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"Unsere Brieftasche wird bald überflüssig sein"

13.09.2021, 21:04
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Patrick Kramer forscht im Bereich Cyborg-Technologie und trägt selbst drei Mikrochips im Körper. Im Interview erzählt der Deutsche, was ihm das bringt.

Herr Kramer, Sie haben einen Mikrochip unter der Haut, der den Haustürschlüssel ersetzt. Ist das einfach nur praktisch oder geht es darüber hinaus? Wenn wir über Gesunde sprechen, ist ein solches Implantat derzeit noch ein Nice-to-have. Bei Patienten mit Alzheimer, Parkinson oder bei blinden Menschen geht es hingegen um Menschenwürde. Wenn diese Personen keinen Haustürschlüssel mehr benötigen, erleichtert das ihren Alltag. Ich denke, jeder kann für sich entscheiden, ob er so etwas möchte oder nicht. Für mich persönlich muss ich sagen, dass ein Leben ohne Haustürschlüssel toll ist. Ich frage mich nicht mehr, wo meine Schlüssel sind, vergesse sie nicht, stehe nicht vor einer verschlossenen Tür und muss keinen Schlüsseldienst kommen lassen. Das passiert alles nicht mehr und führt zu einem recht entspannten Leben. Was ist denn alles denkbar oder möglich im Bereich Bodyhacking? Bereits heute benötige ich keinen Schlüssel mehr. Im Bereich Mikrochips kümmern wir uns darum, dass man das Portemonnaie bald nicht mehr braucht. Das wird in ein bis zwei Jahren der Fall sein. Und ich denke, in zehn bis fünfzehn Jahren wird auch das Handy obsolet. Die Technik wird unter die Haut und in den Menschen hinein wandern. Andererseits wird im Bereich Bodyhacking viel experimentiert, um einfach zu schauen, was geht und was nicht. Mein Wunsch ist es, dass sich Mediziner und Bodyhacker zusammentun und sich austauschen, sodass man irgendwann auch Implantate hat, die Leben retten können. In Ihrem Vortrag haben Sie Rentner gezeigt, die mit ihren Hörgeräten auch eine Art Cyborgs darstellen. Werden sich solche Implantate, wie Sie sie tragen, auf die ganze Gesellschaft ausweiten oder sehen Sie noch Probleme? Ich glaube, die vorhandenen gesetzlichen Vorgaben sind absolut ausreichend. Wir haben eher ein Problem, wenn es darum geht, was wir als Menschen akzeptieren – auch bei medizinischen Implantaten. Wenn sie es uns ermöglichen, schneller zu laufen als gesunde Menschen, weiter zu springen oder besser zu denken – wo sind dann die Grenzen? Im Jahr 2018 kommen wir so langsam in einen Bereich, wo künstliche Prothesen oder Implantate uns Menschen leistungsfähiger machen, als dies ohne Technik der Fall wäre. Ich glaube, das ist etwas Neues, was wir hier erleben. Aber nichts anderes hatten wir auch damals, als die ersten Züge aufkamen und die Leute dachten, dass man explodiere, wenn der Zug schneller als 30 km/h fährt. In den nächsten fünfzig Jahren werden sich die Menschen massiv verändern.

Oft wird argumentiert, dass es unsicher ist, einen Chip im Körper zu tragen, weil dieser gehackt oder der Mensch überwacht werden könnte. Was antworten Sie darauf? Wir benutzen Antennen, die so klein sind, dass gar keine Signale ausgesendet werden können. Auf meinem Implantat habe ich jetzt Daten wie beispielsweise medizinische Notfallinformationen und meine Visitenkarte. Wenn jemand diese Daten haben möchte, kann die Person mich ja einfach fragen. Dazu muss ich nicht gehackt werden. Die nächste Generation von Implantaten wird zudem die Möglichkeit bieten, Daten zu verschlüsseln. Damit werde ich mit meinem Körper, ohne ein Passwort einzugeben, auf meine Geräte zuzugreifen können. Weil dann auf den Geräten keine Passwörter mehr sind, gibt es auch nichts, was gehackt werden könnte. Die nächste Generation von Implantaten soll unser digitales Leben sicherer und nicht unsicherer machen, denn sonst würde sie ja keiner benutzen wollen.

Was ist ein Cyborg? Der Begriff bezeichnet ein Mischwesen aus lebendigem Organismus und Maschine. Meistens sind damit Menschen gemeint, die ihren Körper dauerhaft durch künstliche Bauteile ergänzen. Das kann beispielsweise ein Herzschrittmacher sein, aber auch so weit gehen, dass mithilfe von Technik eine höhere Leistung erreicht werden kann, als dies beim Menschen üblich ist.

Noch ein kleiner Ausblick. Was ist Ihre persönliche Vision von den Menschen in der Zukunft? Ich persönlich würde mich freuen, wenn Schlüssel, Handy und Portemonnaie in den Körper wandern würden, sodass ich den Kopf frei habe, nicht mehr daran denken und nichts mitschleppen muss. Das werde ich wohl in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren alles noch erleben. Meine Kinder, die drei und fünf Jahre alt sind, werden bestimmt noch Schnittstellen zum Gehirn erleben, also wie ich mich direkt über den Kopf mit dem Internet verbinden kann. Das, denke ich, wird in den nächsten fünzig Jahren Realität werden. Schon heute forschen große Konzerne, von denen man es vielleicht nicht erwarten würde, an dieser Technologie. All das wird kommen, und es wird ganz normal sein.

Das Gespräch mit Patrick Kramer fand an den X.Days, einer Fachtagung im Bereich Digitalisierung, in Interlaken statt. (swe)