Was können uns die Toten sagen?

Die Coronavirus-Infektion ist ein Paradebeispiel für die Stärken der Obduktion. Nur durch eine Autopsie kann es gelingen, aus sämtlichen Organen Gewebsproben für eine Vielzahl von Untersuchungen zu gewinnen und so ein vollständiges Bild der Ausbreitung des Erregers und der durch ihn verursachten Schäden an Zellen und Geweben zu bekommen.

"Es ist in Österreich sicher nicht notwendig, mehrere Seziersäle der höchsten Sicherheitsstufe zu haben - doch wie werden wir in Zukunft mit Obduktionen von Patienten, die in Spitälern versterben, die diesen Saal nicht haben, umgehen?"

Zum Abschluss noch eine andere Frage: Haben die Pathologen für solche Patienten in Österreich die richtige Ausstattung oder fehlt es uns an moderner Ausstattung?

Ich bin nicht der Meinung, dass wir die falsche Ausstattung haben oder dass diese nicht modern ist. Die meisten Österreichischen Pathologien sind neu und hochmodern ausgestattet. Es könnte aber sein, dass sich die Anforderungen in Zukunft ändern werden und wir auch in der Zukunft wieder mit Krankheitserregern der Risikogruppe 3 - oder vielleicht sogar 4 - konfrontiert werden. Wir müssen uns daher überlegen, wie und wo wir diese nützen und wie wir im Falle einer Pandemie mit einem hochinfektiösen Erreger vorgehen werden. Die Covid-19 Pandemie hat uns am Klinischen Institut für Pathologie in einer Phase der Umbauplanung getroffen. So haben wir in den Monaten vor der Pandemie bereits begonnen gehabt, den Umbau des Institutes bzw. auch unseres Obduktionsbereiches zu planen. Hier stand an oberster Stelle auch die Frage, welche Sicherheitsklasse ein Seziersaal haben sollte. Es ist in Österreich sicher nicht notwendig, mehrere Seziersäle der höchsten Sicherheitsstufe zu haben - doch wie werden wir in Zukunft mit Obduktionen von Patienten, die in Spitälern versterben, die diesen Saal nicht haben, umgehen? Ich denke, das sind Fragen, denen wir uns stellen müssen und die wir in der Neuplanung von Pathologien miteinbeziehen werden. Dies ist also eine strategische Frage.