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Linzer von IS entführt - Firma wollte ihn evakuieren

14.09.2021, 02:06
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Bild: Reuters

Die Betreiber-Firma des al-Ghani-Ölfeldes in Libyen, VAOS, hatte offenbar für den Tag, an dem Ölmanager Dalibor S. aus Linz und acht weitere Mitarbeiter entführt wurden, eine Evakuierung des Feldes angeordnet. Ein Ex-Kollege beschrieb Dalibor in tschechischen Medien als "keinen Abenteurer".

Die Betreiber-Firma des al-Ghani-Ölfeldes in Libyen, VAOS, hatte offenbar für den Tag, an dem Ölmanager Dalibor S. aus Linz und acht weitere Mitarbeiter entführt wurden, eine Evakuierung des Feldes angeordnet. Ein Ex-Kollege beschrieb Dalibor in tschechischen Medien als "keinen Abenteurer". Das im Februar ohnehin schon von 62 auf 14 Leute reduzierte Kern-Team von VAOS sollte kurz vor der Entführung evakuiert werden, wie das Unternehmen in einer Presseaussendung mitteilte. Neun Mitarbeiter sind vor ihrer Abreise von fünf bewaffneten Milizen eingekreist worden. Die Männer seien in das Camp gekommen und hätten die Anwesenden versammelt, bevor sie auf Fahrzeuge geladen und abtransportiert wurden. Dabei wurde kein VAOS-Mitarbeiter verletzt, betonte das Unternehmen. VAOS habe seinen Beschäftigten stets versichert, dass sie das Recht hätten, jederzeit nach Hause zu reisen. Die Mitarbeiter hätten schriftlich bestätigt, ob sie abreisen oder weiterarbeiten möchten. "Wer blieb, tat dies freiwillig", erklärten die Geschäftsführer der Linzer Firma mit Malteser Beteiligung, die als eine von wenigen ausländischen Firmen in Libyen noch auf mehreren Ölfeldern tätig ist. Sie liefert Fachkräfte, Catering und Infrastruktur bei der Erdöl- und Erdgasindustrie. Camp galt als sicher Das Camp bei dem Ölfeld habe als sicher gegolten, in einer größeren gesicherten Zone gelegen und von speziellen Wachen geschützt. Man habe auch keine schriftliche oder mündliche Warnung von der Libyschen Nationalen Ölgesellschaft (NOC) erhalten. Die Firma beschäftige einen Security-Manager und sorge dafür, dass die Sicherheitsregeln von den Mitarbeitern eingehalten werden. "Kein Abenteurer" Bei dem in Libyen gemeinsam mit dem Österreicher Dalibor S. entführten Tschechen Pavel H. handelt es sich um "keinen Abenteurer", sagte ein früherer Kollege laut tschechischen Medienberichten am Mittwoch. Der Entführte stammt demnach aus dem südmährischen Ort Velke Mezirici. Eine Nachbarin des 39-jährigen Linzers ist sich sicher: "Er kannte die Gefahr." Der gelernte Koch mit serbischen Wurzeln absolvierte 1984 eine Hotelschule und arbeitete in Libyen für die Firma Value Added Oilfield Services (VAOS) als Catering-Chef. Bei VAOS ist Pavel H. seit 2009 beschäftigt. Zuvor hatte er in Velke Mezirici einen Videoverleih betrieben. Er war erst wenige Tage vor seiner Entführung von einem Heimaturlaub bei seiner Familie zurückgekehrt, hieß es. Lösegeld-Forderung nicht da Peter Neumann, der am King's College in London tätig ist, äußerte sich am Montagabend in der ZIB2 zur Entführung. Eine Propagandaaktion oder einen Gefangenenaustausch hält er für unwahrscheinlich. "Ich denke, dass der Österreicher keinen so großen Propagandawert hat wie zum Beispiel ein Amerikaner. Es gibt auch keine Gefangenen zum Austauschen." Daher denke er, "dass der Islamische Staat in Libyen wirklich nach dem Geld sucht". Der Terror-Experte wies daraufhin, dass in der Verganheit Staaten, "auch zum Teil Österreich", Lösegeld gezahlt hätten. Das sei "nicht unbedingt einfach gemacht" worden. Oft liefen die Verhandlungen aber nicht direkt, sondern über Mittelsmänner und dauerten Jahre. Kurz: "Kein Kontakt" Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) hat am Dienstag bestätigt, dass es zu dem in Libyen entführten Oberösterreicher keinen Kontakt und auch kein Lebenszeichen gibt. Zur Stunde tage der im Außenministerium eingerichtete Krisenstab, erklärte der Ressortchef vor dem Ministerrat gegenüber Journalisten. Bundeskanzler Werner Faymann erklärte, dass von österreichischer Seite alles unternommen werde, um Hilfestellung zu leisten, in der Regierungssitzung habe man "mit Sorge" über den Fall gesprochen. Offizielle Bestätigung vom Außenamt "Es liegen nunmehr gesicherte Informationen vor, dass sich die Gruppe von Ausländern, die sich auf dem Ölfeld al-Ghani befand, als dieses am 6. März von IS-Terroristen angegriffen wurde, in den Händen der IS-Terroristen befinden", hieß es am Montag in einer schriftlichen Stellungnahme des Außenamtes. "Zu dem Zeitpunkt, als die Gruppe mit mehreren Fahrzeugen von dem Ölfeld in Richtung Norden abtransportiert wurde, waren die Mitglieder dieser Gruppe unverletzt." Woher die Informationen stammen, wollte Außenministeriumssprecher Martin Weiss nicht konkretisieren. Dass der Österreicher nach wie vor am Leben ist, muss die Nachricht leider auch nicht bedeuten: Seit dem Abtransport der Geiseln von al-Ghani am Freitagnachmittag gibt es von der Gruppe laut Weiss "weder ein Lebenszeichen noch einen Todesbeweis", auch über den Aufenthaltsort der Gruppe gibt es keine gesicherten Informationen. Angehörige zittern Dalibor S. leitete das Al-Ghani-Ölfeld in der libyschen Wüste, als die Anlage vergangene Woche von Dschihadisten gestürmt wurde. Elf Bewacher starben, der Linzer und acht weitere Angestellte sind von IS-Terroristen verschleppt worden, wie das Außenamt am Montag bestätigte. Die Angehörigen sind mit den Nerven am Ende – sowohl die von Dalibor S. getrennt lebende Ehefrau (sie wohnt mit den Kindern Vanessa, 14, und ihrem jüngeren Bruder Marcel in Wien), als auch seine neue Partnerin in Oberösterreich warten rund um die Uhr auf eine erlösende Nachricht. Nachbarn des 39-Jährigen in Linz sind im Gespräch mit "Heute" beinahe sprachlos: "Erst letzte Woche war er bei uns Kaffee trinken, hat gut gelaunt von seinen süßen Kindern geschwärmt. Er trägt ihre Namen als Tattoo am Rücken." Experten befürchten, dass Dalibor S. jener neuen Truppe von IS-Terroristen in die Hände gefallen sein könnte, die Mitte Februar in der Gaddafi-Geburtsstadt Sirte 21 Christen vor laufenden Kameras die Köpfe abschnitten. Insider: Nur noch wenig Hoffnung für Vermisste Am Sonntag tagte in Wien stundenlang der von Außenminister Sebastian Kurz eingesetzte zehnköpfige Krisenstab (Mitarbeiter von Innen- und Außenministerium sowie Landesverteidigung). Leiter Michael Linhart: "Derzeit gibt es (von den Entführten) weder ein Lebenszeichen noch einen Todesbeweis." Aus Geheimdienstkreisen sickerte aber durch, dass es kaum noch Hoffnung für Dalibor S. gebe. Die Vermissten könnten bereits ermordet worden sein. Derzeit befinden sich rund 30 Österreicher als Arbeiter oder Securitys in Libyen. Außenamtssprecher Martin Weiss zu "Heute": "Sie alle wissen, wie gefährlich es ist, sind freiwillig dort." Österreicher in politisch brisanten Regionen vermisst - Chronologie auf der nächsten Seite Österreicher in politisch brisanten Regionen vermisst - Chronologie In politisch brisanten Regionen der Welt kommt es immer wieder zu Entführungen westlicher Touristen, Geschäftsleuten und Journalisten. Seit dem Wochenende wird ein Oberösterreicher in Libyen vermisst. Ein Kidnapping ist nicht ausgeschlossen. Im Folgenden ein Überblick über Ereignisse der vergangenen Jahre, in die Österreicher involviert waren. 27. Februar 1998 - Nach fast zwei Wochen in der Gewalt von Geiselnehmern im westafrikanischen Sierra Leone kommen fünf europäische Missionare, unter ihnen der Vorarlberger Arzt Andreas Erhard (36), wieder frei. Die Entwicklungshelfer des Ordens der Barmherzigen Brüder waren am 14. Februar aus ihrem Spital in Lusar verschleppt worden. Die Entführung ereignete sich zwei Tage nach dem Sturz der Militärjunta. 23. April 2001 - Eine Geiselnahme pro-tschetschenischer Rebellen in einem Istanbuler Luxushotel geht noch am gleichen Tag ohne Blutvergießen zu Ende. Die bewaffneten Kidnapper lassen die 120 Menschen in ihrer Gewalt - unter ihnen auch bis zu acht Österreicher - nach fast zwölf Stunden frei und ergeben sich der Polizei. 13. Mai 2003 - Alle zehn in der algerischen Sahara entführten Österreicher werden nach fast zwei Monaten aus der Hand ihrer Geiselnehmer - der Salafisten-Gruppe für Predigt und Kampf (GSPC) - befreit und kehren nach Österreich zurück. Gemeinsam mit den acht Salzburgern und zwei Tirolern kommen sechs Deutsche und ein Schwede frei. Damit befinden sich noch 15 der ursprünglich insgesamt 32 entführten Europäer in der Gewalt von Geiselnehmern. Sie kommen Mitte August 2003 frei, eine deutsche Geisel überlebt die Strapazen nicht. 13. Juli 2005 - Ein im Gaza-Streifen entführter Österreicher und ein Brite werden nach wenigen Stunden wieder freigelassen. Der Steirer Volker Mitterhammer, der für eine Tiroler Firma als Ingenieur für Wasseraufbereitungsanlagen arbeitet, war gemeinsam mit seinem britischen Kollegen von zwei Personen in ein Auto gezerrt und in das Flüchtlingslager Al-Burayj (Buraij) gebracht worden. Beide Männer werden freigelassen, nachdem hohe palästinensische Offizielle einschreiten. 24. Dezember 2005 - Während einer ganzen Serie von Einführungen von Ausländern im Jemen geraten auch die beiden österreichischen Architekten Barbara Meisterhofer (31) und Peter Schurz (52) in die Hände von Geiselnehmern. Nach wenigen Tagen kommen sie nach Verhandlungen zwischen Stammesführern und der Zentralregierung in Sanaa am 24. Dezember unversehrt wieder frei. 4. April 2006 - Die Leichen der seit Jänner 2006 vermissten österreichischen Touristen Peter Kirsten Rabitsch (28) und Katharina Koller (25) werden in der bolivianischen Hauptstadt La Paz gefunden. Sie waren von Kriminellen entführt, ausgeraubt und ermordet worden. Das auf Weltreise befindliche Wiener Paar war von der bolivianischen Stadt Copacabana am Titicacaca-See kommend, am 26. Jänner in La Paz verschwunden. Im August 2006 werden die mutmaßlichen Mörder gefasst und ein Jahr später zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. 16. November 2006 - Der 25-jährige Oberösterreicher Bert Nussbaumer wird gemeinsam mit vier US-Bürgern und neun ortsansässigen Mitarbeitern der US-Sicherheitsfirma Crescent Security im Irak entführt. Nach ersten Video-Botschaften, die die Entführer den Behörden bzw. Medien zuspielen, gab es monatelang kein Lebenszeichen der Geiseln mehr. Im März 2008 werden mehrere Leichen im Irak gefunden. Eine davon wird in den USA als Bert Nussbaumer identifiziert. Februar 2008: Zwei Touristen aus Österreich - die Halleiner Wolfgang Ebner (51) und Andrea Kloiber (43) - werden im tunesisch-algerischen Grenzgebiet gekidnappt und in den Norden Malis verschleppt. Die beiden Österreicher befinden sich 252 Tage lang in Geiselhaft des nordafrikanischen Zweigs des internationalen Terrornetzwerks Al-Kaida "Al-Kaida im islamischen Maghreb" (AQMI). Nach langen Verhandlungen gibt das Außenministerium in Wien Ende Oktober ihre Freilassung bekannt. Jänner 2012: Bei einem Überfall auf europäische Touristen im Nordosten Äthiopiens werden fünf Menschen getötet. Bei einem Opfer handelt es sich um einen Österreicher. Bei den Tätern soll es sich der Landesregierung zufolge um von der eritreischen Regierung ausgebildete Banditen gehandelt haben. Eritreische Diplomaten weisen diese Vorwürfe zurück. 21. Dezember 2012: Ein 26-Jähriger, der in Jemens Hauptstadt Sanaa einen Sprachkurs macht, wird - gemeinsam mit einem finnischen Paar - von jemenitischen Stämmen entführt. Später werden sie nach unbestätigten Berichten an das Terrornetzwerk Al-Kaida verkauft. Nach Vermittlung durch den Oman werden die Geiseln am 8. Mai freigelassen und am 9. Mai nach Österreich ausgeflogen. 17. Jänner 2013: Ein 36-jähriger Niederösterreicher wird auf einem Ölfeld in Algerien an der Grenze zu Libyen als Geisel genommen. Insgesamt halten die Geiselnehmer Dutzende ausländische und Hunderte algerische Bürger fest. Der Österreicher konnte sich auf dem Gasfeld verstecken und wird in den Abendstunden schließlich befreit. Die Tat sei eine Reaktion auf den "Kreuzzug der französischen Truppen" in Mali, rechtfertigen die Islamisten die Geiselnahme. 11. April 2014: Ein syrischstämmiger Österreicher ist offenbar im November 2013 in Syrien entführt worden. Anton S. ist im August 2013 aus geschäftlichen Gründen in die von Regierungstruppen und Aufständischen umkämpfte syrische Stadt Homs gereist. S. habe sich in dem von bewaffneten Oppositionsgruppen gehaltenen Stadtteil Al-Waar aufgehalten, als dieser von Truppen des syrischen Regimes von Präsident Bashar al-Assad eingekesselt worden sei. Seinen eigenen Angaben zufolge war S. von einer bewaffneten Gruppe gefangen genommen worden. Schließlich hätten ihn aber Regierungstruppen aus der Kampfzone geholt und nach Damaskus gebracht. 07. März 2015: Nach einem Angriff der jihadistischen Organisation "Islamischer Staat" (IS) auf ein Ölfeld in Libyen werden ein 39-jähriger Oberösterreicher und mehrere andere Personen, darunter ein Tscheche, vermisst. Im Wiener Außenministerium wurde ein Krisenstab eingerichtet. Am Sonntag teilte Außenministerium-Generalsekretär Michael Linhart der APA mit: "Es gibt derzeit von dieser Gruppe von Ausländern weder ein Lebenszeichen noch einen Todesbeweis". Prag will laut einer Meldung der tschechischen Nachrichtenagentur CTK zwei Diplomaten nach Libyen entsenden, um an Ort und Stelle Untersuchungen durchzuführen.