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"Den Fleck auf der Seele wirst du nicht mehr los"

Heute Redaktion
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Sonnig, warm, aggressiv, Krieg. Das ist es, woran sich Israelin Jasmin und Palästinenser Osama erinnern, wenn sie ans "Niemandsland" denken. Ihre alte Heimat, ein staatenloser Ort im Westjordanland, der für beide aber mehr ein Gefühl verkörpert: "Es ist ein In-der-Schwebe-Hängen, das verhindert, dort hinzugehen, wo man hingehört. Man ist nicht da, wo man sein will und man weiß nicht, wohin man gehen wird", erzählen sie im "Heute"-Interview.

Sonnig, warm, aggressiv, Krieg. Das ist es, woran sich Israelin Jasmin Avissar und Palästinenser Osama Zatar erinnern, wenn sie ans "Niemandsland" denken. Ihre alte Heimat, ein staatenloser Ort im Westjordanland, der für beide aber mehr ein Gefühl verkörpert: "Es ist ein In-der-Schwebe-Hängen, das verhindert, dort hinzugehen, wo man hingehört. Man ist nicht da, wo man sein will und man weiß nicht, wohin man gehen wird", erzählen sie im "Heute"-Interview.

Ihre Liebe hat die Mauer überwunden, nach sieben schweren Jahren von Berlin nach Wien geführt und Regisseurin Yael Ronen zum gleichnamigen Stück inspiriert. Es geht um Identität, Krieg, Traumata und die Macht der Grenzregime. Ihre neue Heimat ("ein sicherer Hafen, unsere kleine Familie") haben sie jetzt gefunden. Kriegsversehrt zu sein, bedeutet aber mehr, als eine offene Wunde: "Den Fleck auf der Seele wirst du nicht mehr los." Premiere ist am 25.9. am Wiener Volkstheater.

"Heute":  Was bedeutet Heimat für Sie? Haben Sie sie gefunden?

Jasmin und Osama: Heimat bedeutet Familie, ein sicherer Hafen – und wir haben unsere Heimat in einander und in unserer Tochter Laila gefunden.

"Heute": Wie ist das Zuhause, an das Sie sich erinnern?

Jasmin und Osama: Sonnig, warm, aggressiv, Kampf.

"Heute": Bitte beschreiben Sie das  "Niemandsland“

Jasmin und Osama: Es ist ein In-der-Schwebe-Hängen, das es einem nicht ermöglicht, den Ort zu finden, an den man gehört. Man ist nicht dort, wo man hinwollte, und man weiß nicht, wohin man gehen wird.

"Heute": Wie/wo/wann lernten Sie einander kennen und lieben?

Jasmin und Osama: Wir haben beide in einem Tierheim außerhalb von Jerusalem gearbeitet und uns um streunende Katzen und Hunde gekümmert. Wir wurden gute Freunde, wir konnten einander vertrauen, und dann wurde uns klar, dass wir unser Leben zusammen verbringen wollen. Ganz in der Nähe wurde die Mauer, die Israel und Palästina trennen sollte, aufgezogen und es fehlten nur noch zwei Stückabschnitte, um sie zu schließen. Das bedeutete, dass wir nicht zusammen sein konnten, und so heirateten wir in der Absicht, für unsere Beziehung zu kämpfen.

"Heute": Wie war Ihr erster Kontakt mit der "Festung Europa"? Hat sie Sie gut aufgenommen?

Jasmin: Ich kam im Juni 2006 nach Europa, nach Deutschland, um mir erst mal die Lage anzusehen, und ich blieb. Ich erkämpfte ein Visum für Osama für neun Monate; er kam im März 2007 nach. Ich dachte, Europa würde uns freundlich aufnehmen, und das tat es – jedenfalls mich, eine weiße, blonde Frau. Ab dem Moment, als Osama ankam, sahen wir das wahre Gesicht des weißen Europa: im Grunde rassistisch. Wir hatten das Glück, in Berlin ein paar wunderbare Menschen kennenzulernen und einen Freundeskreis aufbauen zu können, aber die Erlebnisse in der Außenwelt und mit der Bürokratie waren furchtbar. Wir fühlten uns alles andere als willkommen. Aber wir hatten keine Wahl, wir konnten ja nicht zurück, also mussten wir irgendwie weitermachen. Als wir in Österreich ankamen, war es anders. Wir hatten schon mehr Erfahrung, sprachen besser Deutsch und kannten Menschen, die uns unterstützten. Das machte es uns leichter und wir fühlten uns viel mehr willkommen.

"Heute": Kriegsversehrt – das kann viel mehr sein, als eine offene Wunde. Was bedeutet es für Sie?

Jasmin: Ich will mit einer kurzen Geschichte antworten: Meine Mutter wurde 1940 als Kind eines jüdischen Vaters und einer christlichen Mutter geboren. Sie kam 1965 nach Israel und sprach mit uns Kindern nur selten über ihre Kindheit und ihre Vergangenheit. Als ich im Gymnasium war und an einer der Holocaust-Gedächtnis-Reisen nach Polen hätte teilnehmen können, brach sie ihr Schweigen und bat mich, nicht mitzufahren: "Es wird deine Seele beflecken, und diesen Fleck wirst du nicht mehr loswerden können."

"Heute": Wie fügt sich Ihre Geschichte ins Stück ein?

In "Niemandsland" geht es um Identitäten: Persönliche Identität versus nationale Identität, und inwiefern Kriege und Konflikte sogar noch Generationen später auf destruktive Weise unsere Wahrnehmung von Identität beeinflussen. Unser persönlicher Kampf dafür, als Paar zusammen sein zu können, brachte uns dazu, uns mit unserer eigenen Identität auseinanderzusetzen, sie zu reflektieren und in Frage zu stellen. Zu realisieren, wo unsere persönliche Identität endet und wo eine äußere Identität beginnt, zu entscheiden, wo wir uns als menschliche Wesen wiederfinden wollen. Im Stück beschäftigen wir uns von verschiedenen Seiten her damit, wie einzelne Menschen von ihrer geerbten Identität verschluckt werden und wie sie darum kämpfen, sich daraus zu befreien und ihr wahres, eigenes Selbst zu finden.