Sport

Warum die Todesstrecke PS-Stars magisch anzieht

Heute Redaktion
Teilen
Picture

Formel-3-Pilotin Sophia Flörsch hatte in Macao einen Schutzengel. Der Stadtkurs fordert aber immer wieder Todesopfer – die meisten Piloten lieben ihn dennoch.

Die Bilder gehen einem nicht so schnell aus dem Kopf. Wie der Formel-3-Bolide der 17-jährigen Sophia Flörsch mit 276 km/h angeschossen kommt, das Heck voraus. Wie er auf das Auto von Jehan Daruvala auffährt, abhebt und rückwärts in den Fangzaun an der Außenseite der Lisboa-Kurve einschlägt. Der erste Gedanke: Da muss etwas ganz Schlimmes passiert sein.

Es grenzt an ein Wunder, dass der Crash keine Todesopfer gefordert hat und Flörsch nicht schwerer verletzt ist. Die junge Münchnerin erlitt eine Fraktur des 7. Halswirbels, gemäß ihrem Vater hat sie jedoch keine Lähmungserscheinungen und kann alles bewegen.

Am Montagmittag brachte er die Öffentlichkeit auf den neuesten Stand und schrieb auf dem Twitter-Account seiner Tochter, dass die Operation gut und ohne Komplikationen verlaufe, aber noch andauere. "Das Ärzte-Team arbeitet bewusst langsam, um Risiken zu vermeiden."

Schon zuvor waren Details zum Unfallhergang aufgetaucht. Ferrari-Nachwuchsfahrer Guanyu Zhou, der unmittelbar hinter Flörsch positioniert war, sagte, er habe auf der Geraden gelbe Warnlampen gesehen, weshalb Daruvala das Tempo verringert habe. "Ich denke, das war ein Organisationsfehler. Sophia war sehr nahe an Jehan dran, und als der früh bremste, hatte sie keine Zeit zu reagieren", sagt der Chinese. "Sie hat mit ihrem Auto den rechten Hinterreifen von Jehans Auto getroffen und wurde in die Luft geschleudert." Der Automobil-Weltverband FIA hat eine Untersuchung eingeleitet.

Drei Tote seit 2012



Der schwere Crash wirft wieder einmal die Frage auf, ob Rennen auf dem Guia Circuit, wo seit 1954 gefahren wird, nicht zu gefährlich sind. Natürlich hätte ein solches Unglück auch auf einer anderen Strecke passieren können, doch auf den 6,115 km in der chinesischen Sonderverwaltungszone sind schwere Unfälle Teil des Spektakels. Weil der höchst anspruchsvolle Stadtkurs derart eng ist und über keine Auslaufzonen verfügt, kommt es regelmäßig zu Massenkarambolagen. Und hin und wieder zu Todesfällen.

2012 traf es in 24 Stunden Motorrad-Pilot Luis Carreira aus Portugal und den chinesischen Tourenwagen-Fahrer Phillip Yau Wing-choi. Im vergangenen Jahr starb der Brite Dan Hegarty, nachdem er die Kontrolle über sein Motorrad verloren hatte.

Maximal 94 Prozent Risiko



Dass in Macau im Gegensatz zu anderen Stadtkursen auch Motorrad-Rennen stattfinden, stößt vielerorts auf Unverständnis. Doch die Fahrer kommen immer wieder. Die Faszination, sich bei Höllentempo millimetergenau durch die Häuserschluchten zu schlängeln, zieht sie magisch an. Michael Rutter, mit acht Triumphen Rekordsieger des Motorrad-GPs, sagte einmal: "Als ich zum ersten Mal hier fuhr, habe ich mir vor Angst in die Hose geschissen." Für den Briten sind Kurse wie jener in Macau aber längst das Nonplusultra. Er sagt: "Man muss alles unter Kontrolle haben, und deshalb riskiere ich hier maximal 94 Prozent."

Die meisten Fahrer sehen im Spiel mit der Gefahr, im Tanz auf der Rasierklinge eine besondere Herausforderung, der sie sich stellen wollen. Daniel Ticktum, der britische Sieger des Formel-3-Rennens vom Sonntag, sagt: "Ich habe mich das erste Mal, als ich hier war, in die Strecke verliebt." Auch Mick Schumacher zählt Macau zu seinen bevorzugten Kursen.

"Mein Leben ist mir wichtiger als ein Autorennen"



Und doch gibt es Fahrer, die den Guia Circuit meiden. Der Deutsche Rene Rast, diesjähriger Gesamtzweiter der DTM, schilderte kürzlich, dass er vor einigen Jahren bei Tempo 270 die Kontrolle über sein Auto verloren habe. "Hätte ich es in der Situation nicht abfangen können, wäre ich vermutlich nicht mehr ausgestiegen. Seitdem fahre ich in Macau nicht mehr."

Sein Verzicht habe nichts mit Angst oder Respekt zu tun, sondern "mit gesundem Menschenverstand", stellte er klar. "Da muss man sein Gehirn ausschalten und einfach fahren. Dazu bin ich nicht bereit." Denn: "Mein Leben ist mir wichtiger als ein Autorennen." (heute.at)