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Woran erkennt man eine Winter-Depression?

Heute Redaktion
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Wenns uns im Winter schlecht geht, sprechen wir oft von "Winterdepression". Aber gibt es die überhaupt? Was sind die Anzeichen? Und was kann ich tun?

Herr Hättenschwiler, warum reagieren viele auf die kältere Jahreszeit mit Schwermut?

Weil unser Wohlbefinden sehr stark vom Licht abhängig ist. Wenn die Tage kürzer und die Temperaturen niedriger werden, schalten empfindliche Menschen in eine Art "Energiesparmodus" – man könnte es mit dem Winterschlaf bei Tieren vergleichen. Oft ernähren wir uns dann auch weniger vitamin- und mineralstoffreich und bewegen uns nicht mehr so viel. Das alles kann zu Abgeschlagenheit führen.

Dieses Gefühl kennen wahrscheinlich viele im Winter. Stimmt. Wir gehen davon aus, dass etwa zehn Prozent der Bevölkerung in der Winterzeit von einer Verschlechterung der Stimmung betroffen sind, dem sogenannten Winterblues. Wenn der stärker ausgeprägt ist, spricht man von einer Winterdepression oder – wie wir sie in der Fachsprache nennen – einer "Saisonal abhängigen Depression". Davon sind zwei Prozent der Bevölkerung betroffen.

Was passiert bei diesen zwei Prozent? Sie leiden ebenfalls unter dem Lichtmangel. Wir gehen davon aus, dass das unter anderem zu Veränderungen im Serotonin- und Melatoninstoffwechsel führt, was sich auf die Stimmung und auch die körperliche Befindlichkeit auswirken kann.

Ist die Winterdepression eine echte Depression? Ja, das ist sie in der Tat. Die Betroffenen sind oft den ganzen Tag müde und leiden unter Lustlosigkeit. Auch Antriebsschwäche, Konzentrationsschwierigkeiten und ein erhöhtes Schlafbedürfnis gehören zu den typischen Symptomen. Menschen mit Winterdepression sind oft traurig, niedergeschlagen und haben auch weniger Lust auf Sex.

Die saisonale Form unterscheidet sich also nicht von anderen Depressionen? Doch – andere Arten der Depression gehen oft mit einer Gewichtsabnahme einher. Bei der Winterdepression stellt sich aber häufig ein Heißhunger auf Kohlenhydrate ein – man nimmt also eher zu. Außerdem bessert sie sich im Frühjahr schnell wieder.

Kann es jede von uns treffen? Grundsätzlich ja. Frauen sind aber tatsächlich häufiger betroffen als Männer, oft haben auch schon Kinder und Jugendliche damit zu kämpfen. Auch eine genetisch bedingte Anfälligkeit spielt bei der Entwicklung eine Rolle.

Was hilft, wenn es mich erwischt hat? Wir machen sehr gute Erfahrungen mit der Lichttherapie. Sie führt bei bis zu 80 Prozent der Betroffenen innerhalb von wenigen Tagen zu einer deutlichen Besserung.

Und was ist Lichttherapie genau? Da werden speziell entwickelte Therapielampen eingesetzt, mit der sie sich täglich nach dem Aufstehen, während mindestens einer halben Stunde von einer sehr hellen Lampe bestrahlen lassen. Diese Therapieform muss aber konsequent über den ganzen Winter angewandt werden.

Manche Leute gehen im Winter ja präventiv ins Solarium. Bringt das auch etwas? Nein. UV-Strahlung hilft nicht und weist außerdem die heute allseits bekannten Hautkrebs-Risiken auf.

Was kann man sonst noch tun? Die einfachste Maßnahme ist ein täglicher, einstündiger Spaziergang über die Mittagszeit. Selbst bei bedecktem Himmel ist die Lichtstärke ausreichend, um einen stimmungsaufhellenden Effekt zu erzielen. Wichtig ist aber: Bei schweren saisonalen Depressionen sind Psychotherapie und eventuell sogar eine antidepressive Medikation unbedingt nötig.

Wann sollten Betroffene sich Hilfe suchen? Wenn die Symptome sehr stark sind, mehr als zwei Wochen anhalten und sie im Alltag so sehr beeinträchtigt sind, so dass sie nicht mehr arbeiten, sich nicht mehr um sich selbst und ihre Familie kümmern können.

Josef Hättenschwiler ist Chefarzt im Zentrum für Angst- und Depressionsbehandlung Zürich ZADZ und Vorstandsmitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Angst und Depression SGAD.

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