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Wurz: "Wir sehen jetzt ein echtes Gigantenduell"

Heute Redaktion
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Formel-1-Insider Alexander Wurz im "Heute"-Talk: Wer Weltmeister wird, die Chancen Auers auf ein F1-Cockpit und was den Tod der Formel 1 bringen würde.

Heute.at: Sebastian Vettel oder Lewis Hamilton – Wer hat am Ende in der WM-Wertung die Nase vorne?

Alexander Wurz: „Ich glaube Hamilton wird Weltmeister. Sagt mein Bauchgefühl. Sie sind sehr unterschiedliche Charaktere, aber außergewöhnliche Rennfahrer und am Zenit ihrer Karriere. Beide haben genau die richtige Erfahrung, aber noch immer Hunger. Wir sehen hier ein echtes Gigantenduell, das sehr cool zum Zuschauen ist. Sie treten komplett verschieden auf, sind wie Tag und Nacht. Ich glaube auch, dass der Mercedes zum Saisonende hin das bessere Auto sein wird – aber das ist wieder mein reines Bauchgefühl."

Sie sagen, dass Hamilton und Vettel wie Tag und Nacht sind. Können Sie das noch näher ausführen?

„Ein kleines Beispiel: Vettel gibt es nicht auf Social Media. Hamilton hingegen lebt sein Leben in Social Media. Der eine ist mehr auf sich und die Familie fokussiert, der andere natürlich auch, aber komplett anders in der Art und Weise, wie er sich darstellt. Vettel würde niemals ein Foto von sich im Privatjet mit Goldketten um das Hals herzeigen – Hamilton macht das. Aber am Ende ist es derselbe Nenner – letztlich steht dann Weltmeister drunter."

Kann Valtteri Bottas mit seinen starken Leistungen noch zum Problem für Mercedes und Hamilton werden?

„Jein. Ich glaube aber, dass Valtteri clever genug ist, um zu sehen, dass er im ersten Jahr bei Mercedes ist, und er nicht zum Querulanten wird. Das kommt später, wenn er mehr Fuß gefasst hat. Da kann er dann die Früchte seiner Arbeit ernten."

Die Stallorder sorgte zuletzt beim GP von Ungarn für viel Gesprächsstoff – wie stehen Sie dazu?

„Grundsätzlich ist sie ja erlaubt. In der Praxis sieht das so aus: Die Teams haben lange Zeit eine Gleichstellung bei den Fahrern. Doch sobald nur mehr einer um die WM mitfährt, muss der eine dem anderen helfen. Da haben alle Teams einen relativ ähnlichen Zugang. Wenn er von hinten kommt und schneller fährt, dann wird er vorgelassen. Kommt er aber nicht weiter nach vorne, wird wieder zurück gedreht – so wie zuletzt Hamilton Bottas wieder nach vorne ließ."



Hat es Sie überrascht, dass Hamilton das gemacht hat?

„Ja, schon – aber nicht total. Ich war mir sicher, dass Hamilton das vorschlagen wird. Aber dass er es in einer Situation macht, in der das Team schon gesagt hat, es ist jetzt bereits zu gefährlich – das war eine Meisterleistung."

Tut Ihnen Ex-Weltmeister Fernando Alonso leid, wenn er so weit hinten abgeschlagen nachfahren muss?

„Fernando ist ein ultra-guter Renfahrer, der mit egal welchem Material, immer das Maximale rausholt. Fahrerisch ist er sensationell, wirklich. Aber wie er sich teamintern und politisch hinstellt, ist eher suboptimal. Er hat bei jedem Rennstall, den verlassen hat, verbrannte Erde zurückgelassen. Wenn Mercedes, Ferrari oder Red Bull sagen, Alonso wollen wir nicht, hat er keine realistische WM-Chance. Da muss er sich selbst in den Spiegel schauen und fragen, wie es so weit kommen konnte. Als Fan hätte ich natürlich gerne, dass er in einem guten Auto sitzt – aber defacto hat er sich das selber verbockt. Er könnte jetzt noch immer bei Ferrari sein – die ersten beiden Jahre haben sie ihn dort geliebt wie sonst nur Enzo selbst."

Mit Niko Rosberg ist der amtierende Weltmeister im Ruhestand – und irgendwie fehlt er niemandem, oder?

„Niko ist ein sehr interessanter Mensch. Er hat mit Hamilton einen persönlichen Kampf ausgetragen, der sich gewaschen hat. Und das war das einzige, was Aufmerksamkeit erregt hat, da der Mercedes damals haushoch überlegen war. Jetzt ist der Weltmeister im Ruhestand, aber wir haben einen noch besseren Zweikampf, weil jetzt Ferrari wieder mitmischt. Wenn das Verhältnis der Autos so wäre wie in den letzten beiden Jahren, wäre Hamilton bereits Weltmeister. Dann würden wir uns alle Rosberg zurückwünschen, damit es spannend wäre."

Red Bull hält nicht ganz mit in dieser Saison – nicht zuletzt aufgrund des „Windkanal-Fiaskos", als das Unternehmen falsche Daten aus dem Windkanal generiert hat. Wie kann so etwas passieren?

„So etwas passiert seit 20 Jahren. Die Korrelation zwischen Windkanal und Rennstrecken ist immer das Schwierigste, da können sich auch die Guten verhauen. Ich finde es aber gut von Red Bull zu sagen, okay, wir haben einen gewissen Zeitrückstand aufgrund des Motors, aber wir haben auch, obwohl wir die besten Aerodynamiker haben, ein Problem beim Auto. Die Frage ist: Wie schnell können sie das jetzt beheben? Die Entwicklung von Teilen ist die eine Sache. Warum sie dann auf der Strecke nicht funktionieren, die andere. Das ist ein Problem, das Red Bull lösen muss, aber das braucht Zeit. Aber sie haben die Ressourcen, um das hinzukriegen."



Red-Bull-Boss Dietrich Mateschitz droht immer wieder mit dem Ausstieg aus der Formel 1. Was würde dieser für den Rennzirkus bedeuten?

„Das wäre ein kurz- bis mittelfristiges Drama für die Formel 1, weil zwei Team wegfallen würden. Zudem würde ein sehr wichtiger Sponsor, Geldgeber und Betreiber wegfallen. Es wäre schlecht für den Sport – aber es wäre nicht das Ende der Formel 1. Der Sport würde es überleben – aber Narben würden bleiben."



Mit Lucas Auer steht seit längerem wieder ein Österreich an der Schwelle zur Formel 1. Was fehlt ihm noch für ein Cockpit?

„Lucas hat das Talent, das man mitbringen muss. Aber heutzutage ist das liebe Geld mindestens genauso wichtig. Ohne Geld mitzubringen findet man nur sehr, sehr selten ein Cockpit. Lucas ist heuer sehr gut, er ist in der DTM sehr gut dabei. Aber für ein F1-Cockpit müsste man über alle Maße gut sein, oder zumindest diesen Eindruck erwecken, wie es Verstappen geschafft hat. Der hat sich sehr gut verkauft. Die Verstappens haben es gemacht, dass sie zwischen Red Bull und Mercedes so einen Zweikampf entfacht haben, dass sie Max als Fahrer haben mussten. Lucas ist ein echt cooler Typ. Ich habe ihnen beobachtet, wie er sich bei allen Teams vorstellt hat. Man merkt, der will das – das ist ganz wichtig. Die finanzielle Unterstützung würde ihm jetzt dramatisch helfen, in die Formel 1 zu kommen. Aber manchmal hat man ein Glück, und man kommt als Testfahrer rein. So sind die Karrieren von Trulli, Fisichella und mir entstanden. Ich würde es uns Österreichern wünschen.



Warum hatte Österreich seit Christian Klien im Jahr 2011 keinen Piloten mehr in der Königsklasse des Motorsports?

„Das ist eine Kombination aus der Wirtschaftskrise 2008, zur selben Zeit hatte der Red-Bull-Ring seine Betriebsgenehmigung verloren, intern kamen wenig Mittel in den Motorsport rein und gleichzeitig haben viele Entwicklungsländer Geld in die Hand genommen, um ihre Sportler zu fördern. Die haben uns dann die Plätze weggenommen. Wir haben weniger Talente entwickelt, die anderen haben die Plätze weggekauft. Das ändert sich jetzt wieder ein bisschen. Wir haben Österreicher in sehr tollen Positionen im Motorsport – jetzt müssen wir hoffen, dass sie einmal ein bisschen Patriotismus zeigen und Piloten aus Österreich holen."

Heftig diskutiert wurde zuletzt auch über das HALO-System. Ihre Meinung dazu?

„In den 1960er Jahren ist bei jedem zweiten Rennen ein Pilot gestorben – Jackie Stewart wurde noch ausgelacht, als er sagte, man müsse die Sicherheit entwickeln. Doch seither hat die Formel 1 sich in diesem Bereich stets weiter entwickelt, ohne dabei an Performance zu verlieren. Die Autos wurde immer schneller, die Unfälle immer weniger und gleichzeitig stieg auch die Popularität der Formel 1 immer weiter. Das ist eine extrem coole Leistung für eine Industrie, in der jeder Meter am Limit gefahren wird. Jetzt ist das größte Risiko für einen tödlichen Unfall beim Kopf, weil dieser noch draußen ist. Wir sind heute nicht mehr in der Nachkriegsgeneration, wo man akzeptiert hat, dass immer jemand sterben kann. Heute müssen wir die Sicherheit vorantreiben. Ich finde HALO nicht schön. Aber es ist wichtig. Wenn man sich die Arbeit der Entwickler ansieht, ist die echt sensationell – egal, wie es vom Design aussieht. Es ist ein weiterer Schritt – aber noch immer nicht die Lösung, die jetzt alle Probleme aus der Welt schafft. Irgendwann werden wir unter einem kompletten Dach sitzen, wie die Jetfighter. Aber ich finde das in Ordnung, das ist die Evolution."

„Früher war alles besser" – das hört man oft in Bezug auf die Formel 1. Was entgegen Sie diesen Stimmen?

„Dass es früher toll war, aber es kann noch viel besser sein. Eines kann ich jedem versichern: Wenn man sich mit 200 km/h einbaut, tut das noch immer fürchterlich weh – egal ob mit oder ohne HALO. Als Motorsportler fährt man wegen HALO nicht schneller. Keiner sitzt im Auto und hat Angst. Der Motorsport ist ein Präzisionssport, der den schnellsten Fahrer ermittelt. Wir wollen aber Zweikämpfe haben und nicht nur zwei, sondern fünf Fahrer sollen gewinnen. Das ist aber die größte Gefahr heute. Die Formel 1 zahlt den Top-Teams so viel mehr Geld, so dass sie immer überlegener werden. Da muss angesetzt werden – die Formel 1 muss faszinierend bleiben. Wenn sich die Formel 1 nicht mehr weiter entwickelt, ist sie tot. Dann übernimmt eine andere Rennserie – so schnell geht das."

Was sagen Sie zu den Entwicklungen unter dem neuen Formel-1-Eigentümer Chase Carey?

„Es geht grundsätzlich in eine sehr interessante Richtung. Aber er hat noch viel vor sich. Die Teams sind heute sehr unterschiedlich ausgestattet in Sachen Geld. Würde alle das gleiche Geld bekommen, wäre es wesentlich knapper beisammen. Wenn dann einer mehr Sponsoren aufstellt, dann hat er mehr Budget. Aber das Ferrari von der Formel jetzt 150 Millionen Euro bekommt und letzte nur noch 15 – da ist die Schere zu groß. Das gehört korrigiert. Dann sind vom Ersten bis zum Letzten nur sechs Zehntelsekunden Unterschied, dann ist es für die Fans auch interessanter."

Was würde Sie sofort ändern, wenn sie von heute auf morgen Chef der Formel 1 wären?

An dem soeben geschilderten Problem wird bereits gearbeitet. Das zweite große Problem ist, dass die Teilnehmer die Regeln heute selbst mitbestimmen. Das ist, wie wenn man bei der Tour de France als Sprinter nur noch flachen Etappen macht, weil man das machen kann. Da würde ich den Eigentümern für die Zukunft raten, dass sie zwar mit den Teams arbeiten, aber dass sie nicht mehr in der Hand der Teams sind, so wie es jetzt ist."

Wie störend sind heute die ewigen Zwischenrufe von Ex-Boss Bernie Ecclestone?

„Das hat er vorher auch so gemacht. Das ist okay. Das Recht hat er sich über die Jahre hinweg auch verdient. Das schadet der Formel 1 nicht. Ich habe Bernie immer sehr cool gefunden. Aber ich habe auch öffentlich gesagt, dass er seinen Zenit überschritten hat und das Produkt Formel 1 dadurch zehn Jahre lang in einer Talfahrt war."



Sie und Ernst Hausleitner (der ORF-Star verabschiedet sich die nächsten drei Rennen in die "Babypause", Anm.) genießen als Kommentatoren-Duo sehr hohe Sympathiewerte. Hätten Sie erwartet, dass sie so gut ankommen?


„Nein, habe ich nicht. Ich bin total happy. Das Schöne ist, dass wir uns von der ersten Minute an einfach hingesetzt und geredet haben, so wie wir beide jetzt. Da haben wir ein Glück, dass das so gut ankommt. Wir brauchen uns nicht verstellen, sondern können einfach sein, wie wir sind."

Es wirkt immer alles sehr harmonisch bei Ihnen. Streiten Sie eigentlich nie?

„Nein, nur einmal. Da habe ich Ernst in Malaysia bei 40 Grad und einer enorm hohen Luftfeuchtigkeit viele Minuten lang warten lassen, weil ich noch in einer wichtigen Besprechung war. Er hat mich dann kurz geschimpft, aber das hatte ich auch verdient. Da hat er mir ein bisschen leid getan, weil er wirklich wie frisch geduscht ausgesehen hat."

(AK)