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Wegen Impfverweigerern droht sogar eine vierte Welle

Laut Behörde droht eine Erkrankungswelle bei Ungeimpften, sobald die Impfaktion abgeschlossen ist. Deshalb sollen auch Geimpfte weiter Masken tragen.

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Unter ungeimpften Personen droht eine weitere Ansteckungswelle, falls die Schutzmaßnahmen im Sommer auf einen Schlag wegfallen.
Unter ungeimpften Personen droht eine weitere Ansteckungswelle, falls die Schutzmaßnahmen im Sommer auf einen Schlag wegfallen.
Jörg Carstensen / dpa / picturedesk.com

Am Freitag hat der Bundesrat den Kantonen in der Schweiz vorsichtige Lockerungsschritte vorgeschlagen. In einem Begleitschreiben zum "Öffnungspaket II" zeigen Modelle der Task-Force: Mit einer dritten Erkrankungswelle ist in jedem Fall zu rechnen, die Entscheidungen über die Lockerungen werden aber maßgeblich dafür verantwortlich sein, wie stark diese Welle ausfallen wird (siehe unten).

Unter dem Punkt "langfristige Auswirkungen" formuliert das Bundesamt für Gesundheit (BAG) eine weitere Sorge: Laut dem Task-Force-Modell sei damit zu rechnen, dass es nach Abschluss der Impfaktion unter den Personen, welche sich nicht impfen lassen wollen, zu einer weiteren "substanziellen Erkrankungswelle" mit zusätzlichen Krankheits- und Todesfällen kommen wird. Dies, weil die Zirkulation des Virus auch bei einer hohen Durchimpfungsrate nicht unterbunden werden könne.

Das BAG will deshalb prüfen, ob auch nach Abschluss der Impfaktion alle weiter Abstand halten, Hygienevorschriften beachten und Masken tragen sollen, um die Krankheitsfälle unter den Ungeimpften über einen längeren Zeitraum verteilen zu können.

Epidemiologe befürwortet längeres Maskentragen

Jürg Utzinger, Direktor des Schweizerischen Tropen- und Public Health-Instituts (Swiss TPH), begrüßt dieses Vorgehen: "Es ist wichtig, dass wir diese Basismaßnahmen auch dann aufrechterhalten, wenn alle sich impfen lassen konnten, um die Entwicklung beobachten zu können. Würden alle Maßnahmen auf einmal fallen, liefen wir große Gefahr, eine weitere Ansteckungswelle bei den Ungeimpften auszulösen." Dann drohe erneut eine starke Belastung des Gesundheitswesens.

Ähnliches lässt sich laut Utzinger derzeit in Israel beobachten: "Das Land hat extrem schnell einen Großteil der Bevölkerung durchgeimpft. Trotzdem sind die Fallzahlen wieder angestiegen. Es könnte gut sein, dass es sich größtenteils um Erkrankungen von Ungeimpften handelt."

Utzinger betont: "Wir wissen auch noch nicht mit Sicherheit, wie lange die Schutzwirkung der Impfung andauert, und es gibt Fälle von Zweitinfektionen. Auch deshalb sind wir gut beraten, die Schutzmaßnahmen auch nach Abschluss der Impfaktion langsam und vorsichtig zu lockern und den Effekt der Lockerungen genau zu beobachten." Das habe auch mit Solidarität zu tun: "Es gibt auch Menschen, die sich nicht impfen lassen können. Auch sie sollten wir bestmöglich schützen."

"Können keine Rücksicht auf Verweigerer nehmen"

Kein Verständnis für diesen Vorschlag hat Ruth Humbel, Präsidentin der nationalrätlichen Gesundheitskommission (Die Mitte): "Das Parlament hat beschlossen, dass der Bundesrat die rechtlichen Grundlagen für ein Covid-free-Zertifikat ausarbeiten soll. Sobald alle sich impfen lassen konnten, ist es nicht mehr verhältnismäßig, die Rechte und Freiheiten derer, die geimpft sind oder einen negativen Test haben, weiter einzuschränken."

Private wie Veranstalter oder Restaurants sollen laut Humbel dann die Möglichkeit haben, nur noch Gäste mit einem solchen Zertifikat einzulassen. "Wer sich weder impfen noch testen lassen will, muss auf diese Dinge eben weiter verzichten. Aber wir können dann keine Rücksicht mehr auf diese Verweigerer nehmen." Ausnahmen sieht Humbel überall dort, wo ein öffentlich-rechtlicher Auftrag bestehe, etwa im öffentlichen Verkehr.

"Wer sich nicht impfen lassen will, muss sich selber schützen"

Auch FDP-Nationalrat Beat Walti sagt: "In dem Moment, wo alle sich impfen lassen konnten, ist jeder selber dafür verantwortlich, ob er sich impfen lässt, oder das Risiko einer Erkrankung eingeht." Es bestehe ein weitgehender Konsens, dass es keinen Impfzwang geben soll. "Aber zum freien Entscheid, sich nicht impfen zu lassen, gehört auch die Übernahme des Risikos einer Erkrankung oder der Aufwand, sich selber zu schützen, etwa mit einer FFP2-Maske."

Anders sieht das SP-Nationalrätin Barbara Gysi: "Wir werden auch nach Abschluss der Impfaktion nur langsam und vorsichtig lockern können. Es geht ja nicht nur um die Impf-Verweigerer, sondern auch um die Personen, die sich nicht impfen lassen können." Bei der Maskenpflicht müsse unterschieden werden: "Im Altersheim kann diese wohl früher gelockert werden als im Öffentlichen Verkehr oder beim Einkaufen. Da ist das Maskentragen aber auch keine große Einschränkung."

Situation bleibt äußerst fragil

Im Begleitpapier hat die Covid-Taskforce drei Szenarien ausgearbeitet: Szenario eins geht von kleinen Öffnungsschritten alle drei Wochen ab dem 22. März aus. Szenario zwei von drei größeren Öffnungsschritten am 22. März, 12. April und 3. Mai. Und Szenario drei modelliert einen Öffnungsschritt am 22. März und danach die Beibehaltung der Maßnahmen auf diesem Niveau.

Es zeigt sich: In allen drei Szenarien muss mit einer dritten Welle gerechnet werden. Mit vorsichtigen Öffnungen und einer schnellen Durchimpfung wird die Welle aber schwächer und die Folgen fallen weniger gravierend aus. Gerade in der fragilen Situation, in der drei der vier Richtwerte des Bundesrats bereits überschritten und die Fallzahlen tendenziell am Steigen sind, wäre für das BAG ein Verzicht auf einen nächsten Öffnungsschritt oder zumindest ein kleinerer Schritt angezeigt.

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    Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) äußerte sich zur Impf-Situation in Österreich und übte dabei scharfe Kritik an der Europäischen Union.
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    ROLAND SCHLAGER / APA / picturedesk.com