Niederösterreich

Tod nach Kinderwunsch: Arzt drohen sogar 15 Jahre Haft

Knalleffekt in Wr. Neustadt: Nach dem Tod einer 32-Jährigen sah sich der Einzelrichter nicht zuständig, die Anklage könnte ausgeweitet werden.

09.12.2020, 17:33
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Angeklagter Arzt mit Anwalt Michael Dohr beim Prozess
Lenger

Mit einem Paukenschlag endete am heutigen Mittwoch der sehr emotionale und tränenreiche Prozess gegen einen Anästhesisten in Wr. Neustadt.

Der Reihe nach: Der hauptsächlich in einem Wiener Spital tätige 64-Jährige hatte im Juni drei Frauen in einer Kinderwunschklinik in Baden mit Propofol betäubt. Nach dem Eingriff gab es bei allen Frauen Komplikationen, alle drei mussten ins Spital, eine 32-Jährige starb. Der Arzt soll in Baden nur ausgeholfen haben.

Offenes Fläschchen

Schnell war klar, dass der Arzt ein offenes Propofolfläschen im Haushaltskühlschrank gelagert hatte und so laut Gutachten Keime ins Narkosemittel kamen. Der 64-Jährige gestand ("Heute" berichtete), um kurz vor dem Prozess das Geständnis zu widerrufen ("Heute" berichtete ebenfalls). Denn Anwalt Michael Dohr hatte ein entlastendes Privatgutachten. Der Advokat meinte: "Dieses Gutachten zeigt, dass es fast unmöglich ist, dass das Propofol vor der Narkose verunreinigt worden ist. Und wie kommen Darmkeime in einen Haushaltskühlschrank?", so Dohr.

Emotionaler und hitziger Prozess

Vor Gericht lieferten sich Verteidiger Michael Dohr und der Richter hitzige Debatten. Der gezeichnetete Angeklagte bestritt die Vorwürfe wegen fahrlässiger Tötung: „Ich habe Propofol Tausende Mal verwendet, nie war etwas. Das war wie Fahrrad fahren." Dass er das Propofol nicht richtig verwendet habe, gab der Mediziner zu, warf aber ein: "Das war nicht die Ursache für den Tod." Michael Dohr hielt beim Prozess fest, dass der Keim erst nachgewiesen wurde, nachdem das Gebinde längere Zeit im Mistkübel gelegen sei.

    Angeklagter Narkosearzt mit Anwalt Michael Dohr
    Lenger

    Für die Hinterbliebenen der 32-Jährigen war der Prozess äußerst schmerzhaft, immer wieder flossen Tränen bei den Angehörigen.

    Der Richter meinte in Richtung des angeklagten Mediziners: „Dass sie nicht wussten, dass man das angebrochene Propofol nicht mehr verwenden darf, kann ich nicht glauben. Die Patienten hätten umfangreich aufgeklärt werden müssen, dass eine angebrochene Propofolflasche verwendet werde. Und das ist in drei Fällen nicht passiert."

    Drohen Arzt dann 15 Jahre Haft?

    Somit fällte der Richter ein Unzuständigkeitsurteil (nicht rechtskräftig). Denn der Beschuldigte soll nicht wegen fahrlässiger Tötung (Strafrahmen bis zu drei Jahre Haft, Anm.), sondern wegen Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (ein bis 15 Jahre Haft, § 86 Abs. 2 StGB) angeklagt werden. Dann muss der 64-Jährige allerdings vor ein Schöffengericht.

    Anwalt Dohr legte sofort Berufung ein. Das heißt: Der Fall kommt jetzt vor das Oberlandesgericht Wien, dann gibt es zwei Möglichkeiten: Wieder eine Einzelrichterverhandlung mit derselben Anklage und einem anderen Richter in Wr. Neustadt oder eine Schöffenverhandlung mit neuer (erweiterter) Anklage in Wr. Neustadt.

    Opferanwalt Clemens Lahner (Anm.: er vertritt den Witwer sowie zwei Geschwister, die Eltern vertritt ein Grazer Jurist) meinte kurz nach dem Prozess: "Ich hatte den Eindruck, dass der Richter gut vorbereitet war und sich präzise mit dem Fall beschäftigt hat."

    Für den Arzt gilt weiterhin die Unschuldsvermutung.

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