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"Bin ich sexuell frustriert?"

Norbert macht sich nichts aus Sex und findet das Thema total überschätzt.

Heute Redaktion
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Bild: iStock

Frage von Norbert (36) an Doktor Sex: Nach der allgemeinen Auffassung müsste ich als lediger Mann hinter Sex her sein wie ein Drogensüchtiger nach dem nächsten Schuss. Aber ich sehe in Sex nur eines von vielen Bedürfnissen, dessen Befriedigung eigentlich gar nicht mal so toll ist und sich praktischerweise auch ohne fremde Hilfe erreichen lässt. Auch kann ich im Sex keinen echten Beziehungsgrund erkennen. Und mich nervt die Omnipräsenz dieses Themas in den Medien.

Man sagt mir nach, dass ich naiv und sexuell frustriert wäre. Ich sehe es aber eher so, dass ich eine Freundin einer Geliebten vorziehe und Erstere wirklich nicht in den partnersuchenden Frauen erkennen konnte, die ich bisher angetroffen habe. Habe ich falsche Vorstellungen und bin ich tatsächlich sexuell frustriert?

Antwort von Doktor Sex

Lieber Norbert

Ob du sexuell frustriert bist, kann ich nicht beurteilen. Jedoch scheinst du ein kritischer Geist und in einem wohltuenden Sinn naiv zu sein, da du offenbar ziemlich unvoreingenommen und ehrlich auf die Phänomene Sex und Beziehung schaust – ähnlich wie es das kleine Kind im Märchen "Des Kaisers neue Kleider" tut.

Darin geben zwei Betrüger vor, neue Kleider für den Kaiser herzustellen, die aber nur von denen gesehen werden könnten, die ihres Amtes würdig und intelligent seien. Eitel wie der Herrscher ist, kann er nicht zugeben, dass er keine Kleider sieht. Auch die Menschen am Hof loben die Eleganz der neuen Robe, denn sie wollen sich nicht blamieren und als dumm oder unwürdig erscheinen. Erst beim Festumzug fliegt der Schwindel auf, weil ein Kind unvoreingenommen und ehrlich sagt, dass der Kaiser gar keine Kleider trägt und splitternackt ist.

Im Umgang mit Sex scheint man sich in der heutigen Gesellschaft ganz ähnlich zu verhalten, wie mit den Kleidern im Märchen: Statt sich dem Phänomen möglichst frei und selbstbestimmt anzunähern, statt es also auf eigene Faust zu erforschen und sich eine eigene Meinung darüber zu bilden und diese offen zu kommunizieren, übernehmen die meisten Menschen einfach das, was der Mainstream vorgibt. Wie im Märchen will sich auch in der wirklichen Welt niemand blamieren oder als Exot dastehen, weshalb man krampfhaft versucht, sich möglichst stromlinienförmig dem anzupassen, was scheinbar von der Mehrheit unter Sex verstanden wird.

Das führt zur paradoxen Situation, dass die Technik der sexuellen Interaktion total überschätzt wird und die Zahl der Ratgeber, die dieses Feld beackern, kontinuierlich steigt, während die individuellen Aspekte – also die ganz persönlichen Möglichkeiten und Bedürfnisse hinsichtlich der Empfindungen, Gefühle und Intensität – total unterbewertet werden. Häufiger, länger, unverschämter und geiler ist die Devise – insbesondere bei den meisten Männern.

Ich denke, du darfst dich einfach zurücklehnen und den Dingen ihren Lauf lassen. Man kann Menschen nicht zu ihrem Glück zwingen. Jeder und jede muss für sich selber herausfinden, dass man Sex letztlich nur auf einer ganz individuellen und persönlichen Ebene entdecken kann.

Deine Frage an Doktor Sex: [email protected] (wer)

(mp)

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