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Türkei-Referendum: Das müssen Sie jetzt wissen

Sonntag stimmt die Türkei über ihre politische Zukunft ab. Wird Staatspräsident Erdogan nun allmächtig? 12 Fragen und Antworten zu Referendum.

14.09.2021, 00:45
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Warum gibt es überhaupt ein Referendum? Staatspräsident Recep Tayyip Erdoan wollte 18 Bestimmungen der Verfassung ändern. Im Parlament stimmten im Jänner aber nur seine Partei AKP und die nationalistische MHP dafür. Das ergab eine Dreifünftel-Mehrheit, für Verfassungsänderungen ist eine Zweitdrittelmehrheit nötig. 367 Stimmen wären nötig gewesen, 339 wurden erreicht (die AKP hat allein 316). Weil das Parlament aber mehrheitlich „Ja" sagte, musste das Vorhaben automatisch einer Volksabstimmung unterzogen werden. Wie viele Türken stimmen ab? 55 Millionen sind in der Türkei zur Abstimmung aufgerufen, dazu 2,9 Millionen, die im Ausland leben. In Österreich sind 108.561 türkische Staatsbürger wahlberechtigt. Etwas mehr als die Hälfte (50,6 Prozent) hat abgestimmt. Was steht am Wahlzettel? Nur „Evet" für „Ja" und „Hayir" für „Nein.

Was soll in der Verfassung geändert werden? Vor allem soll die Rolle des Staatspräsidenten gestärkt werden, also von Recep Tayyip Erdoan. Der Präsident hat bis jetzt nur repräsentative Aufgaben. Nach der Verfassungsänderung ist er auch Regierungschef. Was passiert mit dem derzeitigen Regierungschef? Das Amt des Ministerpräsidenten und der Ministerrat werden abgeschafft. Hat das Parlament dann auch weniger Mitsprache? Ja, das Parlament kann dem Staatspräsidenten etwa nicht mehr das Vertrauen entziehen. Welche Machtbefugnisse erhält der Staatspräsident dazu? - Er kann ohne Beteiligung des Parlaments Minister ernennen, feuern und ihre Zuständigkeiten festlegen. - Er kann ohne Beteiligung des Parlaments leitende politische Beamte ernennen, feuern und ihre Zuständigkeiten festlegen. - Er kann jederzeit das Parlament auflösen und Neuwahlen ansetzen. - Die Militärgerichtsbarkeit wird aufgelöst, die Sonderstellung und Macht des Militärs wird quasi amtlich festgeschrieben. - Er kann allein den Staatshaushalt beschließen, muss nicht das Parlament fragen. - Er kann mit Hilfe von Dekreten ohne Beteiligung des Parlamens regieren. - Er kann Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes, des Rates der Richter und Staatsanwälte allein ernennen. - Präsident und Parlament werden am selben Tag gewählt. Das begünstigt die Partei, die den Präsidenten stellt. Profitiert Erdogan auch direkt davon? Ja, die türkische Verfassung sieht vor, dass ein Präsident (wie in den USA) nur einmal wiedergewählt werden kann, also maximal zehn Jahr im Amt bleiben kann. Gewinnt Erdogan das Referendum, wird er 2019 formal zum ersten Mal Präsident und kann deshalb bis 2029 regieren. Ist Edogan nicht jetzt schon mächtig genug? Formal hat Erdogan seit 2014 (da wurde er vom Ministerpräsidenten zum Staatspräsidenten) wenig zu sagen. Als Präsident hat er nur repräsentative Aufgaben. In der Realität bestimmt er alles, Ministerpräsident Binali Yildirim ist nur eine Randerscheinung. Wie argumentieren Erdogan-Fans? Seit den Gezi-Park-Protesten (2013) und dem Putschversuch (Juli 2016) inszeniert sich Erdogan als Beschützer der Nation, der die Türkei aus dem Terror und der Wirtschaftskrise führen will. Für die Rolle als „starker Mann" benötige er die Zustimmung des Volkes. Was passiert, wenn Erdogan das Referendum verliert? Beobachter fürchten das fast noch mehr als einen Sieg Erdogans. Er regiert ja jetzt schon so, als ob die Verfassungsänderung schon geben würde. Ein „Nein" würde Erdogan schwächen, wäre wohl der Anfang vom Ende seiner Macht – und für die Türkei der Beginn einer Phase der Instabilität und der Unkalkulierbarkeit. Warum regen sich die Kritiker so auf? Auch die USA haben ein Präsidialsystem. Schon, aber das US-System sieht eine klare Gewaltenteilung vor. Zu sehen zuletzt, als der Kongress mehreren Gesetze von US-Präsident Donald Trump die Zustimmung verweigerte. Wie geht das Referendum aus? Unklar, die Meinungsumfragen widersprechen sich. Beobachter gehen von einem „Ja" aus. (cnn)