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"Den Trauerautomaten finde ich pietätlos"

Heute Redaktion
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Taschentücher und Teebeutel kann man aus dem Automaten bei einem Schweizer Friedhof ziehen. Besucher sind empört; die Macherin sieht das Objekt als Kunst.

Auf den ersten Blick sieht er aus wie ein Snack-Automat. Doch der sogenannte Trauerautomat steht nicht an einem Bahnhof, sondern beim Eingang des Friedhofs Sihlfeld (Zürich, CH). Eine Leser-Reporterin des "Heute"-Schwesternmedium 20minuten.ch ist empört: "So etwas hat nichts auf einem Friedhof verloren", so die 28-Jährige. Die Leute seien hier zum Trauern: "Ein solcher Automat ist für mich pietätlos."

Irritierend findet sie auch die Gegenstände darin, die zwischen zwei und zwölf Franken kosten: "Was haben Teebeutel oder Seifenblasen darin verloren? Kerzen und Taschentücher sind ja noch akzeptabel." Für sie hinterlässt das Ganze einen faden Beigeschmack: "Da geht es doch um Vermarktung." Ihrer Meinung nach will jemand auf Kosten der Trauernden Geld machen, und das sei besonders geschmacklos und verwerflich.

"So aus dem Kontext gerissen, verstehe ich natürlich die Aufregung", sagt Lea Hofer. Die 24-jährige Design-Studentin hat den Trauerautomaten im Rahmen ihrer Bachelorarbeit entworfen – für sie ist er Kunst. Ursprünglich wollte sie ihn beim Bellevue oder in der Badi Letten platzieren: "Also an Orten, an denen Trauer aus dem Stadtbild verschwunden ist", so Hofer.

"Die Kritik will ich so nicht gelten lassen"

Da aber auf dem Friedhof Sihlfeld ab Ende August eine Ausstellung zum Thema "Wohnungsräumung nach einem Todesfall" stattfindet, wurde in Absprache mit der Institutionsleiterin vom Friedhof-Forum entschieden, das Kunstwerk dort einzubinden.

"Natürlich haben wir intern diskutiert, ob man den Trauerautomaten an einem sensiblen Ort wie dem Friedhof aufstellen sollte", so Friedhof-Forum-Leiterin Christine Süssmann. Man habe aber die Idee interessant gefunden. "Der Automat soll zum Diskutieren und Nachdenken anregen."

Das sieht auch die 24-jährige Gestalterin so. Für sie ist der Trauerautomat alles andere als pietätlos. "Trauer hat in der heutigen Leistungsgesellschaft kaum mehr Platz. Zwischenmenschliche Kontakte werden immer mehr durch Selbstbedienung an Geräten ersetzt." Der Trauerautomat soll daher aufgreifen, was längst Tatsache ist.

Symbolische Bedeutung der Gegenstände

Zudem wurden die 20 Objekte im Automat sorgfältig von der Studentin der Kunsthochschule in Gesprächen mit Trauernden, Pflegepersonal, Sterbebegleitern, Ritualbegleitern und Theologen rückbesprochen, entworfen und ausgewählt. "Die Gegenstände haben eine symbolische Bedeutung."

Das Papierschiff soll zum Beispiel die Trauer treiben lassen, die Trauerschleife die Trauer gegen außen tragen und der Rosenkranz die Verbundenheit aufzeigen. Der Teebeutel und die Seifenblasen stehen wiederum für Entschleunigung: "In unserer dynamischen Gesellschaft sollen sich die Leute mehr Zeit nehmen und auch schmerzlichen Gefühlen wie Trauer intensiver Beachtung schenken", so Hofer. Auch soll der Automat Trost spenden. "Darum stehen Taschentücher, Vergissmeinnicht oder Grabkerzen zum Verkauf."

Die 24-Jährige musste den Automaten seit letztem Donnerstag bereits nachfüllen. Mit den Einnahmen plane sie, die Produkt- und Verpackungswelt zu optimieren. "Für das Entwerfen benötige ich aber Material, und dieses ist leider nicht günstig", so Hofer. Sie habe aber auch schon Anfragen für weitere Ausstellungen. Nun wird ihr Kunstwerk aber bis November 2019 mal beim Friedhof Sihlfeld stehen bleiben.

(red)

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