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Bosniens "kalter Frieden" könnte bald Geschichte sein

In Bosnien könnte schon bald wieder ein Konflikt aufflammen, der vor 26 Jahren mühevoll beigelegt wurde. "Heute" erklärt die Gefahrensituation.

Tobias Kurakin
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Der Frieden in Bosnien scheint auf der Kippe zu stehen. Zuletzt marschierten Polizisten und Armee zur Feier des 30-jährigen Bestehens der Republika Srspka auf.
Der Frieden in Bosnien scheint auf der Kippe zu stehen. Zuletzt marschierten Polizisten und Armee zur Feier des 30-jährigen Bestehens der Republika Srspka auf.
ELVIS BARUKCIC / AFP / picturedesk.com

Das politische System Bosniens gilt unter Experten als das komplizierteste System auf der ganzen Welt. Die Mischung zweier konträrer Regierungsformen in einem multi-ethnischen Staat bilden immer wieder Zündstoff, der den Frieden am Balkan gefährdet. "Heute" hat sich angesehen, wie groß die Wahrscheinlichkeit eines neuerlichen Bürgerkrieges tatsächlich ist. 

Das komplizierteste politische System der Welt 

Bosnien Herzegowina besteht aus zwei Teilstaaten - der Republika Srpska, die mehrheitlich von Serben bewohnt wird und die Föderation Bosnien, in der muslimische Kroaten und Christen wohnen. Alle drei Gruppen stellen in Bosnien je einen Präsidenten, die in der Geschichte des Landes dafür verantwortlich waren, dass notwendige Gesetze und Reformen unter Einsatz ihres Vetorechts nie zustande kamen. 

Das komplizierte System geht auf den Jugoslawien-Krieg zurück, der in Bosnien im Dezember 1995 mit dem Dayton-Abkommen beendet wurde. Nun droht das einstige Friedenspapier, das den uneinheitlichen Vielvölkerstaat einte, die Grundlage für einen neuerlichen Konflikt zu sein. Milorad Dodik, der pro-serbische Präsident der Republika Srpska, macht nun nämlich für eine eigenen Staat Stimmung. 

Das komplette Interview von "Heute" mit Bosnien-Experte Jens Woelk zum Anhören: 

Mit serbischen Fahnen, lauter Musik und nationalistischen Reden hat Dodik am 9. Jänner bei der Feier zum 30-jährigen Bestehen der Republica Srbska für die Unabhängigkeit des Teilstaates geworben. "Es muss jeden klar sein, dass es das Ziel der Republica Srbska ist, einen eigenen Staat zu errichten", so Dodik. 

Bei den Experten schrillen ob der jüngsten Ereignisse nun bereits alle Alarmglocken. "Es ist zu hoffen, dass Dodik nur mit dem Streichholz spielt, sich aber letztlich nicht verbrennen will", sagt der ehemalige externe Berater der EU-Kommission in Sachen Bosnien Jens Woelk im Gespräch mit  "Heute".  

Auch in der Vergangenheit hätten immer wieder diverse "populistische Nationalisten", wie Woelk Politiker wie Dodik nennt, dafür gesorgt, dass der Frieden in Bosnien in Gefahr gerät. "Es war stets ein kalter Frieden, der zwischen den Völkern geherrscht hat, der aber bisher trotz großer Spannungen hielt", so Woelk. 

Große politische Reformen, die das Land tatsächlich hätten voranbringen können und gefährliche Situationen wie die aktuelle hätten verhindern können, waren ob der Klüfte zwischen den drei Völkern im Land nie möglich. "In Wahrheit regieren in Bosnien Kartelle, die sich zwar gerne an Hilfsgeldern bereichern, das Land aber nicht verändern wollen", meint Woelk. 

Und obwohl diese Kartelle bisher den Frieden immer sichern konnten, da sie nur nach eigenen Interessen strebten, ist die Gefahr eines wieder aufflammenden Konflikts am Balkan nun größer als je zuvor. "Die veränderte geopolitische Lage könnte dafür sorgen, dass Dodik sein Ziel tatsächlich erreicht", meint Woelk und meint damit eine fast handlungsunfähige und zerrissene Europäische Union. 

Putin wünscht sich Konflikt 

Gleichzeitig spielt Russland nun am Balkan eine verstärkte Rolle und versucht Dodik dabei zu unterstützen, mit dem metaphorischen Streichholz tatsächlich ein Feuer zu entfachen. Das Regime von Vladimir Putin erhofft sich durch eine Destabilisierung des Balkans eine Schwächung der EU. Auch innerhalb der Union zeigen sich aber nationalistische Kräfte aus Ungarn und Polen als Befürworter für die Bestrebungen Dodiks. 

Erste Risse im Staat seien bereits zu spüren. Wie Woelk "Heute" bestätigt, erleben muslimische Kroaten und Christen, die in der Republica Srbska wohnen, Anfeindungen und Diskriminierungen der serbischen Bevölkerung im Teilstaat. Der fortschreitende serbische Nationalismus hat auch einen Österreicher zum Ziel der Aggressionen werden lassen. 

Valentin Inzko war über 12 Jahre lang der Hohe Repräsentant der EU für Bosnien und hat dabei sich für eine friedliche Lösung im Land eingesetzt. Als er im Juli 2021 sein Amt niederlegte und für seinen Nachfolger, dem Deutschen Christian Schmidt, Platz machte, erließ er zum Abschluss noch ein Gesetz, das die Leugnung des Massakers von Srebrenica unter Strafe stellt. 

Bei besagten Massaker wurden 1992 mehr als 8.000 Bosniaken von der Armee der Republica Srbska in einem grauenhaften Völkermord erschossen. Dodik hatte seine Meinung zu diesem dunklen Teil der Geschichte oft geändert, zuletzt nannte er den Völkermord eine Lüge und behauptete, die Särge seien damals leer gewesen. Den Österreicher Inzko nannte er ob der Verabschiedung des Gesetzes einen Nazi, so auch dessen Nachfolger Christian Schmidt, der ebenfalls das Gesetz befürwortet. 

Völkermord als Spaltpilz des Vielvölkerstaates 

Besonders in der Identität der Serben und der Bewohner der Republica Srbska spielt der Genozid eine besondere Rolle. In dem extrem von Nationalismus geprägten Volk wird die Schuld am Mord gerne abgeschoben oder gar ganz geleugnet. Allein die unterschiedliche Beurteilung des Kriegsverbrechens hatte Bosnien bereits in der Vergangenheit zunehmend belastet. 

Ein neuerlicher Konflikt am Balkan scheint ob der verwogenen Situation so realistisch zu sein wie schon lange nicht mehr. Woelk sieht die EU und die USA gefordert, um den Frieden in Bosnien doch noch zu sicher. "Es braucht ein klares Bekenntnis der Europäischen Union, dass ein Beitritt Bosniens zur EU nur geschehen kann, wenn der Staat geeint bleibt". Seit nun mehr als 20 Jahren gilt der Balkan-Staat als möglicher Beitrittskandidat, zuletzt verpasst die EU jedoch Bosnien zu eigener Stabilität zu verhelfen und schwächte sich damit selbst. 

USA und die EU haben Bosnien zuletzt vergessen 

Auch die Vereinigten Staaten, die einst im Frieden von Dayton federführend agierten, haben Bosnien in den letzten Jahren sich selbst überlassen. Woelk ist sich sicher, dass auch die USA wieder mehr Interesse und Bemühungen in den Balkan stecken muss, um Europa als wichtigen und stabilen Partner zu halten. 

Ob es gelingt den Frieden in Bosnien sicherzustellen und den Staat weiterhin geeint zu halten, lässt sich nur schwer sagen. Obwohl die Spuren des Jugoslawienkrieges am Balkan nach wie vor durch Einschusslöcher in Häusern sichtbar sind, ist der Frieden keine Selbstverständlichkeit. Das Streichholz in der Hand von Nationalisten könnte den kalten Frieden nun verbrennen. 

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    Sven Hoppe / dpa / picturedesk.com