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Wir werden zunehmend einsamer und sexloser

Heute Redaktion
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Bild: Unsplash

In ihrem Buch "Warum Liebe endet" möchte die Soziologin Eva Illouz dem Zusammenhang zwischen Internet, Konsumkapitalismus und dem Sexualleben nachgehen.

Trotz der ständigen Verfügbarkeit sexueller Kontakte ist ein Aspekt des Datings komplizierter geworden. Denn die radikale Veränderung der Gesellschaftsstruktur verändert auch die Sexualität. Damit beschäftigt sich die israelische Soziologin im Buch "Warum Liebe endet". Ihre These ist, dass das Internet und das Konsumverhalten Auswirkungen auf die Sexualität haben.

Über viele Jahrzehnte hinweg galt die romantische, andauernde Liebe als Orientierung und Idealvorstellung partnerschaftlicher Bindung. Durch Dating-Plattformen wurde auch Sex ganz in den Kreislauf der Konsumgesellschaft eingefügt. "In der Welt der vernetzten Moderne sind der Zusammenbruch der sozialen Beziehungen und des gesellschaftlichen Zusammenhalts stark mit dem Wachstum sozialer Netzwerke, mit Technologie und Konsum verbunden," so die Autorin.

"Fobo" definiert die Angst etwas zu versäumen. Das Verhalten, das Millenials beim Daten aufweisen, ist jenes, dass kleine Makel keine Akzeptanz mehr finden, weil der nächste nur einen Swipe entfernt wartet. Eine neue Form der Einsamkeit und eine zunehmende Appetitlosigkeit, wenn es um Sex geht, sind die Folge einer permanenten Verfügbarkeit. Neben den traditionellen Bindungsmodellen entwickeln sich in der technologisierten Konsumgesellschaft neue Formen, die Illouz als negative Bindungen bezeichnet: Dazu zählen One-Night-Stands, Seitensprünge, friends with benefits, Casual Datings oder Cybersexerlebnisse. Das Buch "Diagnose: Mingle" von der Psychotherapeutin Martina Leibovici-Mühlberger analysiert auch die neuen Modelle und Komplexitäten, die Liebesbeziehungen in der digitalisierten Welt beeinflussen und definierte das Krankhafte an Unverbindlichkeit und Zwanglosigkeit.

Frauen würden eher eine Beziehung mit Commitment suchen, Männer könnten besser zwischen Sex und Liebe unterscheiden, so die Expertin. "In der Welt der vernetzten Moderne sind der Zusammenbruch der sozialen Beziehungen und des gesellschaftlichen Zusammenhalts stark mit dem Wachstum sozialer Netzwerke, mit Technologie und Konsum verbunden," kritisiert Illouz.

Ein Ergebnis der sexuellen Revolution war, dass Männer Sex haben konnten, ohne weitere Verpflichtungen einzugehen. Damit ist der Anfang einer Beziehung viel komplizierter geworden. Sex steht nicht mehr am Ende des Kennenlernens, sondern am Anfang, und ständig grübelt man darüber nach, was es zu bedeuten hat, wenn er nach der ersten gemeinsamen Nacht nicht mehr anruft. Die Ungewissheit ist enorm gestiegen. Es gibt heute keine andere soziale Beziehung, die so viel Unsicherheit verbreitet wie die Liebe, " so die Soziologin im Gespräch mit den Stuttgarter Nachrichten

Es gibt einen entscheidenden Vorteil, den Männer gegenüber Frauen haben: "Der Unterschied ist: Männer können dieses Spiel spielen, bis sie 80 sind. Frauen nicht." Laut ihr ist Folgendes schuld an der oberflächlichen Partnersuche der Männer:

"Die ständige Sexualisierung von Frauen in den Medien und die Pornoindustrie. Forscher nennen das Pornification. Das heißt: Frauen werden zunehmend über ihre physische und sexuelle Attraktivität definiert und machen bereitwillig mit, weil sie wirtschaftlich nicht so stark sind."

Sie legen die Priorität auf die Karriere, legen mehr Wert auf enge Freundschaften und pausieren die Partnersuche. Viele leben bis weit in die Zwanziger bei den Eltern, was auch keine ideale Basis für sexuelle Aktivitäten ist. Diese fallen oft in die Kategorie überfürsorglich, sogenannte Helikopter-Eltern. Eigenständigkeit ist auch mit 30 oft Fehlanzeige. Wohn- und Reiseformate passsen sich an und werden auch kleiner bzw. orientieren sich an Singles. Die Rate für Depressionen und andere psychische Erkrankungen steigt auch unter jungen Menschen an. Das einfache Kennenlernen in der realen Außenwelt gibt es so fast gar nicht mehr. Es ist nur mehr Stoff der modernen, über Generationen weitergegeben Märchen.

(GA)

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