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Schweizer Gisin stürzte schon in Kitzbühel schwer

Heute Redaktion
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Sturz-Opfer Marc Gisin ist ein gebranntes Kind. Der Schweizer flog bereits vor knapp vier Jahren in Kitzbühel ab, schrieb erst am Freitag eine Kolumne darüber.

Marc Gisin weiß genau, wie es ist, fürchterlich zu stürzen. In Kitzbühel hatte er sich beim Super-G 2015 schwer verletzt. Und gerade am Freitag, also einen Tag vor dem neuerlichen Sturz in Gröden, schrieb er in der Neuen Züricher Zeitung eine Kolumne. Titel: "Wie ein Sturz im Kopf funktioniert.»"

Über den verhängnisvollen Moment auf der Streif berichtet der 30-jährige Gisin da: "Ein kleiner Schneehaufen, der sich wegen der vielen Rutscher gebildet hat, katapultiert mich mit einer leichten Rotationsbewegung über die Kante. Alles passiert in Bruchteilen einer Sekunde – und doch brennt sich der Moment, in dem ich realisiere, dass ich stürzen werde, für immer in mein Gedächtnis. Drehend und unkontrolliert aus mehreren Metern Höhe in einen vereisten Hang zu fliegen, der eine 75-prozentige Neigung aufweist, löst im Körper einiges aus. Jede Faser in mir stellte sich sofort und automatisch auf den Aufprall ein. Danach wurde es dunkel, und meine nächste Erinnerung sollte das Spitalbett in der Uniklinik Innsbruck sein."

Gisin erlitt beim Sturz eine Hirnblutung. In den Tagen danach wachte er immer wieder mitten in der Nacht auf. Und als er glaubt, sich physisch und psychisch längst ganz erholt zu haben, holt ihn die Schlaflosigkeit wieder ein. Das ist im Herbst 2016, anderthalb Jahre nach dem Unfall in Kitzbühel.

Gisin griff zu Schlafmitteln – doch sie nützten nichts. Er suchte Hilfe in der Homöopathie, beim Osteopathen, in der Akupunktur. Auch das brachte keine Besserung. Also brach er im Dezember die Saison ab. Die Mediziner stellten eine posttraumatische Belastungsstörung fest. Besser wurde es erst im Frühling 2017.

Stürze gehören bei den Abfahrern zum Berufsrisiko. Sagen alle. Schreibt auch Gisin in seiner Kolumne. Er weiß das ja auch nicht nur aus eigener Erfahrung, sondern weil Schwester Dominique Gisin, die Abfahrts-Olympiasiegerin, ebenfalls häufig betroffen war. Er berichtet: "Stürze sind sogar maßgeblich dafür verantwortlich, dass ich gelernt habe, Ski zu fahren. Umfallen, aufstehen, daraus lernen, weiterfahren. Als Leistungssportler muss man immer und immer wieder an seine Grenzen gehen, um Fortschritte zu machen. Grenzen, die in unserem Fall teilweise auch durch Stürze aufgezeigt werden."

Marc Gisin debütierte 2009 im Weltcup. In seinen ersten zwei Wintern flog er dreimal in die Netze am Pistenrand – in Lake Louise, Bormio und Gröden. Obwohl jeder Sturz unterschiedlich ist, sei der von ihm beschriebene Moment des Realisierens immer gleich: "In Gröden erlebte ich ihn sogar zweimal hintereinander: zuerst vor dem Aufprall auf meinen Rücken, anschließend vor dem Einschlagen ins immer näher kommende Netz. Der Körper weiß es immer schon vor dem Kopf. Es ist genau dieses mentale Erkennen des bereits Offensichtlichen, was dieses Gefühl so überwältigend macht."

Jetzt ist er wieder in Gröden gestürzt, aber nicht ins Netz, Gisin blieb noch auf der Strecke liegen, der Helikopter flog in ins Spital. Über seine früheren Unfälle schreibt Gisin: "Sobald man zum Stillstand kommt und merkt, dass man nichts erlitten hat außer ein paar Schrammen, erfassen einen ein kurioses Glücksgefühl – eine Zufriedenheit: darüber, dass man sich nicht schwer verletzt hat – und dass man eindeutig ans Limit gegangen ist."

Das klingt extrem. Gisin selbst findet das offensichtlich auch. "Zumindest mir ging es in diesen Fällen so", berichtet er, "könnte aber auch gut sein, dass in meinem Oberstübchen etwas nicht ganz so funktioniert, wie es sollte."

(Heute Sport)