Ukraine

Flüchtlinge aus Mariupol: "Es war der blanke Horror"

Am Sonntag erreichten Zivilisten aus dem belagerten Stahlwerk in Mariupol die Ostukraine. Eine Betroffene erzählt.

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Evakuierung von Zivilisten aus dem Stahlwerk in Mariupol
Evakuierung von Zivilisten aus dem Stahlwerk in Mariupol
Sipa Press / Action Press/Sipa / picturedesk.com

"Ich dachte, dass der Bunker das nicht aushalten würde", berichtet Natalia Usmanova, eine der rund 100 Zivilisten und Zivilistinnen, die am Sonntag aus dem Industriekomplex Asowstal geborgen und über einen Fluchtkorridor in die ostukrainische Stadt Besimenne gebracht wurde, gegenüber dem "Guardian".

Der Transport war von der UN und dem Internationalen Roten Kreuz organisiert und mit den Kriegsparteien abgesprochen worden. Am Montag, sollen die Evakuierten weiter in die ukrainisch kontrollierte Stadt Saporischschja 226 Kilometer von Mariupol entfernt gebracht werden.

"Ich hatte schreckliche Angst", so Usmanova weiter. Sie erinnert sich an die stickige Luft im unterirdischen Bunker, wo sie und viele andere über Tage und Wochen ausgeharrt hatten. Usmanova war zwei Monate lang im unterirdischen Schutzraum. Sie sei freiwillig dorthin gegangen und habe später versucht, von dort zu fliehen, aber da sei es bereits zu spät gewesen.

"Hatte Angst, dass der Bunker einstürzt"

Dann erzählt sie vom starken Beschuss des Werks: "Als der Bunker zu zittern begann, wurde ich hysterisch. Meine größte Angst war, dass der Schutzraum über mir einstürzen würde." Man habe nur in der Nähe des Ausgangs aus dem Bunker atmen können. Sie habe im Schutzraum "so lange die Sonne nicht gesehen", klagte sie. Unter dem russischen Beschuss sei der Betonstaub auf sie gerieselt. Im Bus aus Mariupol scherzte sie später mit ihrem Mann, das sie nun "nicht mehr mit einer Fackel ins WC gehen" müsse.

"Sie können sich gar nicht vorstellen, was wir erlitten haben", berichtet sie weiter. "Es war der blanke Horror." Sie habe ihr ganzes Leben dort gearbeitet, und was sie am Ende gesehen habe, sei "einfach schrecklich" gewesen.

Laut ukrainischen Angaben harren noch immer rund 1000 Zivilisten in den Bunkern unter dem einst von Stalin erbauten, von den Russen belagerten Stahlwerk aus. Der Ukrainer Oleg, einer der bewaffneten Verteidiger des Stahlwerks, sprach via Telegram mit der "Bild"-Zeitung.

"Der Trinkwasservorrat ist zu 90 Prozent erschöpft", berichtet er. "Wir essen ein Mal am Tag hauptsächlich verschiedene Breie und Konserven, von denen nur noch wenige übrig sind." Es sei sehr feucht in den Bunkern, die Hälfte der Menschen huste die ganze Zeit. "Aber wir sind abgehärtete Menschen, niemand beklagt sich", sagt er weiter. Er hoffe, dass ein Drittstaat dabei helfe, sie herauszuholen – "sonst bleiben wir für immer hier."

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    Am Sonntag erreichten Zivilisten aus dem belagerten Stahlwerk in Mariupol auf einer ausgehandelten Fluchtroute die Ostukraine.
    Am Sonntag erreichten Zivilisten aus dem belagerten Stahlwerk in Mariupol auf einer ausgehandelten Fluchtroute die Ostukraine.
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