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"Darum hat sich mein Bruder zu Tode gegessen"

Der 17-jährige Fabian M. verstarb in einem Altersheim, als er 280 Kilo wog. Nun spricht seine Schwester Dajena M. (22) über seine Esssucht.

Heute Redaktion
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Fabian M. wurde nur 17 Jahre alt. Der übergewichtige Teenager war in einem Altersheim in Winterthur (Kanton Zürich) gestorben, nachdem er sich zu Tode gegessen hatte. Zuletzt wog der Jugendliche 280 Kilogramm – "heute.at" berichtete.

Jetzt erhebt die ältere Schwester des 17-Jährigen, Dajena M. (22) schwere Vorwürfe:

Fabian, Ihr Bruder, verstarb in einem Altersheim, als er 280 Kilo wog. Wie geht es Ihnen mit der Situation?

Es ist ganz schlimm. Ich habe eine große Trauer in mir. Als ich das erfahren habe, war ich schockiert, obwohl ich gewusst habe, dass der Zustand von ihm schlecht war.

Wie haben Sie die Esssucht Ihres Bruders erlebt?

Schon als Kind war er sehr auf unsere Mutter bezogen. Als sie eines Tages wieder arbeiten musste, hat er sie sehr vermisst und ständig geweint. Dazu kam, dass er sehr krank wurde. Er hat bis zu diesem Zeitpunkt nicht viel gegessen. Um wieder zu Kräften zu kommen, hat er vermehrt nach Essen gefragt. Das hielt sich so hin. Da war er noch nicht übergewichtig. Erst im Kindergarten, als er gemobbt wurde, hat er aus Frust immer mehr gegessen.

Wie hat er selber seine Sucht erlebt?

Nach seinen Essattacken hatte er ein schlechtes Gewissen. Es war ihm bewusst, dass er krank war. Er hat auch geweint und gesagt, dass er das nicht wolle. Aber es war ein Zwang, eine Krankheit, die man nicht so leicht überwinden kann. Sicherlich hat er auch heimlich gegessen. Fabian hat sich auch manchmal im Zimmer eingesperrt, damit er nicht isst. Aber das hat nichts gebracht.

Haben Sie versucht, ihm zu helfen?

Natürlich hat die Familie ihn unterstützt. Wir haben mit ihm gesprochen, die Süßigkeiten versteckt und den Kühlschrank geleert. Er war aber auch viel draußen. Dort konnten wir nicht kontrollieren, was er isst. Irgendwann gelangt man auch an einen Punkt, wo man nicht weiterweiß und Hilfe benötigt. Es ist ein Ohnmachtsgefühl, wenn man Hilfe anfordert, aber niemand helfen kann.

Was meinen Sie damit?

Als sich die KESB [die Schweizer Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde, Anm.] einschaltete, ging es bergab. Der Druck von außen hat bewirkt, dass er nur noch mehr zugenommen hat. Er wurde von der Familie abgekapselt, was ihm nur noch mehr wehgetan und nicht zur Besserung beigetragen hat. Er war ein Familienmensch und hätte uns mehr gebraucht. Er verlor seinen Willen, ich habe ihn am Schluss gar nicht wiedererkannt. Früher war er so fröhlich und hat um sein Leben gekämpft.

Inwiefern haben Ihrer Meinung nach die Behörden versagt?

Mein Bruder wurde ständig bestraft, ihm wurde das Handy weggenommen und das Telefonieren verboten. Mir ist klar, dass Fabian Hilfe benötigte. Aber er hat nicht die richtige erhalten.

Haben Sie sich jemals Sorgen gemacht, dass Ihr Bruder wegen seinem Übergewicht sterben wird?

Ja, natürlich. Aber wir hatten immer die Hoffnung, dass er es schaffen wird.

Wie haben Sie Ihren Bruder beim letzten Treffen vor seinem Tod erlebt?

Wir haben als Familie zusammen gebetet. Dann fiel er plötzlich in Ohnmacht, seine Lippen waren blau und seine Nägel violett. Er hat zu unserer Mutter gesagt: "Hilf mir, ich sterbe." Wir haben die Krankenschwestern gerufen. Die wollten aber keinen Krankenwagen holen. Fabian wurde in sein Zimmer gebracht. Es war das letzte Mal, dass wir ihn sahen.

Wie verarbeiten Sie den Tod?

Meine Mutter und ich gehen täglich an sein Grab, zünden Kerzen an. Wir weinen viel und reden über Fabian. Ich bete zu ihm und hoffe, ihn in meinen Träumen wiederzusehen.

Es ist noch unklar, woran Ihr Bruder genau starb. Die Polizei hat eine Untersuchung eingeleitet. Was erhoffen Sie sich davon?

Die Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Es soll nie mehr ein so junger Mensch sterben, weil die Behörden versagen.

Was würden Sie anderen Leuten mit auf den Weg geben, die in einer ähnlichen Situation wie Sie sind?

Man sollte selber aktiv werden, sich gut informieren und einen Anwalt einschalten, der das ganze Prozedere mitverfolgt.