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"Ghostwire: Tokyo" im Test – (Be)Geistert gewaltig

Man mixe ein modernes Tokyo mit geisterhaften Gesellen, einer starken Prise Horror und einer fantastischen Geschichte: "Ghostwire: Tokyo" ist ein Hit!

21.03.2022, 17:09
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Der neue Action-Hit aus dem Hause Tango Gameworks und Bethesda Softworks: "Ghostwire: Tokyo".
Bethesda

"Ghostwire: Tokyo" ist so etwas wie ein Überraschungsei. Wie "Death Stranding" von Mastermind Hideo Kojima wusste man im Vorfeld kaum, was es mit dem Game aus dem Hause Tango Gameworks und Bethesda Softworks auf sich hat und geschweige denn, wie es sich spielen lässt. Nachdem der Titel nun am 25. März 2022 für die neue PlayStation 5 erscheint, dürfen wir schon vorab unseren ausführlichen Test abliefern und den Schleier um das Game lüften. Spoilerfrei, versteht sich.

In "Ghostwire: Tokyo" schlüpft man in die Haut des jungen Mannes Akiro, der sich von einem Moment auf den anderen in einem beinahe ausgestorbenen Tokyo wiederfindet. Ein mysteriöser Nebel scheint rund 99 Prozent der Bevölkerung verschwinden haben zu lassen und wer mit ihm in Kontakt kommt, scheint verloren. Außerdem finden sich nun "Besucher" in der gesamten Stadt – Horror-Wesen mit zersplitterten Gesichtern oder kopflose Wesen direkt aus einer Horror-Welt. Die Strippen scheint da ein gewisser Hannya mit Dämonenmaske zu spielen, der auch die Schwester des Protagonisten bedroht.

Kopflose Schulmädchen und jede Menge Horror

Im Laufe des Games entdeckt man, dass sich nicht nur immer bizarrere Gestalten wie kopflose Schulmädchen oder mit riesigen Scheren bewaffnete Gestalten sowie an den "Slender Man" erinnernde Wesen mit Regenschirmen in der Stadt herumtreiben, sondern auch gute Geister. Diese Yōkai tauchen etwa ein Läden der Stadt auf und bieten uns auch ihre Hilfe an. Als ob Akiro noch nicht genug überfordert wäre, muss er auch feststellen, dass ein Wesen namens KK ihn "bewohnt". Zwar kann Akiro frei über seinen Körper verfügen, KK weiht in aber in Geister-Geheimnisse und die Kampf-Kunst ein.

    Ein von Geistern überranntes und bildhübsches Tokyo, vollkommen verrückte böse und gute Geister,...
    Bethesda

    KK ist nach eigenen Angaben das Bewusstsein eines legendären, gestorbenen Geisterjägers, der uns fortan mit seiner Stimme durch das Abenteuer geleitet und uns an Exorzismen, Geisterjagd, Reinigungsrituale und Seelenbefreiung heranführt. Gekämpft wird in "Ghostwire: Tokyo" übrigens nicht mit Waffen, sondern mit Handzeichen, die der uralten japanischen Martial-Arts-Kunst Kuji-kiri nachempfunden sein sollen. Mithilfe der Gesten lassen sich nicht nur die "Besucher" attackieren, sondern auch Angriffe blocken oder Dächer und Vorsprünge erreichen.

    Action, Stealth, Horror, Rollenspiel – alles mit dabei

    Anfangs zeigt sich das Game äußerst Stealth-betont. Da der Nebel viele Teile der gigantischen Stadt abgeschnitten hat, müssen wir in First-Person-Perspektive an den mächtigsten Wesen vorbei und erst einmal die Torii-Pforten der Stadt-Schreine reinigen, um neue Gebiete und Stadtteile freilegen zu können. Dabei zeigt sich, wie groß und abwechslungsreich die Spielwelt eigentlich ist. Überraschend für den Titel ist – bedenkt man den Macher samt massig Horror-Erfahrung –, dass "Ghostwire: Tokyo" zumindest zu Beginn trotz der unheimlichen Gestalten nicht allzu gruselig ausfällt.

    So ist eine Prise Horror zwar immer dabei, der Fokus liegt aber eindeutig auf Schleichen, Kampf und Action sowie Rollenspiel-Elementen. Dabei legen die Entwickler Wert auf ganz, ganz viel Abwechslung. Feinde sind etwa frontal zu attackieren oder hinterrücks auszuschalten, wobei jeder Feind über andere Angriffsmuster und Schwachstellen verfügen soll. Horror kommt erst nach ein paar Spielstunden immer mehr dazu, bis man sich ab der Mitte des Spiels dann gehörig gruselt und einzelne Szenen viel Stoff für einen Horrorfilm hergeben würden. Nervenkitzel ist also in "Ghostwire: Tokyo" garantiert.

    Die Nebenmissionen sind das absolute Highlight

    Auch eine gute Prise Parkour kommt ins Spiel: Wir dürfen und mit unseren Kräften an den Wesen festhaken und uns so in die Luft schleudern lassen, von Dach zu Dach hechten oder schnellstens Treppen laufen – was etwa bei einigen Passagen mit Zeitlimits notwendig wird. Auch sind überraschend viele Gebäude der Spielwelt betretbar und beherbergen Items wie Snacks und andere Hilfsmittel, aber auch tonnenweise Collectibles. Immer mal wieder trifft man dabei auch auf absolut einzigartige Nebenmissionen, die allesamt mit Geschichten ausgeschmückt sind. Das macht das Game geradezu großartig.

    Statt "sammle dies" und "bekämpfe das" erlebt man bei den Sidequests spannende Kurzstorys, in denen man beispielsweise das Heim eines Tokyoter Bewohners von bösen Geistern reinigen oder einem friedlichen Geist seine Seelenruhe zurückbringen soll. Sich abseits der Haupt-Questline umzusehen, lohnt sich also, denn jede neue Entdeckung und jede zusätzliche Spielstunde ist Unterhaltung pur. Und selbst wenn man gerade gar keine Aufgabe verfolgt, kann man Hunderte Tierwesen, Geister, Feinde und Freunde im typischen Japan-Stil in der Stadt entdecken und auch herzhaft über Gags lachen.

    Ganz besondere Kampf-Mechanik gefällt gut

    Damit war es das aber noch nicht mit den Überraschungen. Auffällig ist auch, dass sich unser Spielheld Akiro nicht nur der Kuji-kiri-Handgesten bedient, sondern der Spieler diese im Kampf auch selbst ausführen muss – also über den Controller. Mit dem Stick müssen die verschiedenen Muster "nachgezeichnet" werden, die für Angriffe, Abwehr und Konter sorgen. Hektik kommt dabei allerdings nicht auf, denn schnell hat man sich die Muster eingeprägt. Anders funktioniert das bei Stealth-Angriffen: Sieht uns ein Feind nicht, können wir uns anschleichen und ihm mit einem Tastendruck den Gar ausmachen.

    "Ghostwire: Tokyo" begeistert aber auch dadurch, dass nicht alles einen Sinn machen muss. So nutzt man die an Laser erinnernden Lichtstrahlen beim Kämpfen, um die Feinde einzufangen und zu bannen, sammelt Seelen mithilfe von Papierpuppen ein und gibt sie an den überall in der Stadt stehenden Telefonzellen ab, redet mit Tieren, schwebt per Geisterkräften hoch über den Dächern Tokyos dahin oder nutzt Pfeil und Bogen, die die Feinde auch aus der Ferne ausschalten können. Logisch? Nein, aber es macht immensen Spaß, und darauf kommt es wohl den meisten Zockern an.

    Hinter Verrücktheit versteckt sich klassisches System

    Richtung Rollenspiel geht es schnell nach den ersten Kämpfen, denn mit gesammelten Erfahrungspunkten darf man die eigenen Fähigkeiten aufleveln. Ebenso sorgen die in der Stadt veteilten Schreine, die zuerst per Gesten gereinigt werden müssen, ebenso wie die sammelbaren Gebetsketten für neue oder stärkere Angriffe und Effekte. Zwar sind die Skills unseres Protagonisten auch so verrückt wie der Rest des Spiels, lässt man aber die Bezeichnungen beiseite, zeigt sich schnell ein sehr klassisches Levelsystem, bei dem man sich nicht wirklich "verleveln" kann und das recht klassisch aufgebaut ist.

    "Ghostwire: Tokyo": Statt "sammle dies" und "bekämpfe das" erlebt man bei den Sidequests spannende Kurzstorys.
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    Auch wenn die Bezeichnungen ausgefallen sind – Attacken werden etwa "die mystischen Künste des Ätherischen Webens" genannt – lassen sie sich mit gesammelten Materialien klassisch upgraden und erweitern und wer wirklich viel Zeit im Spiel verbringt, wird gegen Ende hin sowieso alle Skills und Materialien verstärkt haben. Die eigene Spielfigur darf man übrigens mit sammelbaren Items und Masken ausstatten und so ein Stück weit personalisieren. Und damit auch die Kämpfe nicht schnell monoton werden, warten im Spielverlauf einige ziemlich gruselige und fiese Boss-Geister auf unser Können.

    Nicht Hochglanz, sieht aber dennoch fantastisch aus

    Grafisch ist "Ghostwire: Tokyo" zwar nicht das atemberaubendste Spiel der Welt, es sieht aber doch fantastisch aus und überzeugt vor allem mit dem Gegner-Design, aber auch mit der modern-ausgestorbenen Kulisse von Tokyo. Die Gebäude – Hightech-Tower mit Neon-Lichtern neben alten Tempeln und Torii-Pforten – sind knackscharf, die Atmosphäre ist dicht wie in kaum einem anderen Game. Grafik-Bugs, Ruckler und Co. waren zu keiner Zeit erkennbar, die Cutscenes sehen fantastisch aus und die Sounduntermalung schickt uns noch tiefer in eine bizarre Version der Stadt. Top: Die Licht- und Wassereffekte!

    Neben den optisch einzigartigen Eindrücken durch seltsame Wesen und bizarre Rituale sorgt "Ghostwire: Tokyo" aber auch spielerisch noch für einige Überraschungen. So verändern sich mitunter in einem heimgesuchten Hochhaus von Raum zu Raum nicht nur die Perspektiven, auch erscheinen geisterhafte Visionen von ganz neuen Landschaften und beklemmende Szenarien. Das Motto des Spiels scheint es zu sein, den Spieler immer wieder von neuem zu überraschen, sei es erzählerisch oder beim Gameplay. Das fesselt und obwohl im Spiel alles auf ein fixes Ende hin zuläuft, will man es sofort neu starten.

    Der DualSense-Controller wird voll ausgenutzt

    Klasse ist, wie "Ghostwire: Tokyo" die neuen Möglichkeiten des DualSense-Controllers auf der PlayStation 5 einbindet. Nicht nur, wenn Geister in Tausende Teile zerspringen, ruckelt und zuckelt es – Regentropfen lassen den Controller leicht, fast unmerklich, in der Hand pulsieren, das Angreifen des Bogens oder des Telefonhörers löst einen leichten Klack-Effekt am Gamepad aus und bei Angriffskombos bebt und vibriert der Controller, dass es eine reine Freude ist. Das nervt übrigens auch nach Stunden nicht und hält die Kämpfe frisch, die sehr wohl nach einigen Spielstunden sonst etwas monoton würden.

    Grafisch ist "Ghostwire: Tokyo" zwar nicht das atemberaubendste Spiel der Welt, es sieht aber doch fantastisch aus.
    Bethesda

    Bei Gelegenheiten wie dem Spannen des Bogens wirken auch die adaptiven Triggertasten der DualSense-Controllers wahre Wunder. Bei all dem Jubel, wo liegen da eigentlich die Schwächen des Games? Viele gibt es nicht! Neben den (erst nach mehreren Spielstunden) etwas monoton werdenden Kämpfen könnte "Ghostwire: Tokyo" wohl auch jene verschrecken, die mit japanischen Settings und Storys und all den verrückten Figuren weniger anfangen können. Doch selbst sie sollten das Game zumindest einmal anzocken, denn der wilde Genre-Mix funktioniert ausgesprochen gut und unterhält noch besser.

    "Ghostwire: Tokyo" im Test (be)geistert gewaltig

    Ein von Geistern überranntes und bildhübsches Tokyo, vollkommen verrückte böse und gute Geister, herzerwärmende bis grauenhaft gruselige Geschichten und eine technisch supersaubere Umsetzung! "Ghostwire: Tokyo" kann im Test vollkommen überzeugen und begeistert mit vielem, das in kaum einem Spiel zu finden ist. Da macht es auch nichts aus, dass vieles bei der Story und bei den Inhalten nicht gerade logisch ausfällt, Spaß macht es trotzdem. Vor allem in den Nebenmissionen kann man sich verlieren – diese sind besonders gut und detailliert herausgearbeitet worden.

    Zudem wirken die beiden teils mürrischen Protagonisten Akiro und KK von der ersten Sekunde an auf ihre ganz eigene Weise sympathisch und die vielen niedlichen bis verrückten Wesen der Spielwelt hinterlassen einen bleibenden Eindruck. Und ja, viele der Tierchen darf man in dem Game sogar streicheln! "Ghostwire: Tokyo" begeistert und liefert ein beeindruckendes Tokyo voll Action und Horror ab. Zudem sollten es mehr Spiele wagen, Genres und Inhalte zu verweben und damit ganz neue Eindrücke zu schaffen – "Ghostwire: Tokyo" zeigt, wie das fantastisch funktionieren kann.