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"Auf Lesbos hat blinde Wut überhandgenommen"

Heute Redaktion
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Allein am Sonntag sind über 1.000 Flüchtlinge auf Lesbos übergesetzt. Die Journalistin Franziska Grillmeier berichtet im Interview von der Stimmung auf der griechischen Insel.

Es sind schockierende Bilder aus Lesbos, die zeigen, wie ein Reporter körperlicher Gewalt durch aufgebrachte Inselbewohner ausgesetzt ist. Seit 2018 ist Franziska Grillmeier auf der Insel Lesbos als freischaffende Reporterin tätig. Im Interview mit unserem Schweizer Kooperationsmedium "20 Minuten" bezieht sie Stellung zu den aktuellen Geschehnissen auf der griechischen Insel.

Frau Grillmeier*, wie ist die Stimmung auf Lesbos?

Sie ist schon seit längerem schlecht. So hatte die griechische Regierung vor einigen Wochen angekündigt, ein zweites, geschlossenes Lager für Flüchtlinge und Migranten auf Lesbos einzurichten. Das führte zu starken Protesten in der Lokalbevölkerung. Dass die Regierung für ein zweites Lager Land beansprucht, kam nicht gut an. Später richtete sich die Wut gegen die Flüchtlinge und Migranten, gegen NGO-Mitarbeiter und Journalisten. Mittlerweile sehen wir einen absoluten Höhepunkt der Gewalt. Polizeieskorten bringen NGOs von der Insel, Journalisten werden zusammengeschlagen. Gleichzeitig kommen jetzt, wo die Türkei ihre Grenzen geöffnet hat, mehr Boote an. Diese Menschen werden nicht mehr medizinisch versorgt, auch wenn sie gebrochene Beine haben. Derzeit hat auf der Insel blinde Wut überhandgenommen, wohl auch, weil man sich schon so lange von der EU im Stich gelassen fühlt.

Sind Sie als Journalistin attackiert oder bedroht worden?

Dass ich keine Kamera bei mir habe und schon lange hier bin, kommt mir nun entgegen. Aber auch ich bin vorsichtiger geworden. Die Gewalt richtet sich aber vor allem gegen Flüchtlinge und Migranten in Moria, sie sind zur laufenden Zielscheibe geworden.

Wer kommt denn jetzt in Lesbos an?

Vor allem Afghanen, die sie seit Jahren in der Türkei feststeckten und dort kaum einen Grundschutz genossen haben. Heißt, Kinder konnten nicht zur Schule gehen, sie erhielten keinen Asylstatus, es drohte ihnen jederzeit die Deportation. Diese Leute versuchen schon seit vielen Monaten verzweifelt, in Europa in Sicherheit zu gelangen. Die Afghanen machen mit 70 Prozent auch den größten Teil der Flüchtlinge im Lager Moria aus.



Wie haben die Flüchtlinge das Leben auf der Insel geprägt?


Erst gab es das Flüchtlingslager von Moria, das eigentlich nur für 2800 Leute ausgelegt ist und das mit der Zeit in alle Richtungen ausgewachsen ist: Rund 20'000 Menschen leben jetzt in und um das Lager in den Olivenbaumhainen – ohne Wasser, Elektrizität oder medizinische Versorgung. Das führte etwa dazu, dass die Äste von Olivenbäumen abgesägt wurden, damit Feuer gemacht und gekocht werden konnte. Wo das Zusammenleben sehr lange gut klappte, ist die Lage jetzt eskaliert. Flüchtlinge werden mit Steinen und Ketten angegriffen und gehen unter Lebensgefahr auf die Straße. Sie leben mittlerweile in einem rechtsfreien Raum. Viele auf Lesbos denken, dass die Flüchtlinge einfach alle weg müssten und so alle Probleme schlagartig gelöst würden.

Denken die Leute auf Lesbos mehrheitlich so?

Das ist schwer einzuschätzen. Was wir schon lange mitbekommen, ist eine steigende Ablehnung gegenüber Flüchtlingen. Die Solidarität, die viele Inselbewohner noch 2015 zeigten, ist in Müdigkeit, Frustration und bei Einzelnen in blinden Hass umgeschlagen.

Können Sie die Griechen in ihrer Ablehnung verstehen?

Ich verstehe absolut, dass die Menschen müde und frustriert sind und sich alleingelassen fühlen. Dass sie nicht wissen, was die Zukunft bringen wird und wie es weitergeht. Dass es ein kollektives Gefühl des Unwohlseins gibt. Was ich aber nicht verstehen kann: Die Menschen, die hier ankommen, sind extrem schutzbedürftig. Das sieht man sofort. Deswegen verwundert mich die Wucht des Hasses gegenüber diesen Menschen. Nicht, dass der Hass die ganze Insel erfasst hätte, das Leben und der Alltag der Menschen gehen weiter. Aber die Stimmen derjenigen, die am lautesten schreien, hallen im Moment am lautesten nach.

Von der EU fühlt man sich in Griechenland im Stich gelassen. Was erwartet man von ihr?

Dass Verantwortung übernommen wird. Dass die Flüchtlinge und Migranten verteilt werden und dass die, die seit Jahren auf der Insel festsitzen, nicht nur auf das griechische Festland gebracht werden, sondern in anderen EU-Ländern unterkommen, wo Flüchtlingsunterkünfte teilweise sogar freistehen. Die Leute erwarten, dass sie gesehen und gehört und nicht alleingelassen werden. Wenn sie mitbekommen, dass die EU in den Wintermonaten nicht einmal unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aufnehmen will, sind sie absolut fassungslos. Darüber, dass die EU trotz allen Wissens, was passiert, einfach nicht handelt.

*Franziska Grillmeier ist seit 2018 auf der Insel als freischaffende Reporterin tätig.

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