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Schmerz in der Kindheit ist Auslöser von jeder Sucht

Suchterkrankungen gehen allesamt auf Erlebnisse in der Kindheit zurück.

Heute Redaktion
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Ob ein Mensch während seines Lebens ein Suchtpotenzial ausbildet beziehungsweise wie groß das Risiko einer Abhängigkeit ist, wird, wie vieles andere, bereits in der Kindheit im Wesentlichen geprägt. Genauer gesagt lässt es sich sogar an sechs Hauptursachen festmachen.

Die tatsächliche Ursache einer Sucht ist nicht die Droge selbst, sondern eine schmerzhafte Erfahrung. Oftmals handelt es sich hierbei um körperlichen oder physischen Missbrauch oder ein Trauma. Jedoch nicht nur. "Nicht alle Abhängigkeiten haben ihren Ursprung in Missbrauch oder Traumata, aber ich bin überzeugt, dass sie alle auf schmerzhafte Erfahrungen zurückgeführt werden können", sagte Gabor Maté, ein kanadischer Arzt und Sucht-Experte gegenüber Focus.

Schmerz steht im Zentrum jeder Sucht

Egal, um welche Abhängigkeit es sich handelt: Drogensucht, Spielsucht, Internet-Sucht, Kaufsucht, Arbeitssucht, Esssucht oder Magersucht - Schmerz steht immer Zentrum, so Maté.

Daraus resultiert jedoch nicht, dass jeder, der eine schmerzhafte Erfahrung gemacht hat, diese irgendwann mit einer Sucht kompensiert. Der Umgang mit Verletzungen ist individuell.



Die erste verlorene Sicherheit


Erfährt eine Kind eine mangelnde Befriedigung seiner Grundbedürfnisse - Geborgenheit, Schutz und Liebe -, so gerät es in eine Notlage. Die erste Abhängigkeitssituation ist jene zu den Eltern. Wird diese gestört, wenn Eltern Kinder etwa schreien lassen, kann das gravierende Folgen haben. Wenn das Kind weint, dann ruft es nach den Eltern, weil es keine andere Möglichkeit des Ausdrucks hat und diese seine erste Erfahrung von Sicherheit sind. Schreien ist kein Machtinstrument der Manipulation.

Durch den frühen Stress und das Gefühl der Unsicherheit können Hilflosigkeit und Traumata entstehen und sogar die Gehirnentwicklung verändert werden. Später können Bindungsängste, Schlafstörungen, Ängste und Depressionen die Folge sein - wie auch Abhängigkeiten und Süchte.

Liebe unterliegt Bedingungen

Die wenigsten Kinder haben das Glück einer unbegrenzten bedingungslosen Liebe ihrer selbst wegen - nicht weil sie sich einem Erziehungsmuster entsprechend korrekt verhalten und "brav" genug sind. Liebe scheint fortan an Bedingungen geknüpft zu sein. Ungesunde zwischenmenschliche Beziehungsmuster können eintreten. Der Schmerz, der bei dem Gefühl des Nicht-Genug-Seins entsteht, ist sogar messbar. Er ist ident mit einem körperlichen Schmerz. Lebenslang das Gefühl zu haben, sich anstrengen zu müssen, um geliebt und sogar akzeptiert zu werden.

Auch Überfürsorge bewirkt Verunsicherung. Kinder müssen fallen dürfen, um mutig zu sein und gleichzeitig zu lernen, wo ihre Grenzen liegen.

Langeweile ist auch ein Auslöser von Sucht

Langeweile ist ebenfalls oft die Ausgangslage zu Süchten. Wer als Kind nicht gelernt hat, kreativ zu spielen und sich seine Fantasiegebilde bauen durfte, wird es später schwer haben. Heute sind immer mehr Kinder betroffen, weil die Zeit zum Spielen begrenzt ist und das Spiel mittlerweile mehr moderiert wird, als dass das Kind eine autarke Gestaltungsmöglichkeit hätte. Kreativität ist für geistige Gesundheit und die Fähigkeit, Lösungen zu finden und im Leben zurecht zu kommen wesentlich. Wenn man das Tagträumen nicht erlernt hat, mit dem man die Leere füllen könnte.

Ich bin, was ich leiste

Heute sind Kinder einem enormen Leistungsprinzip unterworfen. Manche zerbrechen fast an dem Druck. Es zentriert sich das gesamte Erleben auf die Schule und die schulische Leistung fördernde Aktivitäten. Ein Kind lernt auch hier schon früh, dass es funktionieren muss, um akzeptiert zu werden.

Das Kind muss einen Marktwert haben



36 Prozent aller Eltern sind bereit, ihren zehnjährigen Kindern Arzneimittel zur Verbesserung der Konzentration zu geben", schreibt Schneider in der "Suchtfiebel". Dieses Leistungsstreben fordert jedoch seinen Preis: "Unter den guten Schülern ist der Anteil derjenigen, die regelmäßig Medikamente konsumieren, am höchsten." Das ist das, was die Gesellschaft als Vernunft-basiert betrachtet. Vernünftig denken zu lernen resultiert dann in den Volkskrankheiten Burnout, Depression und Suchtverhalten.

Versagensangst wird oft von den Eltern auf die Kinder projiziert, weil sie sich selbst unter Druck gesetzt fühlen. Die Stimme der globalisierten Leistungsgesellschaft ist zu laut. Leistung ist das einzige Gegenmittel gegen Angst.

(GA)

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