Politik

NGOs besorgt: Ibiza-Drahtzieher zu Unrecht im Häfn?

15 Menschenrechtsorganisationen äußern bedenken, dass die Vorwürfe gegen Ibiza-Drahtzieher Julian H. teils konstruiert sein sollen.

07.09.2021, 11:13
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Julian H. musste schon im April im Rahmen des Ibiza-U-Ausschusses als Zeuge aussagen.
ROLAND SCHLAGER / APA / picturedesk.com

Die NGO epicenter.works wandte sich in Kooperation mit 14 weiteren Organisationen (darunter etwa Amnesty International und Reporter ohne Grenzen) an die Öffentlichkeit. Es geht um den Prozess gegen Ibiza-Drahtzieher Julian H. Dieser startet am Mittwoch in St. Pölten, der Vorwurf: Er soll 2017 und 2018 ein 1.250 Gramm Kokain zu je 40 Euro pro Gramm weitergegeben haben, "Heute" berichtete. Zudem soll er 2019 bei einer Verkehrskontrolle einen gefälschten slowenischen Führerschein verwendet haben.

Nun wurde der 442 Seiten starke Gerichtsakt veröffentlicht und von den Organisationen in Zusammenarbeit mit dem Menschenrechtsprofessor Manfred Nowak analysiert. Sie kommen zum Schluss, "dass dessen ausufernde Strafverfolgung – ganz bewusst – einen abschreckenden Effekt auf zukünftige Aufdecker*innen und die Ausübung der Meinungs-, Presse- und Informationsfreiheit in Österreich haben könnte." Die Vorwürfe sollen teils konstruiert worden sein, um den europäischen Haftbefehl, der zu seiner Verhaftung führte, zu erwirken sowie um den Aufdecker zu diskreditieren.

    Andreas Lust (als Heinz-Christian Strache) und Nicholas Ofczarek (als Ermittler Julian H.) in der Ibiza-Finca.
    Sky

    Beachtlicher Aufwand

    Dabei kritisieren die Organisationen schon die Methode, die zu seiner Anhaltung führten. Ursprünglich lautete der Vorwurf auf versuchte Erpressung, doch zu einer Anklage kam es nicht. Trotzdem blieb der europäische Haftbefehl aufrecht, darüber hinaus wurde zahlreiche, tiefeinschneidende Ermittlungsschritte gesetzt. Es begann mit Kontoöffnungen, darauf folgten Hausdurchsuchungen, der Einsatz von IMSI Catchern zur telefonischen Überwachung, Funkzellenauswertungen, das Abfragen von Passagierlisten, Server-Beschlagnahmungen und Zielfahndungen nach den von Julian Hessenthaler genutzten Fahrzeugen über mehrere Länder hinweg. Nahestehende Personen wurden observiert und deren Telefone überwacht.

    "Die enorme Intensität, der Mittelaufwand und die Eingriffstiefe, mit der die Ermittlungen gegen Julian H" geführt wurden, seien beachtlich, so Thomas Lohninger, Geschäftsführer von epicenter.works. "Wären die österreichischen Behörden schon 2015 den Hinweisen des Rechtsanwalts M. in Bezug auf die Korrumpierung Straches so intensiv nachgegangen wie die Ermittlungen gegen Julian H. geführt wurden, hätte sich jede Notwendigkeit für ein Ibiza-Video erübrigt."

    Man sorgt sich darüber, dass ein Bild entstehe nach dem Motto: "Wer zu viel Wahrheit ans Tageslicht fördert, dem drohen strafrechtliche Ermittlungen." Das führe unweigerlich zu einer Abschreckenden Wirkung. Die Menschrechtsorganisationen fordern deswegen eine rasche Umsetzung der EU-Richtlinie zum Schutz von Whistleblowern. Es brauche einen transparenten Staat, unabhängige Strafverfolgungsbehörden und mehr Schutz für jene Menschen, die Missstände aufdecken.

    Informationsfreiheit 

    "Die Aufnahmen des so genannten Ibiza-Videos zeigen eine sehr bedenkliche Einstellung des ehemaligen Vizekanzlers Heinz Christian Strache gegenüber der Pressefreiheit, dem Rechtsstaat und Korruption. Die Veröffentlichung des Videos, die durch Julian H. ermöglicht wurde, führte zu einer Debatte von öffentlichem Interesse und ermöglichte der Allgemeinheit, sich ein Bild über die Eignung von Herrn Strache zur Ausübung politischer Ämter zu machen", betont Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International Österreich.

    Thomas Lohninger, Geschäftsführer von epicenter.works betont: "Die Weitergabe und Veröffentlichung des Videos waren von der Meinungs- und Informationsfreiheit geschützt – dies wurde sowohl von der österreichischen als auch der deutschen Justiz bereits festgestellt. Es drängt sich daher stark der Eindruck auf, dass die österreichischen Behörden nun andere strafrechtlichen Vorwürfe heranziehen bzw. in ausufernder Weise verfolgen, um Julian Hessenthaler mundtot zu machen. Anscheinend soll damit auch ein Exempel statuiert werden, das zukünftig potenzielle Informant*innen abschreckt, ihre Meinung frei zu äußern."

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      Sabine Hertel, Google Maps, zVg